feverpitch.de
·29 November 2024
In partnership with
Yahoo sportsfeverpitch.de
·29 November 2024
Seit rund 30 Jahren gibt es in Deutschland kein größeres Spiel als Borussia Dortmund gegen Bayern München. Wir erinnern an die fünf aufregendsten Begegnungen
Seit drei Jahrzehnten spielen Borussia Dortmund gegen Bayern München regelmäßig den Meister aus, zu den Titelfavoriten gehörten sie quasi immer. Ihre Duelle hatten vorentscheidende Wirkung – so entstand „Der deutsche Clasico“ oder der „Germanico“. Samstagabend treffen sie in Dortmund wieder aufeinander. Wir erinnern an die fünf aufregendsten Begegnungen in Dortmund.
Eines der spektakulärsten Spiele stieg am 3. April 1999. Der Fünfte empfing den Tabellenführer, die Klubs trennten 20 Punkte, in einer der langweiligsten Spielzeiten überhaupt. Nur für einen Mann ging es um mehr als die Punktprämie: Bayern-Torwart Oliver Kahn hatte seinen Kasten schon 724 Minuten sauber gehalten – seinen Bundesliga-Rekord wollte er in Dortmund ausbauen.
Was die BVB-Fans von seiner Leistung hielten, bekam man am Bildschirm allzu deutlich zu sehen: Es hagelte vor Anpfiff Bananen für Kahn im Bayern-Tor. Der wurde schnell wild an diesem Tag, als seine Serie jäh endete. Heiko Herrlich traf vor der Pause zweimal. In der 21. Spielminute schufen die beiden einen Moment für die Ewigkeit. Herrlich war einem langen Ball hinterher gerannt, den er gar nicht erreichen konnte. Aber er wollte Kahn verunsichern und befolgte Jürgen Kohlers Rat, ihn ein bisschen mit dem Ellenbogen anzurempeln.
Der drückte daraufhin sein Gesicht auf Herrlichs Hals und schien ihn geradezu anzuknabbern. Herrlich: „Ich hielt mir als weitere Provokation demonstrativ die Nase zu, als ob er einen schlechten Atem hätte. Das Stadion lachte, Angst hatte ich in der Situation aber nicht. Das Ohr hat er mir nicht abgebissen.“
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Kahn verteidigte sich hinterher humorvoll. Er habe nur Trainer Ottmar Hitzfelds Anordnung befolgt, sich „am Gegner festzubeißen“. Ebenfalls noch in der ersten Spielhälfte streckte er dem heraneilenden Stephane Chapuisat fast in Kopfhöhe das rechte Bein entgegen, nachdem er sich den Ball gesichert hatte. Später kniff er Andy Möller ins Ohr. Alles in allem wirkte Kahn ziemlich überdreht, was sein Manager Uli Hoeneß einräumte: „Oliver muss ein bisschen aufpassen, dass er nicht überzieht.“
In einem sachlichen Moment begründete Kahn sein Verhalten schließlich so: „Ich habe eine Woche lang bei der Nationalelf nur auf die Fresse bekommen. Da hat sich bei mir Aggression aufgestaut. Je mehr sie mir auf die Fresse hauen, desto stärker werde ich.“
Eines aber hatte Kahn auf alle Fälle bewirkt: Er hat seine Mannschaft geweckt. Kahn: „Ich hatte den Eindruck, da wehrt sich keiner.“ Obwohl nach Kuffours Platzverweis (36.) dezimiert, holten sie nun das 0:2 noch auf und nahmen einen Punkt mit nach München.
Vor 24 Jahren gab es in der Woche vor Ostern ein einmaliges Kartenfestival in der Bundesliga.
Die Bayern unter Ottmar Hitzfeld strebten den Hattrick in der Meisterschaft an und tanzten noch auf zwei Hochzeiten, also Champions League und DFB-Pokal. In jenen Tagen spielten sie eher zweckmäßigem Fußball und waren keineswegs souverän. Von 27 Spielen hatten sie schon acht verloren. Weshalb die Meisterschaft 2000/2001 richtig spannend wurde.
Der BVB hatte sich nach einer Krisensaison mit Fastabstieg wieder erholt und lag unter Jungtrainer Matthias Sammer, damals 33, nur einen Punkt hinter den Münchnern. Ausverkauftes Haus, der TV-Sender Premiere übertrug die Abendpartie, die um 20 Uhr angepfiffen wurde, live. Wer auf beste Samstagabendunterhaltung gehofft hatte, wurde freilich enttäuscht. Die sich über die Jahre aufgeschaukelte Rivalität entlud sich in ungekannter Intensität. Wobei sich die Beobachter hinterher nicht einig waren, wer oder was schlimmer war: die Unfairness der Spieler oder die Leistung des Schiedsrichters.
