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·13 May 2025
Von Hass und Liebe – nicht nur beim VfB Stuttgart

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·13 May 2025
Eigentlich hasse ich die Menschen. Beziehungsweise die Männer. Ganz besonders die fußballauswärtsfahrenden Männer. Um es mit Thomas Hobbes zu sagen: Der gemeinsam mit mindestens einem anderen Mann auswärtsfahrende männliche Fußballfan ist von Natur aus schlecht. Wobei Ausnahmen hier natürlich, wie ganz generell, die Regel bestätigen. Zu den Ausnahmen gehören selbstverständlich manche meiner Freunde sowie einige der mir bekannten VfB-Nasen.
Wegen meines Hasses fahre ich auswärts immer off peak. Nie im Fan-Zug, nie im Fan-Bus. Fanmärsche sind mir von jeher ein Graus, das Eingesperrtsein im Gästeblock dito, und farbentragende Ansammlungen von Gästefans umgehe ich systematisch – selbst wenn sie den Brustring tragen.
Der in Gesellschaft reisende männliche Fußballfan befindet sich diesbezüglich genau auf Augenhöhe mit dem Junggesellenabschied, dem Vatertagsausflug und allen militärischen Geschichten wie zum Beispiel Ausscheider, Bergfest etc. Was nicht heißen soll, dass ein Junggesellinnenabschied nicht nervig genug wäre, zumal, wenn er in der Eisenbahn stattfindet, in einer Situation des Ausgeliefertseins also. Bei den Männern kommt aber zum affenartigen (und hier meine ich die schlechten Affen) und viel zu lauten und generell rücksichtslosen Verhalten immer noch eine sehr sehr bzw. ganz arg unangenehme Aggressivität hinzu, wegen des Saufens natürlich. Und dann ist es mir einerlei, ob es sich um vier Ü50-Proleten am Vierertisch im ICE von Hamburg nach Mannheim handelt, die sich sonst auf der Haupttribüne des Neckarstadions tummeln und den ganzen Waggon mit lautestem härtesten „von der Alb ra-Schwäbisch“ beschallen, oder ob das eine Gruppe Anfang 20-Jähriger ist, die das Bordbistro zur Hölle auf Erden und allen anderen Fahrgästen den Besuch quasi unmöglich machen.
Von den immer und mit hundertprozentiger Sicherheit kommenden Exzessen der „Leute“ aus Dresden und einiger anderer Klubs aus dem Osten, vom westlichen Waldhof und anderer zahnloser Spezialisten diesbezüglich wollen wir hier und heute gar nicht erst anfangen, und eigentlich bringt fast jedes Fußballspiel diese unschönen Begleiterscheinungen mit sich, die am ehesten noch an eine Rechtsradikalenversammlung in einem niederbayerischen Bierzelt erinnern, die nach sechs Maß Bier pro Nase allein durch die Erwähnung queerfeministischer Aktivisti ordentlich in hassende Wallung gebracht wird.
Nicht mein Ding!
Andererseits ist die Welt ja schon stressig genug, Verzweiflung, Not und Schrecken allüberall, das reine Glück höchstens noch in der Natur zu finden oder in Gesellschaft geliebter Menschen. Da gilt es doch eigentlich, froh und dankbar zu sein ob des Umstandes, dass man selbst nicht auf der falschen Seite des Schicksals gelandet ist, nicht hineingeboren wurde in, sammermal, einen Slum in Mogadishu, oder als schwuler Albino im ländlichen Nigeria. Auch der Gazastreifen böte sich hier zum Vergleich an, aber diesen Riesen lasse ich heute lieber schlafen.
Daher habe ich für mich folgendes beschlossen: Meinen Mitmenschen begegne ich freundlich, gebärde mich also quasi wie ein Hanseat, winke Leute hilfsbereit über die Straße, grüße freundlich und gönne den anderen. Wobei auch hier natürlich, isch klar, Ausnahmen die Regel bestätigen. Soll heißen: Die lauten Affen am Vierertisch und die Anfangzwanziger im Bordbistro, die in militärisches Schwarz gekleideten Fanmarsch-Menschen mit den Zahnschienen und den Quartzhandschuhen, die aggressiv rumproletenden Männer – die alle und einige weitere werde ich weiterhin hassen. Ich hasse sie halt still in mich hinein, lasse sie kurz drin und atme sie dann langsam wieder aus. Damit nichts Schlechtes drinbleibt in mir, von wegen Magengeschwür.
Allen anderen gönne ich. Stichwort „Spreading Love“, in etwa vergleichbar mit, die Älteren werden es vielleicht kennen, dem Gebaren des großartigen Helden und Musikers Nick Cave, der nach Jahrzehnten der Wut und Dunkelheit mittlerweile Konzerte abhält, die einem liebevollen, gleichwohl energiegeladenen Gottesdienst ähneln und der, freilich aus Gründen, die an- und auszuführen es allein etlicher weiterer Kolumnen bedürfte, das Spreading Love zur Religion erhoben hat.
Also freue ich mich an den schönen Dingen, daran, wie der Wald fast explodiert vor grün, am Fleischkäse von der Wildsau auf der Neckarriedkopfhütte, am schönen Wetter. Ich freue mich über gute Musik und liebe Menschen um mich herum, gehe mit einem Lächeln aus dem Haus und gönne. Das geht so weit, dass ich, insgeheim, sogar dem neuen Kanzler zumindest ein ganz kleines bisschen gönne, dass er jetzt endlich Kanzler ist. Und dass er es vielleicht gar nicht so schlecht macht, wie ich natürlich immer noch befürchte. Und dann der Papst: Natürlich hätte ich mir eine strenge, strafende katholische Kirche gewünscht, eine, vor der die Gläubigen in Ehrfurcht erzittern. Und jetzt haben wir, wie manche sagen, einen woken Papst. Aber selbst dem gönne ich. Zumal er ja auch fünf Sprachen spricht. Dass er sich Leo nennt, zeigt obendrein seine Liebe zum Fußball. Denn „leo“ heißt „lass ihn durch“, ist das nicht toll?!
Und ich gönne dem Spochtclub aus Freiburg, dass er wieder europäisch spielt, sogar den doofen Mainzern gönne ich’s. Den bigotten Sankt Paulianern gönne ich den Klassenerhalt, und sogar den Eisernen aus Köpenick gönne ich… nein, halt, das ginge dann doch zu weit. Dass ich meinem VfB Stuttgart inkl. allen, die da mit beteiligt sind, den am 24. Mai erfolgenden Pokalsieg gönne, muss an dieser Stelle eigentlich nicht mehr eigens betont werden. Und vielleicht gönnt mir ja noch jemand ein Ticket für dieses Pokalfinale in Berlin. Bis dahin und danach werde ich weiterhin Liebe verbreiten – auf Hobbes sei gepfiffen.