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·23 juin 2024

Tränen bei Kimmich: Heute schämt man sich dafür

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Die ZDF-Doku weckt Erinnerungen an die Corona-Zeit, als Impfgegner scharf kritisiert wurden. Wir sehen im Sportler zu selten den Menschen

Ich sehe Menschenmassen in deutschen Straßen: orange wie die Holländer, rot wie die Türken, bunt wie das Leben. Und nur ganz selten schießt mir die Erinnerung in den Kopf, dass wir noch vor drei Jahren EM-Spiele vor ausgedünnten Stadiontribünen erlebt haben. Die Corona-Zeit ist gar nicht so lange her, wie wir meinen. Wir haben das Thema nur verdrängt.


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Erst Joshua Kimmich führte mir jetzt vor Augen, was ich in meinem Hinterstübchen weggesperrt hatte. Anfeindungen zwischen Impfbefürwortern und Impfgegnern: Die ZDF-Dokumentation über ihn als „Anführer und Antreiber“ katapultierte mich am Samstagabend in die Tage zurück, als ich Kimmich zum Teufel jagen wollte. Heute schäme ich mich dafür.

2021 kam heraus, dass Kimmich jede Corona-Impfung abgelehnt hatte. Er fühlte sich nicht ausreichend informiert, was die Impfstoffe mit seinem Körper machen. Weil der Körper aber wie bei jedem Spitzensportler das größte Kapital ist, verweigerte er den branchenüblichen Pieks in den Oberarm. Als seine Skepsis publik wurde, brach die Welt über ihn herein.

Die ZDF-Doku legt sein Leiden schonungslos offen. Sein Arbeitgeber, der FC Bayern, stoppte sein Gehalt. Ein Freund machte seine Verweigerung dafür verantwortlich, dass Menschen starben. Als Kimmich darauf zu sprechen kommt, dreht er die Kamera weg. Niemand soll seine Tränen sehen. Die Wunden sind, anders als unsere Erinnerung, immer noch frisch.

In diesem Moment kroch die Scham in mir hoch. Auch ich habe Kimmich damals scharf kritisiert, dass er seine Vorbildfunktion missachtet hatte. Ich bin immer noch der Meinung, dass Impfen das probate Mittel gegen jede Pandemie ist. Aber Häme und Wut auf Mitbürger, die anders denken? Die Doku über Kimmich und seine Tränen brachten mich zum Nachdenken.

Ich habe damals nur seine Rolle gesehen: Bayern-Profi, Nationalspieler, angehender Kapitän, halt Anführer und Antreiber - ein Vorbild. An so einen begnadeten Fußballer stellen wir Anforderungen und Erwartungen, die das Wichtigste ignorieren: ihn als Mensch, Ehemann, Familienvater. Der Grund ist leicht erkennbar: Wir Sportjournalisten erleben ihn meistens als Sportler.

Und Sportler, die Vorbild sein sollen, lassen sich impfen, damit alle sehen: Es hilft - machen wir’s ihm nach. Aber Sportler sind Menschen und haben Gefühle, Bedenken, Ängste, Sorgen - die sieht man nur nicht. Das Trikot ist eine Uniform, die alle Fußballspieler gleich erscheinen lässt. Aber das sind sie nicht. Die Kimmich-Doku hält uns den Spiegel brutal vors Gesicht.

Wir erleben Joshua Kimmich, wie er seinen Weg in den Profifußball bahnt, plötzlich in der Bayern-Kabine seinen Platz beanspruchen darf und auf dem Trainingsplatz verteidigen muss, wie er gleich ein Leben mit seiner Frau und inzwischen vier Kindern aufbaut, Richtfest feiert und Schuhplattler herzt. Ich konnte mich bei diesen Einblicken nicht sattsehen.

Und wenn ich jetzt erlebe, wie meine Meinung über Kimmich auf den Kopf gestellt wurde, frage ich mich: Warum gibt es nicht noch mehr von diesen Dokumentationen, die nicht das Marketing bedienen, sondern einen Menschen zeigen, wie er ist. Mit Transparenz würden wir auch den Sportler und sein Wirken besser verstehen. Nicht nur zur Corona-Zeit.

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