Hartmut Strampe aus Handorf in Niedersachsen stellte in 93:08 Minuten Spielzeit zwei Rekorde auf: Er zückte 14 Karten (für 13 Spieler), davon elf gegen eine Mannschaft – die Bayern. Da war das eigentliche Ergebnis (1:1) nach Toren von Roque Santa Cruz (6.) und Fredi Bobic (52.) fast schon Nebensache. Das Spiel geriet nach 35 Minuten aus den Fugen, als Bayern-Verteidiger Bixente Lizarazu vom Platz flog. Aus Sicht des empörten Bayern-Managers Uli Hoeneß war das die erste „von über 50“ Fehlentscheidungen Strampes.
Mit zehn Mann retteten die Bayern ihren Vorsprung in die Pause. Dann traf Bobic – das war ein irreguläres BVB-Tor, weil Vorbereiter Evanilson zuvor Hand gespielt hatte. Die Bayern tobten, das Stadion kochte, nun wollten die Fans den Meistersturz.
Nach 55 Minuten war er zum Greifen nahe: Bayern-Kapitän Stefan Effenberg ließ Evanilson auflaufen, setzte dabei noch den Ellenbogen ein. Strampe zückte wieder Rot. Der Sünder gab sich nicht sehr einsichtig: „Ich rechne mit einem Freispruch.“
Neun Bayern igelten sich ein. Immer wieder lagen Borussen auf dem Boden, manche freilich machten eine Kunst daraus. „Der Herr Addo zum Beispiel gehört in den Zirkus“, attestierte Hoeneß BVB-Stürmer Otto Addo schauspielerische Fähigkeiten. Strampe hatte es wahrlich nicht leicht an diesem Tag und zückte weiter seine Karten. Vor allem gegen die Bayern, von denen sich nur Abwehrchef Patrik Andersson und Roque Santa Cruz nicht am Kartenspiel beteiligten.
Zum Bundesliga-Rekord machten die Partie letztlich die Verwarnungen für die Borussen Addo und Sunday Oliseh und der Platzverweis für Evanilson (grobes Foulspiel an Joker Sergio) in letzter Minute.
Das Nachspiel und der mediale Widerhall waren entsprechend heftig. Hoeneß drang tobend in die Schiedsrichterkabine ein, schließlich hatten die Bayern vier gesperrte Spieler. Öffentlich forderte er darüber nachzudenken, „ob man Herrn Strampe mal eine Zeit lang aus dem Verkehr zieht“.
Es folgte ein Rauschen im Blätterwald, man las von „Holzaktion statt Fußball“ (Westfälische Rundschau) oder „Der Klassiker als Symbol des Verfalls“ (Kieler Nachrichten). Langsam flaute die Erregung ab. Uli Hoeneß rief Addo an und verkündete: „Es ist alle wieder in Ordnung. Man darf doch nicht wochenlang alles auf die Goldwaage legen, was gesagt wurde.“
Schon in München hatte der BVB 1:0 gewonnen, und diese drei Punkte war er den Bayern vor dem 30. Spieltag 2011/12 voraus. Nun bot sich den Borussen an jenem Dienstagabend die Chance, für eine Vorentscheidung zu sorgen.
Lange stand es 0:0, dann traf Noch-Borusse Robert Lewandowski, der in einen Großkreutz-Schuss die Hacke hielt und unhaltbar für Manuel Neuer abfälschte. Tragische Figur am 11. April 2012 war Bayern-Star Arjen Robben, der das Abseits aufhob, anschließend einen Elfmeter (Roman Weidenfeller hielt) und eine Großchance aus noch kürzerer Distanz vergab. Ehrenpräsident Franz Beckenbauer schimpfte: „Robben hätte bei mir nicht geschossen, er war doch der Gefoulte. Diese Regel ist wohl noch nicht bis nach Holland durchgedrungen.“ Der Kicker fragte: „Werden sich Bayern München und Robben von den Fehlschüssen erholen?“ Ja, aber erst ein Jahr später – in Wembley, als er im rein deutschen Finale der Champions League das Siegtor schoss.
