TSG Hoffenheim
·19 novembre 2024
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·19 novembre 2024
Anfang Oktober wurde Andreas Schicker als neuer Geschäftsführer Sport der TSG Hoffenheim vorgestellt. Der 38-Jährige kam hochdekoriert – im Sommer hatte der Österreicher Sturm Graz zum Double in seinem Heimatland geführt. Im Interview mit SPIELFELD spricht der Vater eines kleinen Sohnes über seine Vorliebe für einen aktiven Spielstil, die Pläne mit der TSG, die Gefahr der Wohlfühloase und die Notwendigkeit einer gemeinsamen Klub-Identität.
Herzlich willkommen bei der TSG, Andreas Schicker. Du hast am 9. Oktober Deinen ersten Arbeitstag in Hoffenheim gehabt. Was war Dein erster Eindruck, wie bilanzierst Du die ersten Wochen?
„Der erste Eindruck, speziell was die Infrastruktur und die schiere Größe angeht, war schon gleichermaßen überraschend wie überragend. Dazu entwickelt es schon eine Wucht, wenn man reinkommt und gefühlt 200 Gesichter bei der Mitarbeitendenversammlung sieht und sich am besten alle gleich merken soll. Da war für mich schnell klar, dass ich den Fokus zunächst einmal auf das Lizenz-Team – die Kampfmannschaft, wie es in Österreich so schön heißt – richten muss. Da war und ist es wichtig, dass wir Ruhe reinbekommen, dass ich dort jedem wieder das Gefühl vermittele, dass es eine Ansprechperson gibt. Viele haben spürbar darauf gewartet, dass die Position besetzt wird und sie richtig loslegen können. Alle hier bei der TSG sind fleißig und wollen das Bestmögliche für den Verein erreichen, aber wenn sie nicht genau wissen, in welche Richtung und wie sie arbeiten sollen, ist es für jeden schwer. Darum war mir auch wichtig, dass die weiteren Positionen in der Sportlichen Leitung dann mit Paul Pajduch und Frank Kramer gleich mitbesetzt wurden, so dass dort ebenfalls Klarheit herrscht.“
Was war Dir denn zuvor von der TSG bekannt?
„In Hoffenheim haben ja immer wieder zahlreiche Österreicher gespielt, entsprechend war es ein Verein, den man schon in der Vergangenheit näher verfolgt hat. Letztlich sogar schon in der ersten Phase unter Ralf Rangnick, als die TSG damals völlig überraschend Herbstmeister wurde – das hat natürlich auch in Österreich hohe Wellen geschlagen. Der Verein stand immer dafür, einen neuen, mutigen Weg zu gehen. Da denke ich etwa an einen Julian Nagelsmann zurück, der hier in sehr jungen Jahren Cheftrainer wurde. Und in Sachen Innovation – Stichwort Footbonaut oder Helix – sowie im Umgang mit Daten war die TSG ohnehin schon immer ein Vorreiter. Der Weg des Klubs war und ist auch international vorzeigbar. Die Frage ist nun: Wie ist es möglich, auch in der Region die Begeisterung dafür wieder zu wecken? Das ist auch mein Anspruch, mein Anreiz, dass wir dorthin zurückkommen. Es soll wieder deutlicher werden, wofür die TSG steht. Dafür braucht es klare Entscheidungen.“
Kannst Du das ein bisschen ausführen? Mit welcher Zielsetzung, sportlich wie kulturell, trittst Du hier an?
„Ich glaube, dass der Klub Personen braucht, die von innen heraus richtig viel Energie mitbringen. Wenn man in die Vergangenheit blickt, in die erfolgreichen Phasen des Klubs, war das immer der Fall. Das ist eine ganz, ganz wichtige Eigenschaft an diesem Standort: Du musst das Feuer von innen entzünden, und es dann nach außen übertragen. Die TSG ist ein Klub, bei dem das umgekehrt eher nicht passiert. Da ist es wichtig, sich grundsätzlich zu fragen: Wie kann man das schaffen? Welchen Fußball muss man dafür spielen? Der Hoffenheimer Fußball war im Prinzip immer sehr attraktiv, offensiv. Wenn du hier irgendeinen Mauerfußball mit sechs Verteidigern spielen würdest, dann würde es richtig schwer. Entsprechend braucht es eine klare Spielidee.“
Gibt es den Willen, diesen Spielstil nicht nur bei den Profis, sondern eben auch bei den Akademie-Teams zu implementieren?
