FC Schalke 04
·3 de agosto de 2023
50 Jahre Parkstadion: „Die sind bekloppt hier!“

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Die Rolltreppe! Youri Mulder gerät gleich ins Schwärmen. Eigentlich eher aus der Gattung schmuckloses Kaufhausvehikel, doch für den ehemaligen S04-Sturmliebling hatte sie etwas Magisches. „In Holland haben sie damals gesagt: ,Boah, du gehst zu einem Verein mit einer Rolltreppe!‘“ Umso besser hat er sein erstes Mal im Parkstadion vor Augen: Sommer 1993, Derby, Rolltreppe abwärts: „Das war sensationell. Du hast oben gestanden und noch nichts gesehen. Dann sind das Stadioninnere und der Rasen langsam nähergekommen – wie in einem Film.“
Auf den Rängen schwillt die Lautstärke an, als die Gladiatoren Richtung Manege fahren. Offiziell 62.100 Zuschauer wollen das Derby und den neuen Jungen aus dem Nachbarland sehen: „Ich denke aber, es waren zehntausend mehr, weil das Stadion völlig überfüllt schien“, meint Mulder. Sein allererster Flirt mit dem Parkstadion ist da bereits fünf Jahre her …
1988 reist der 19-Jährige mit Freunden, Zug und Bahn als Fan nach Gelsenkirchen zum EM-Gruppenspiel der Niederlande gegen Irland. „Das war total komisch, denn das Parkstadion lag ja in einer Kuhle und war aus der Bahn nicht zu sehen. Wir haben alle gedacht: Wo ist es? Dann läufst du hin, schaust runter, und es ist alles oranje bis auf ein kleines Stück grüner Irland-Fans.“ Seine Mannschaft gewinnt ein schlechtes Spiel mit 1:0, das hat der heute 54-Jährige noch ebenso parat wie seinen schlechten Eindruck von der Stadt: „Als wir mit der Straßenbahn die Kurt-Schumacher-Straße entlangfuhren, die ja nicht gerade der schönste Boulevard ist, dachte ich: Stell dir vor, du würdest hier wohnen – fünf Jahre später habe ich genau dahinter an der Schalker Straße gewohnt“, erzählt Mulder und muss lachen.
Er spielt immer gerne im Parkstadion, erwähnt Platzwart Engelbert Siegel, der den Platz super gepflegt habe. Dass das Oval auch durch die Laufbahn recht ausladend erscheint, ist genau Mulders Ding: „Ich habe nie ein Gesicht gesehen, nur eine Menge von Leuten als Publikum empfunden, das gejubelt oder gepfiffen hat.“ In den modernen Stadien wie der VELTINS-Arena könne man an den Gesichtern ablesen, „wenn die Fans böse sind, weil du scheiße spielst. Manchmal hat man sogar Ohrensausen danach. Das ist sehr beeindruckend, kann auch motivieren und ist definitiv schöner als zu unserer Zeit. Aber als Spieler fand ich den Abstand tatsächlich angenehm.“
Auf dem Rasen muss sich der Niederländer zunächst an die Gangart der Bundesliga gewöhnen, danach scheut er keinen Zweikampf mehr. In jenem Derby bekommt er es gleich mit Michael Schulz zu tun, der sich stets viel Mühe gibt, seinen Ruf als eisenharter Verteidiger zu untermauern. „Wenn der Schiedsrichter nicht hinschaute, habe ich auch manchmal Sachen gemacht“, gibt Mulder zu. Aber Schulz habe ihn im selben Spiel ebenfalls einmal richtig gefällt. Passt schon. Und am Ende jubelt Königsblau. Der „fliegende Holländer“ köpft bei der Heimspiel-Premiere nicht nur sein erstes Tor für den S04, sondern zugleich den Siegtreffer. Schulz ist dabei unter Ingo Anderbrügges Flanke hinweggetaucht. Der Legende nach hat ein Schalker „Leo“ gerufen, einen gebräuchlichen Wink des Torhüters an seine Mitspieler, dass er die Situation unter Kontrolle hat. Nur: BVB-Keeper Klos war still geblieben. „Kann sein, dass ich das gewesen bin“, sagt das Schlitzohr, relativiert aber: „Ich kannte den Ausdruck noch gar nicht.“ In seiner Heimat heiße es „Lass“ statt „Leo“, was jedoch per se verpönt sei. Also hier die Auflösung: „Ich hab mich einfach sehr gut positioniert …“
