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·7 Juli 2024

EM-Blog, Tag 23: Die Problemwölfe

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Egal ob England oder Türkei, am zweiten Viertelfinal-Spieltag dominierte der Problemwolf. Im heutigen EM-Blog beschäftigen wir uns mit den Mühen Gareth Southgates und türkischem Wolfsgeheul.

Gareth Southgates Werdegang

Auch wenn dies schon Englands fünftes Spiel und der 23. Eintrag in unseren EM-Blog ist, konnte ich bislang Gareth Southgates Engländer umschiffen. Nun allerdings kann ich niemanden mehr vorschieben und muss nicht nur Southgate-Ball ertragen, sondern über ihn schreiben.


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Seufz.Man mag es sich gar nicht vorstellen, aber eigentlich hatte ich meinen Frieden mit dem Mann geschlossen. Gewiss, auch ich habe ihn 2018 und 2021 verabscheut. Wie er sich stets zielgerichtet in den einfachen Turnierbaum manövriert, penibel auf Defensive aus ist und ja, sein Team fesselt, war mir ein Dorn im Auge. Der in Experten-Kreisen zurecht eigentlich so verpönte Begriff “taktische Fesseln” findet bei Southgates Engländer seine Richtigkeit.

2018 schaffte er es mit Siegen über die Fußballgroßmächte Kolumbien (Elfmeterschießen!) und Schweden ins Halbfinale und wurde in England gefeiert wie ein Halbgott. 2021 ging man bis auf Deutschland allen Top-Nationen aus dem Weg und genoss auch noch in sechs Partien Heimvorteil. Doch dann, nach der enttäuschenden Elfmeter-Niederlage 2021, schien sich etwas zu ändern.

In Katar schmiss England zwar nicht einfach alles nach vorne, aber man wollte… ja doch, Tore schießen. Das klingt skurril, aber England mauerte zuvor immer unter Southgate, sobald man in Führung lag. 2022 jedoch schoss man das Führungstor und legte gleich nach. 12 Tore erzielte man, ehe es ins Ärmelkanal-Duell mit Frankreich im Viertelfinale ging und selbst da war man die aktivere, offensivere Mannschaft.

In der englischen Öffentlichkeit begannen die großen Southgate-Diskussionen so richtig erst nach dem WM-Aus, was erstaunlich war, war doch erst sein drittes Turnier, sein erstes wirklich überzeugendes.

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Die beste Pappe des Turniers.

(Foto: Carl Recine/Getty Images)

England – Schweiz – Wer riskiert, verliert

Und dann diese Regression, oh Gareth, wie konntest du mich nur so verraten? Nichts ist aus der 2022er Mannschaft noch übrig, bis auf weite Teile des Spielerkaders. Fünf Tore hat man in ebenso vielen Spielen geschossen, und dabei seinen Expected-Goals-Wert von 4,72 sogar leicht überboten! Manche in der Gruppenphase ausgeschiedenen Teams haben mehr, manche Spieler wie Kai Havertz haben mehr!

Dabei war dieses furchtbare Spiel gegen die Schweiz sogar noch ihr offensiv ansehnlichstes! Immerhin war es einen Tacken aktiver, Bellingham und das Mittelfeld beweglicher, im Raum war man ordentlich verteilt. Ja, mehr brauchte es nicht, um bei England schon einen Schritt nach vorne festzustellen, so schrecklich war ihre Darbietung gegen die Slowakei, gegen Slowenien, ja im gesamten Turnier.

Was in hauchzarten Ansätzen möglich sein kann, sah man nach dem verdienten Schweizer Führungstor. Im Gegensatz zur letzten Partie, wechselte Southgate direkt und das gleich dreifach und voilà! Mehr als fünf Spieler vor dem Ball! Mit Luke Shaw ein überlaufender Linksverteidiger gar! Ein Jammer, dass England direkt mit dem ersten Torschuss belohnt wurde, denn daraufhin unterbrach Southgate das Sturmläufchen, ordnete wieder die Fünferkette an und besann sich auf Anti-Fußball.