„Die Durchlässigkeit zur Akademie ist ein zentraler Punkt. Die U19 hat das Double geholt, die U23 spielt um den Aufstieg in die 3. Liga. Das ist überragend. Da sollte es uns immer wieder und auch weiterhin gelingen, Spieler zu den Profis hochzuziehen. Das ist ja auch der klassische TSG-Weg. Um diese Chance zu erhöhen, ist mittelfristig sicher mein Ziel, dass man die Idee Schritt für Schritt implementiert. Das fängt damit an, dass es ein einheitliches Wording geben sollte, das jeder zum Beispiel weiß, was die rote Zone ist, wo bestimmte Räume beginnen, die ich zu belaufen habe, die Positionen einheitlich benannt sind; dass ein U19-Spieler, wenn er zu den Profis raufkommt, weiß, wovon gesprochen wird. Wenn alle im Verein die gleiche Sprache sprechen, alle in eine Richtung denken, es eine gemeinsame Welt, eine Identität gibt, dann kann es diese Energie von innen freisetzen. Das ist das, was der Verein braucht.“
Du hast bei der Vorstellung gesagt, der Anspruch wäre es durchaus, regelmäßig um die europäischen Plätze zu spielen.
„Grundsätzlich geht es natürlich nicht immer nur um den reinen Tabellenplatz. Wenn du ein Team mit einem Durchschnittsalter von 23 Jahren hast, und dann mal auf dem 13. Platz landest, weißt du zugleich, dass es ein Übergangsjahr war, aber trotzdem etwas mit Perspektive entsteht. Wenn das Team jedoch 28 Jahre im Schnitt ist und 13. wird, hast du ein Problem. Ich möchte perspektivisch mit einem jungen Team, das dann bestenfalls zu den drei jüngsten der Liga gehört, immer wieder auch um Europa kämpfen – und so für Überraschungen sorgen.“
Zuletzt hatte der Verein offenkundig Probleme bei der Resonanz. Die Zuschauerzahlen etwa sind seit mehreren Jahren rückläufig, beim Pokalspiel gegen den 1. FC Nürnberg waren die Gäste-Fans gefühlt fast in der Überzahl…
„Ich bin ehrlich: Das hat mich schon sehr erschrocken. Ich glaube, das sollte bei einem Heimspiel nicht allzu oft passieren. Am Ende des Tages ist die Unterstützung aber natürlich auch sehr eng an den Sport gekoppelt. Da können die besten Aktionen kommen, die besten Marketingideen der Welt erarbeitet werden: Wenn der Sport nicht funktioniert, dann ist es schwierig. Aber es wird eben grundsätzlich wichtig sein, wieder eine gute, emotionale Beziehung zu den Menschen in der Region aufzubauen, so dass der Hoffenheim-Fan aus dem Kraichgau oder der Kurpfalz sagt: ‚Da gehe ich gerne hin, da passiert was.‘ Ich glaube, dass man das perspektivisch auch gut schaffen kann – mit der Durchlässigkeit, mit jungen Spielern, die hier den Durchbruch schaffen, die gefühlt das Herz auf dem Platz lassen. Wir haben viele Spieler, bei denen ich glaube, dass es in eine gute Richtung geht. Ein wesentlicher Punkt wird aber auch sein, konsequent den Fan von morgen anzusprechen, wieder viel mehr Jugendliche und Kinder ins Stadion zu bekommen. Dabei sollte es erst einmal grundsätzlich keine Denkverbote geben. Wir wollen die jungen Fans für uns gewinnen. Dazu gehört auch, die Profis wieder deutlich anfassbarer zu machen. Das ist ein Punkt, den ich unbedingt umsetzen will, beispielsweise mittels Schul-Touren, bei denen man eben auch verletzte Profis oder Nicht-Kader-Spieler viel besser nutzen kann. Wir als Klub müssen aktiv werden, rausgehen – nicht umgekehrt.“
Aber das ruhige Umfeld bietet ja grundsätzlich auch eine Chance.