Wenn er das Parkstadion durch die Brille der 90er-Jahre beschreiben soll, blickt das heutige Aufsichtsratsmitglied auf eine typische 70er-Jahre-Architektur, sachlich, zweckmäßig. „Wenn Fotografen aus Holland kamen, wollten sie mich immer vor Betonwänden und schweren Eisentüren ablichten. Schicki-Micki gab es nicht.“ Grinsend denkt er an Rudis Rauchschwaden, wenn Manager Assauer mit Zigarre sogar in der Sauna gesessen hat, an große Kabinenräume, die Kaffee-Ecke und ein Stangenbad. Stangenbad? „Das war so eine Badewanne mit Elektroimpulsen. Ich hab nur gedacht: Die sind bekloppt hier!“
Praktisch ist hingegen der Mehrwert der Kabinenräume. Der Ex-Profi verrät keine Namen, doch wenn einige Spieler damals nach erfolgreichem Arbeitstag durch die Stadt ziehen, endet der Abend schon mal dort. Schlüssel organisiert, ein Kasten Bier ist immer da, kleine Party und dann auf den Physio-Bänken einnicken. „Eines Nachts, ich glaube, es waren auch ein paar Mädels dabei, da wollten wir ins Entmüdungsbecken“, gesteht Mulder grinsend, „wir wussten aber nicht, dass es drei Stunden dauert, bis das voll ist. Während das Wasser lief, sind wir eingeschlafen, und am nächsten Morgen hat der Physio uns wütend geweckt. Ich habe nur gesagt: ,Mach ruhig, wir wollten bloß ein bisschen feiern.‘“
Letzteres will er auch 2001 nach dem Abpfiff des letzten Parkstadion-Heimspiels. 5:3-Sieg gegen Unterhaching, die Bayern verlieren beim HSV, Schalke ist nach 43 Jahren endlich wieder Deutscher Meister. Mulder hüpft mit den Kollegen über den Rasen und will zum Feiern in die Kabine. Er weiß noch, dass die magische Rolltreppe am Ende ihren Zauber verloren hatte, weil die Reparaturkosten sich nicht mehr gelohnt hätten. Noch beim Hochlaufen bemerkt er, dass auf der Leinwand im Stadion irgendein Spiel gezeigt wird. In der Kabine fliegen Sachen quer durch den Raum, jemand hält einen Schrank wurfbereit in Händen. Der Niederländer lässt die Stimme der Vernunft erklingen: „Ruhig Jungs – wir sind Meister, da müssen wir jetzt nicht alles kaputtmachen.“ Da erzählen sie ihm, dass sie kein Meister sind. „Während meines Wegs nach oben ist das Tor in Hamburg gefallen. Und dann war alles ganz still. Das war heftig.“ Als Huub Stevens und die Spieler danach schweigend und weinend von der Haupttribüne auf die Masse Fan-Elend starren, da habe er den Gedanken nicht gehabt, „aber die Meisterschaft zu gewinnen, wäre der perfekte Abschied vom Parkstadion gewesen“.
Auch deswegen hätte er liebend gerne ein Erinnerungsstück aus der alten Betonschüssel behalten, wofür es irgendwann zu spät war. Sein Vater Jan hat aus dem alten Stadion des RSC Anderlecht, wo er gespielt hatte, einen riesigen Präsidenten-Schreibtisch für sein Haus mitgenommen. „Ich musste ja nicht unbedingt einen Flutlichtmasten in meinen Garten stellen, eine Sitzbank oder ein Andenken aus der Kabine hätte ich trotzdem gerne gehabt“, betont Youri Mulder. Aber das mit dem Flutlicht, das sei natürlich sagenhaft, findet er noch heute. „Auch mein Bruder, der oft mit dem Auto kam, staunte immer wieder, wenn man bei Abendspielen von der A2 aus diese vier Leuchttürme gesehen hat. Da fing sofort das Kribbeln an.“
Wussten Sie, dass Youri Mulder im Parkstadion nicht nur Fußball gespielt, sondern auch ein Konzert gegeben hat? „Es kamen nur keine Leute“, erinnert er sich schmunzelnd. Ex-Profi und Fußballreporter Hans Kraay Jr. will 1993 einen launigen Beitrag über seinen Landsmann drehen, der sofort zusagt, unter anderem, „weil ich mit Sonnenbrille wie Heino aussah“. Den Clip klickt er heute noch gerne an: „Das Parkstadion-Panorama ist so schön aufgenommen mit der Rolltreppe und den Flutlichtmasten. Wir haben noch versucht, die Lichter anzumachen, aber das klappte irgendwie nicht.“