Nach zwei BVB-Meisterschaften hatten die Bayern 2013 zurückgeschlagen und das Triple gewonnen. Die Rivalität war seit dem Champions-League-Finale auf dem Höhepunkt. Weiter angefacht wurde sie durch den Wechsel von Mario Götze für 37 Millionen Euro von Dortmund nach München im Sommer. An diesem 23. November kehrte er erstmals nach Dortmund zurück, bloß trug er jetzt ein rotes Trikot. 80.645 Zuschauer im Stadion und Millionen an den Bildschirmen, die das in 207 Länder übertragene Spiel verfolgten, mussten Geduld haben. Trainer Pep Guardiola ließ Götze bereits zum fünften Mal in der Saison auf der Bank. Aber der Spielverlauf schrie nach einem Ballzauberer, zur Pause stand es noch 0:0 im Germanico.
In der Halbzeit lief sich Götze warm, was zunächst keiner mitbekam. Er joggte und dehnte sich im Schutz der Katakomben, um niemanden zu provozieren. Ein Schutzprogramm gegen zu erwartende Anfeindungen. „Es wäre idiotisch gewesen, das vor der Südtribüne zu machen. Wir wollten, dass Mario von den Emotionen nicht erdrückt wird“, erklärte Bayerns neuer Sportdirektor Matthias Sammer.
Nach 55 Minuten konnte ihn dann keiner mehr beschützen, Guardiola tauschte Mandzukic gegen Götze und wechselte den Sieg ein.
Ein gellendes Pfeifkonzert begrüßte den Überläufer.
Es dauerte zehn Minuten, da nahm der Nationalspieler eine Vorlage von Thomas Müller auf und schoss mit der rechten Fußspitze ins linke untere Eck – 0:1. Ein Pikser mit der Pike in die Fan-Seele der Borussia. Fast entschuldigend hob er die Arme, die Jubel-Gesten überließ er den Kollegen. Letztlich gingen die Bayern als 3:0-Sieger vom Platz. Von Götze gab es keinerlei Triumph-Geheul, unter einer Wollmütze versteckt enteilte er den Reportern. Dafür sprachen die Mitspieler. Toni Kroos befand keck: „Was soll man ihm vorwerfen? Von seiner Qualität gehört er zu Bayern, nicht zu Dortmund. Punkt!“
Am 4. Dezember 2021 war der Germanico auch rein formal ein Spitzenspiel. Der Zweite empfing den Ersten mit einem Punkt Rückstand. Wie üblich platzte das Stadion aus allen Nähten. Das Spiel bot den Fans auf dem Nachhauseweg viel Gesprächsstoff, die Münchner traten ihn nach einem 3:2-Sieg etwas gelöster an. Aber nur die Fernsehzuschauer erlebten den eigentlichen Aufreger – und auch die nur mit Verspätung.
Beim norwegischen Sender Viaplay plusterte sich der 18jährige Jude Bellingham auf und stellte Schiedsrichter Felix Zwayer verbal an die Wand: „Du gibst einem Schiedsrichter, der schon in Spielmanipulationen verwickelt war, das größte Spiel in Deutschland. Was erwartest Du?“, sagte er auf Englisch. Er spielte auf zwei Elfmeterszenen an. Beide wurden nicht im Sinne der Dortmunder entschieden. Nach einem vermeintlichen Foul von Lucas Hernandez an Marco Reus ließ Zwayer weiterspielen, der VAR meldete sich auch nicht. „Das hätte er sich wenigstens mal anschauen müssen“, fand Reus.
In der 77. Minute ließ Zwayer nach einem seltsamen Handspiel von BVB-Abwehrchef Mats Hummels zunächst weiter laufen, dann kam die Intervention aus dem Kölner Keller. Zwayer eilte zum Bildschirm an den Spielfeldrand und gab Elfmeter, den Robert Lewandowski zum 2:3-Endstand verwandelte. Normaler Bundesliga-Alltag in VAR-Zeiten.
Aber wenn das Topspiel der Liga auf solche Weise entschieden wird, schlagen die Wellen hoch. BVB-Trainer Marco Rose musste von seinen Assistenten festgehalten werden, sah trotzdem Gelb-Rot. Und Bellingham, der auf Zwayers Verwicklung in den Fall Hoyzer (2004/05) hingewiesen hatte? Der Teenager musste wegen „unsportlichen Verhaltens“ 40.000 Euro bezahlen; eine Sperre blieb ihm erspart.
Langsung