Ihr Gegner aus der Schweiz wollte sich zwar gewiss auch nicht entblößen, aber man sollte die Vorzeichen nicht umkehren. So furios sie gegen Italien auch waren, dies ist noch immer die Schweiz, ein Team mit Schär, Vargas, Rodriguez und anderen Spielern, die nicht Xhaka oder Akanji heißen. Viel mehr als klar auf die Führung in den zweiten Hälften der Spielzeiten zu drücken, kann man von ihnen nicht verlangen. Es sagt schon viel aus, dass sie aktiver auf die Entscheidung aus dem Spiel heraus waren. Bedauerlicherweise bestätigten sie den Trend aus den anderen Viertelfinalspielen: Auch im dritten Spiel kam die schwächere, passivere Mannschaft weiter.

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Türkei: Der Problemwolf

Ich versuche sportliche und unsportliche Dinge ja immer zu trennen. Das mache ich beim Fußball so, wie ich in der Kunst das Werk der Künstler*innen von ihren allzu oft dämlichen Weltanschauungen zu trennen versuche. Meist klappt das auch ganz gut, doch bei der Türkei komme selbst ich an meine Grenzen. Es ist schon reichlich schwer ihnen nicht von ganzem Herzen das Ausscheiden zu gönnen.

Über das schon an früherer Stelle kritisierte Auspfeifen des Gegners kann ich noch hinwegsehen, doch über die gesamte Demiral-Affäre mit Einbestellung des Botschafters, Erdoğan und Özil im Stadion, Lügenmärchen über die Bedeutung seiner Fingerzeichen und den tausenden Wolfszeichen auf Fan-Märschen und selbst im Stadion während der Hymne, kann und will ich nicht hinwegsehen. Sportlich waren die Türken eine Bereicherung, aber ein Glück, dass sie raus sind. Sowas braucht es wirklich nicht.

Mir schwant jetzt schon übles bei der Türkisch-italenischen EM 2032. Fast am meisten regt mich dabei dieses ständige Gaslighten auf, mit denen schon die Kataris vor zwei Jahren kamen. Nein, es ist kein Rassismus oder Missverständnis türkisch oder muslimischer Kultur, faschistische Grüßungen zu missbilligen. Wie hätte man reagiert, wenn tausend Italiener den Arm zum römischen Gruß ausgestreckt hätten? Eben. Kein Platz für Faschismus, nicht auf dem Fußballfeld, nicht in den Kurven, nicht auf Fan-Märschen.

Zu den unzähligen Wolfszeichen auf den Tribünen muss zudem einmal mehr die scheinheilige, zahnlose UEFA angeführt werden. Bei harmlosen Antidiskriminierungs-Aktionen ist man in vorderster Reihe, doch bei volksverhetzenden Zeichen in den Kurven einer UEFA-Veranstaltung zündet niemand den UEFA Drei-Stufen-Plan. Da gibt es nicht einmal eine Stadiondurchsage. Einfach sich ducken und die Bilder in den offiziellen Übertragungen nicht zeigen. Grandiose Lösung, liebe UEFA! Danke für euren harten Kampf für den Schutz Minderheiten!

Niederlande – Türkei

Sportlich lässt mich diese Partie ob des niederländischen Spiels ziemlich fragend zurück. Man wusste doch aus dem Österreich-Spiel, ob der türkischen Standardstärke und man wusste, dass die Türken die mannorientierte Fünferkette beherrschen und trotzdem schien Holland nach ordentlicher Anfangsphase unfähig den Ball ins zweite oder gar letzte Drittel zu befördern. Das niederländische Aufbauspiel – gegen Rumänien noch gelobt – jetzt war es ein großes Problem.

Im Grunde genommen war das Spiel in vielen Teilen eine Wiederholung des Matches mit Österreich, nur dass die Türken hier nur einen Standard versenken konnten, sodass es sich viel mehr rächte, als ihnen erneut nach 60 Minuten die Puste zunehmend ausging. Dass sie dann noch in der Not die zweite Luft fanden und sich eine Verlängerung eigentlich verdient hätten, spricht umso mehr für sie.

Zu Holland kann man positiv die simplen, aber doch immens wichtigen Tatsachen anführen, dass man dieses Spiel trotz schwierigem Verlaufs in der regulären Spielzeit drehen und die anschließende Abwehrschlacht gewinnen konnte. Wie Oranje durch das Turnier humpelt und nun im Halbfinale steht, ist mindestens so bemerkenswert, wie van Dijks lautes Missbilligen, als Koeman in der 87. Minute Depay und Xavi rausnahm.