„Natürlich. Bei emotionalen Traditionsvereinen wie beispielsweise dem FC Schalke 04 oder dem 1. FC Köln hätten in so einer heiklen Situation wie bei uns im Sommer wahrscheinlich Tausende Leute am Platz gestanden. Diesbezüglich sind wir schon gesegnet. Aber ruhig darf niemals bequem heißen, nicht Wohlfühloase bedeuten. Die Ruhe im Umfeld heißt für mich übersetzt: Wir haben hier super Bedingungen, durch die wir ruhig arbeiten können. Junge Spieler können sich super entwickeln und sie wissen: ‚Wenn ich hier perfome, dann geht es weiter.‘ Und die Tür dorthin, wo es für sie weiter gehen kann, die wollen wir ihnen aufmachen. Denn dessen müssen wir uns in Hoffenheim bewusst sein: Wir bilden junge Spieler so gut aus, dass es für sie woanders weitergehen kann, sie bei einem anderen, größeren Verein durch einen Transfer ihren nächsten Karriereschritt machen können. Und zugleich ist es wichtig, dass die erfahrenen Spieler im Kader, die man natürlich auch braucht, immer in Richtung Erfolg denken und somit immer weitermarschieren. Ich will hier auf Dauer jedenfalls keine Spieler haben, die vor allem die Ruhe genießen wollen.“
Aber ist das nicht ein nachvollziehbarer Gedanke?
„Die Gefahr ist menschlich, das will ich nicht abstreiten. In Graz habe ich es ja auch so erlebt. Da hatten wir zwischenzeitlich drei, vier Spieler im Kader, die waren zufrieden, wenn wir am Wochenende das Spiel gewonnen haben und wussten: ‚Nun kommen ruhigere Wochen, da mache ich es mir gemütlich.‘ Aber Fußball muss am Ende unbequem sein, damit du erfolgreich bist.“
Stichwort Graz: Wie schafft man es denn, aus einem Team wie Sturm Graz in Konkurrenz zum Serienmeister RB Salzburg eine Gewinner-Mannschaft zu formen, die am Ende das Double holt?
„Wir haben uns schon klare Parameter aufgeschrieben, bei denen wir Schritte nach vorne machen können, um in Richtung RB aufzuholen. Diese haben wir definiert, mit guten Analysen und Daten auch inhaltlich geprüft, und dementsprechend dann auch am Kader geschraubt, Wir haben etwa gewusst, dass Salzburg physisch außergewöhnlich stark war und uns auf die Fahnen geschrieben, dass wir da unbedingt ran müssen, wenn wir aufholen wollen. Und in den vergangenen zwei Jahren haben wir Salzburg in Sachen Laufleistung und physischer Stärke dann tatsächlich auch einfach überholt, weil wir wussten und für uns definiert hatten: Das ist etwas, was wir leisten können.“
Weil es ein vermeintlich talentfreier Aspekt ist.
„Exakt. Und wir haben im Scouting dann schon auch nach ‚Vollmaschinen‘ geschaut. (lacht) Wir haben also Spieler geholt, die physisch stark waren und marschieren können. Wir haben gewusst, wenn wir Salzburg bei ihrer Art und Weise des Fußballs physisch überholen, dann schaut es plötzlich gut für uns aus. Wenn wir uns zuletzt die Laufdaten in Graz angeschaut haben, waren wir in der Regel gefühlt ein Spieler mehr auf dem Platz, sind zwischen acht und zwölf Kilometer mehr gelaufen als der Gegner – speziell auch intensive Meter. Das war etwas, was uns am Ende ausgezeichnet und erfolgreich gemacht hat.“
Kann man das auf die TSG übertragen, die sich ja zuletzt schon eher über einen spielerischen Ansatz definiert?
„Der Fußball entwickelt sich immer weiter, und der spielerische Ansatz soll ja nicht verloren gehen. Aber spielerischer Ansatz heißt ja prinzipiell nicht ‚träger Ballbesitz ohne Raumgewinn‘. Es geht darum, immer aktiv zu sein, viel vertikales Spiel, schnell nach vorne, rein in die Endzone, mit zahlreichen Strafraumsituationen. So stelle ich mir den Fußball vor, dafür braucht es dann aber auch das entsprechende Personal. Da versuche ich künftig in den Entscheidungen klar zu sein.“
Gehört diese Klarheit zu den prägenden Eigenschaften des TSG-Geschäftsführers Andreas Schicker?
