Rund um den Brustring
·7 de diciembre de 2024
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·7 de diciembre de 2024
Gegen Union Berlin lässt der VfB am Freitagabend auf eine grauenhafte Halbzeit eine richtige Energieleistung folgen und holt am Ende einen wichtigen Heimsieg. Für den Erfolg kam diesmal einiges zusammen.
Was ist am unwahrscheinlichsten: Dass der VfB einen 0:2‑Rückstand nach 50 Minuten noch in einen Sieg dreht? Dass Atakan Karazor ein Bundesliga-Tor schießt? Oder dass Nick Woltemade einen Doppelpack schnürt? Wahrscheinlich kann man sich das Erstgenannte noch am ehesten vorstellen, dafür mussten aber am Freitagabend die anderen beiden Sachen auch geschehen. Karazors Premierentor in der Bundesliga wurde dabei durch einen kapitalen Bock von Frederik R∅nnow begünstigt, den er gedankenschnell ausnutzte. Dass Nick Woltemade Tore schießen kann, hatte sich zuletzt schon abgezeichnet. Mit welcher Technik und welchem Stellungsspiel er aber die zuvor für die Angriffsbemühungen des VfB zu eng gestaffelte Union-Abwehr überwand, dürfte jeden überrascht haben. Wieder einmal zeigte sich an diesem Abend: Der VfB kommt (fast) immer zurück und er kann sich auf einen relativ breiten Kader verlassen, in dem ein Stürmer, wenn nötig, einfach mal seinen zweiten Bundesliga-Doppelpack in seiner jungen Karriere schnürt.
Was aber in diesem Spiel auch deutlich wurde: Der VfB fällt aktuell häufiger Mal in eine Art Matarazzo-Endphasen-Starre zurück. Zum Beginn der vorvergangenen Saison funktionierte ja wirklich überhaupt nichts mehr und so war es auch diesmal vor dem Seitenwechsel. Die Brustringträger agierten hinten fahrlässig und unkonzentriert und hatten vorne außer einem Steckpass auf Demirovic, den dieser aus schwieriger Position nicht verwerten konnte, keine Ideen. Das hatte auch viel mit der rechten Außenbahn zu tun: Josha Vagnoman war als offensiver Außenspieler völlig unsichtbar, während Leo Stergiou und Anthony Rouault defensiv nicht die größte Stabilität ausstrahlten. Beim 0:1 kam dann alles zusammen: Ein nicht unterbundener Pass auf den völlig freien Andras Schäfer, von dem Chris Führich und Stergiou viel zu viel Abstand hielten. In der Mitte Anrie Chase mit einem sehr wilden Stellungsspiel und schlussendlich ein Alex Nübel, der den Ball scheinbar fangen statt fausten wollte und dabei das eigene Gleichgewicht überschätzte — und auch in der Folge etwas unsicher wirkte.
Der VfB machte also das, was er in der Vergangenheit schon regelmäßig gegen Union Berlin falsch gemacht hatte: Ein Kacktor kassieren und sich dann an einer Mannschaft, deren einziges Ziel ebenjenes Kacktor war, die Zähne ausbeißen. Ein Spiel, welches einem wie damals fast schon körperliche Schmerzen bereitet, weil die Mannschaft einfach komplett hilflos wirkt, während sich der Gegner darauf beschränkt, Pässe abzufangen und schnelle Konter einzuleiten. Was wiederum die Frage aufwirft, ob wir Union in der ersten Halbzeit stärker machten, als sie eigentlich sind, oder ob die Berliner einfach nach der eigenen Führung komplett die Kontrolle verloren. Oder vielleicht lag es einfach an Nick Woltemade. Der kam zur Pause für den glücklosen Stergiou, wodurch Vagnoman wieder auf die Rechtsverteidiger-Position rückte. Mit Woltemades Ballkontrolle, aber auch seinem Laufspiel kamen die Gäste überhaupt nicht zurecht und innerhalb von zehn Minuten nach dem scheinbar vorentscheidenden 0:2 hatte er das Spiel wieder ausgeglichen.
Mit so vielen Gegentoren kam Union, die zwar erst zehn Tore geschossen, aber auch erst elf kassiert hatten, offenbar nicht klar. Die zweite Halbzeit war ein komplett offenes Spiel, in dem der VfB die Gäste zeitweise überrannte, allerdings auf der anderen Seite auch Chancen zuließ. Wie blank die Nerven bei den Köpenickern zeitweise lagen, zeigte sich an den den Reaktionen auf die Schwalbe von Vertessen, die zahlreiche gelbe Karten nach sich zogen. Dass der Siegtreffer dann aus einem Torwartfehler resultierte, passte zu diesem wilden Spiel. Erneut hatte der VfB gegen eine tabellarisch ähnlich situierte Mannschaft am Ende seine individuelle Qualität auf den Platz gebracht und am Ende mindestens genau so viel, oder in diesem Fall ein Tor mehr geschossen als der Gegner.
Mitunter hieß es nach dem Sieg in Regensburg, die dort streckenweise gezeigte Leistung würde gegen Union nicht reichen. Ganz widersprechen kann man diesen Stimmen nicht, denn entweder war die Mannschaft von Beginn an bereit, es mit diesem anstrengenden Gegner aufzunehmen, aber konnte es nicht umsetzen. Oder sie war ernsthaft überrascht davon, dass Union spielt wie Union. Die vielen Gegentore werden jedoch zunehmend zu einer Hypothek. Gegen Bremen und Frankfurt wäre wesentlich mehr drin gewesen, wäre man hinten nicht derart offen — von Belgrad will ich gar nicht sprechen. Und das liegt nicht nur an einzelnen Spielern, die für sich genommen keine katastrophale Leistung über 90 Minuten zeigen. Viel mehr gelingt es der Mannschaft im Kollektiv nicht, Tore nach Flanken oder Ecken wie die von Doekhi, Njinmah, Stage oder Ekitiké zu verhindern. Entweder ist es das Stellungsspiel, oder die Erschöpfung. Das eine kann man trainieren, das andere muss man aushalten oder rausrotieren.
Unterm Strich hat die Mannschaft aber — mal wieder — die Kurve gekriegt und den vielleicht wichtigsten Sieg dieser anstrengenden Hinrunde gelandet. Vielleicht ist es zu weit gegriffen, dieses Spiel mit dem gleichen Ergebnis gegen Hamburg damals in der zweiten Liga zu vergleichen, weil Union kein direkter Konkurrent um die ersten drei Tabellenplätze ist. Aber ein solcher gemeinschaftlicher Erfolg, den Karazor mit seinem Jubel mit der Bank verdeutlichen wollte, könnte nochmal eine Initialzündung für den Jahresabschluss gegen Bern, Heidenheim und St. Pauli werden. Am Mittwoch wird man sich jedenfalls eine solche erste Hälfte nicht leisten können, das haben die bisherigen Champions League-Spiele gezeigt. Zwischen Heidenheim und St. Pauli hat die Mannschaft dann immerhin mal Zeit zum trainieren und eventuell auch Jamie Leweling und Deniz Undav wieder an Bord. Sieht doch alles schon wieder etwas freundlicher aus als am Freitagabend um 21.15 Uhr.
Zum Abschluss noch gute Besserung an den reanimierten Union-Fan!
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass umdribbelt das Nikolaus-Wortspiel und feiert den Tech-Nick, Stuttgart.international kennt da nix und preist Sankt Nickolaus.
Titelbild: © Sebastian Widmann/Getty Images