Vincenzo Montella

Seine Wechsel im zweiten Spiel bleiben zwar fragwürdig, aber dieser türkische Erfolg speziell in den K.o.-Spielen ist Vincenzo Montellas. Nach drei Spielen vogelwildester Defensivarbeit und trotz eines Kaders, der speziell vorne die Talente hat, noch so einen Turnaround hinzubekommen, dass man wirklich eine Abwehr auffährt, die diesen Namen mehr als verdient, ist eine große Leistung. Ich frage mich allerdings, ob die Türk*innen ihren Trainer mit ihrem Chaos nicht verprellen. Staatskrisen sobald er einen Spieler nicht aufstellt und Abwehrchefs, der die Kopfzerbrechen, ob all der Sperren nur noch verschärft, sind kein Terrain für ruhige Verbandsarbeit. Montella hat sich Jahre nach seinen Stationen bei Milan und Sevilla mit diesem Turnier wieder auf dem europäischen Trainermarkt zurückgemeldet, gut möglich, dass ihm alles zu viel wird und er lieber zurück in die Serie A geht.

Dann muss der türkische Verband einen Trainer finden, der aus den vielen Künstlern eine Einheit formt. Eine Binsenweisheit, an der so manch türkische Generation bereits gescheitert ist, speziell wenn die ganze Nation ihren Spielern einen unmöglich zu erfüllenden Erwartungsdruck aufbürdet.

Was sonst noch auffiel

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  • Granit Xhaka spielte mit einem Muskelfaserriss 120 Minuten lang. Ich reagiere auf ein gewisses Ignorieren von Verletzungen während großer Turniere weniger stark als andere, doch selbst für mich ist das zu viel. Mit einem Faserriss sollte man wochenlang raus sein, nicht auf die berühmten Zähne beißen. Mutmaßlich ein weiteres Zeichen für den Missbrauch von Schmerzmitteln im Fußball.
  • Manuel Akanjis Werdegang nach seinem Weggang aus Dortmund ist und bleibt sagenhaft. Trotz seines Elfmeters, kabbeln er und der ebenfalls ausgeschiedene Pepe sich um den Platz in der Elf des Turniers neben Saliba.
  • Während diese Verteidiger ihre guteb Vereinssaisons mit ins Turnier gerettet haben, gefällt mir van Dijk gar nicht beim Turnier. Er wirkt behäbig, überspielt, fahrig. In einer Szene in der ersten Halbzeit hatte der holländische Kapitän den Ball eigentlich schon gesichert, ließ sich dann aber von Yilmaz den Ball unnötig abluchsen. Bei Liverpool sah man sowas nie.
  • Sein Partner de Vrij schoss das Ausgleichstor und überzeugte in der Schlussphase in der entstandenen Abwehrschlacht, im ersten Spielabschnitt zeigte der de-Ligt-Verdränger aber immer wieder teils haarsträubende Abspielfehler. Seine Auszeichnung zum Man of the Match ist also mal wieder auf den Sieger-Bonus zurückzuführen.
  • Der FC Bayern hat starkes Interesse an Xavi Simons, ich allerdings bin skeptisch. Bei Leipzig funktioniert er als Halbraumstürmer viel besser, aber er ist mir zu inkonstant, zu oft unsauber in seinen Aktionen.
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Spicker ausdrücklich erlaubt!

(Foto: Carl Recine/Getty Images)

  • Jordan Pickford goes Jens Lehmann! Auf seiner Trinkflasche waren detaillierte Anweisungen zu jedem Elfmeterschützen aufgedruckt. Ich wundere mich allerdings über die Formulierungen. Stand bei Lehmann nicht einfach die Lieblingsecke der Schützen? Bei Pickford gibt es nun zu jedem Spieler klipp und klar im Imperativ Anweisungen, wie der Torwart sich verhalten soll. Wenn er einfach nur den Anweisungen folgt, was hindert die Spieler Hollands, Frankreichs oder Spaniens für den Fall der Fälle nun einfach am Tag zuvor, Elfmeter in die entgegengesetzte Richtung zu trainieren?
  • Heute mal nichts zur deutschen Fußballnationalmannschaft. Das kommt morgen wieder.

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