„Ich habe es noch als aktiver Spieler erlebt, wenn man auf eine Entscheidung gewartet hat, ob verlängert werden soll oder nicht. Meine persönlichen Gedanken waren damals: ‚Sie sollen es halt sagen, egal in welche Richtung.‘ Deshalb ist es mir wichtig, dass die Spieler schnell Klarheit haben. Egal ob positiv oder negativ, und man gegebenenfalls sagt: ‚Dein Profil passt nicht zu unserer Idee.‘ Im ersten Moment wird der Spieler vielleicht enttäuscht sein, aber im zweiten Schritt ist es immer die bessere Option, als solche Entscheidungen ewig hinauszuzögern.“
Wie lange dauert es, bis der Kader nach Deinen Wünschen und Vorstellungen zusammengestellt sein kann?
„Es braucht sicherlich drei bis vier Transferphasen, bis man wirklich eine Richtung hat und sich die eigenen Ideen widerspiegeln. Am Anfang geht es nun erst einmal um die Basis, um die grundsätzliche Ausrichtung. Danach geht man dann schon mehr ins Detail, deutlich positionsorientierter.“
Gibt es denn übergreifende Eigenschaften, die Du grundsätzlich gern im Kader siehst?
„Allgemein im Scouting gilt: Junge Spieler mit speziellen Fähigkeiten sind immer top. Die lassen sich dann perspektivisch auch in der Regel wieder gut und teuer verkaufen. Auf jeden Fall besser als jemand, der in allen Parametern schon sehr ordentlich ist. Zudem ist Tempo sicher ein Thema, dass wir gerade auch offensiv noch brauchen. Da sind wir jetzt aktuell schon sehr abhängig von Bülti (Marius Bülter; d. Red.). In anderen Gebieten haben wir ja eine gute Grundbasis, mit Spielern wie Andrej Kramarić echte Leader, einen, der sehr ehrgeizig ist. Oder auch jemanden wie Oliver Baumann, der ein super Kapitän ist, der ebenso gierig ist auf Erfolg. Diese Eigenschaft ist ein wichtiger Antrieb.“
Du selbst bist gerade einmal 38 Jahre alt, warst schon in Graz verantwortlich, nun Geschäftsführer in der Bundesliga bei der TSG Hoffenheim. Muss man dafür ein geborener Leader ein?
„Ich bin grundsätzlich niemand, der sich daran erfreut, negative Botschaften zu verkünden. Das macht schon etwas mit mir, aber am Ende bin ich in den Entscheidungen klar. Meine Stärke – so glaube und hoffe ich – ist es, auf dem Weg die Menschen mitzunehmen, allen das Gefühl zu geben, dass wir grundsätzlich auf Augenhöhe sprechen. Danach musst du in dieser Position ohnehin allein die Entscheidungen treffen, das ist mir bewusst. Ich bin aber so ehrgeizig, dass ich da auch vorneweg gehe. Und ich hoffe, dass die Menschen in der Region dann auch merken: Der Andi Schicker will was erreichen mit der TSG.“
Hattest Du denn schon als Spieler diese Führungsqualitäten?
„Ich war jetzt nie der Lautsprecher in der Kabine, aber ich war definitiv ein ruhiger Leader. Ich war in meinen Teams immer im Mannschaftsrat, in der österreichischen U21 und bei der Wiener Neustadt dann Kapitän. Auch, wenn ich nicht den Mund als erster aufgemacht habe: Wenn ich etwas gesagt habe, auch in Richtung Trainer, hatte ich schon immer das Gefühl, dass es Gewicht hatte.“
Gibt es etwas, worauf Du selbst jetzt bei Spielern charakterlich achtest?
„Also bei mir gibt es keinen Spieler, der ohne ein persönliches Gespräch zu uns kommt. Ich denke schon, dass ich da ein gutes Gefühl habe für den Menschen gegenüber, bei dem ich weiß: Okay, das passt oder passt nicht. Denn egal, was die Daten sagen: Es geht nicht immer darum, den Besten zu finden, sondern den Richtigen.“