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·16 June 2024

Szenenanalyse: Deutschland findet eigene Mitte – und muss gegen Ungarn zulegen

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Das DFB-Team zeigt gegen Schottland eine ansprechende Leistung. Was Deutschland gegen Ungarn vor allem offensiv aus der ersten Partie ziehen kann – und was noch besser werden muss. Zwei Szenenanalysen.

Ein sehr chaotisches, ideenloses und inspirationsloses Deutschland hat Julian Nagelsmann in recht kurzer Zeit zur eigenen Mitte geführt, könnte man meinen. Fußballphilosophisch spielt das Zentrum eine große Rolle in der Spielweise des Bundestrainers.


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Innere Mitte, sich selbst finden – spirituell ist Nagelsmann eher nicht unterwegs. Und doch sind Ausstrahlung sowie Auftreten kaum vergleichbar mit den vergangenen Jahren. Einen großen Anteil daran hat die Rückkehr von Toni Kroos, der als Dreh- und Angelpunkt des Teams alle Fäden miteinander verknüpft, die zuvor lose im luftleeren Raum hingen.

Doch auch Nagelsmann hat es geschafft, die Puzzleteile richtig zusammenzusetzen und dem Team vor allem offensiv Abläufe zu vermitteln, die zu einem erfolgreichen Heim-Turnier führen könnten. Wir haben zwei Szenen aus dem Spiel gegen Schottland ausgewählt, um zu erklären, welche Abläufe das sind, warum das so gut funktioniert und was gegen Ungarn noch besser werden muss.

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Deutschland: Dreiecke und Rauten auf engstem Raum

Bereits in der Anfangsphase zeigte sich gegen Schottland, wie kombinationsstark die Deutschen sein können. Ausgangspunkt der Angriffe mit Substanz war, natürlich, fast immer Kroos. So auch in der 10. Minute, als der sechsfache Champions-League-Sieger tief in der Hälfte der Schotten den Ball bekommt. Zuvor war der Aufbau eher gemächlich.

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Sobald Kroos aber den Ball hat, wissen auch die Mitspieler, dass das Spiel jetzt jederzeit an Fahrt aufnehmen kann. Hier bieten sich gleich zwei Deutsche an, indem sie sich aus der letzten Linie in den Zehnerraum fallen lassen: Ilkay Gündogan und Florian Wirtz. Gündogan kommt etwas tiefer. Vermutlich hätten viele Sechser ihn angespielt und den Ball direkt zurückbekommen. Kein Raumgewinn, keine Tempoverschärfung.

Kroos entscheidet sich dazu, den etwas schwierigeren Ball auf Wirtz zu spielen. Gündogan wiederum schaltet schnell und läuft einen kleinen Bogen, sodass er direkt wieder anspielbar ist. Also kann Wirtz direkt auf ihn klatschen lassen. Dadurch entsteht eine komplett neue Spielsituation.

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Denn Gündogan zieht nicht nur einen Gegenspieler mit sich, sondern auch den Fokus eines weiteren Schotten auf sich. Dadurch kann er den Ball auf Andrich spielen, der quasi keinen Gegnerdruck hat.

Interessant an dieser Situation ist aber nicht nur, dass mit wenigen Pässen das Spiel vom linken in den rechten Halbraum verlagert wird, sondern Wirtz, nachdem er den Ball auf Gündogan klatschen lässt, ebenfalls den Laufweg in den rechten Halbraum antritt, um dort anspielbar zu sein – obwohl mit Jamal Musiala und Kai Havertz bereits zwei Spieler dort positioniert sind. Der Grund dafür offenbart sich relativ schnell.

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Andrich kann den Vertikalpass unbedrängt auf Havertz spielen und plötzlich hat Deutschland drei Spieler im Zwischenraum, die sich in engen Räumen extrem wohlfühlen. Havertz hat mehrere Optionen: Er kann Musiala oder Wirtz durch die Schnittstelle schicken, er kann versuchen, selbst aufzudrehen und beispielsweise den ebenfalls mit aufrückenden Gündogan zu bedienen – oder er versucht es mit einer komplizierten Verlagerung auf Kimmich, der auf dem Flügel blank ist. Letzteres wäre vermutlich die eher ungünstigere Option.

Innerhalb weniger Sekunden hat Deutschland aber seine Zauberer, Edeltechniker und Nadelspieler in eine Situation gebracht, in der sie am gefährlichsten sind. Auch die Absicherung ist gut: Andrich, die beiden Innenverteidiger und auch Kroos, können bei einem Ballverlust sofort den Raum verknappen, auch Mittelstädt auf der linken Seite ist nicht gänzlich aufgerückt. Zudem können die vier Offensivspieler schnell Druck ausüben.

Havertz will mit der Hacke auf Musiala durchstecken, die Szene wird aber verteidigt. Trotzdem ist das ein Spielzug, der einerseits charakteristisch für den Fußball von Nagelsmann ist und andererseits zeigt, wie es gegen Ungarn gehen kann und muss. Denn auch die werden mitunter sehr tief und kompakt verteidigen – vermutlich besser organisiert als die Schotten.

Ilkay Gündogan als Bindeglied der Magier

Wie sehr dieses engmaschige Kombinationsspiel unter Nagelsmann System hat, zeigt auch der Blick auf das 2:0 durch Musiala.

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Auch hier gibt es in der Entstehung gleich mehrere Aspekte die interessant sind. So bewegt sich Havertz von der halbrechten Seite zunächst ins Zentrum, um dann blitzschnell in die Tiefe zu starten. Das hat er während der gesamten Partie sehr oft gemacht, um Räume zu öffnen und gegenläufige Bewegungen zu ermöglichen, die die schottische Defensive in Entscheidungsnot bringen. Hier zieht er einen Verteidiger so weit mit, dass sich im Zentrum für einen kurzen Moment ein großer Raum öffnet.

Sowohl Kroos als auch Gündogan registrieren das. Gündogan macht einen Schulterblick und orientiert sich damit bereits vor. Dann sieht er, dass Kroos andribbelt und bewegt sich in offener Stellung etwas weiter nach vorn – offene Stellung bedeutet, dass er mit seinem Körper so positioniert ist, dass er einerseits Kroos zugewandt ist, sich andererseits aber sofort nach vorn aufdrehen kann. Mit seinem Gegenspieler im Rücken.

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Gündogan wird angespielt und dreht wie erwartet auf. Gleichzeitig bewegen sich Musiala und auch Wirtz in die Spielfeldmitte – und zwar höher als Gündogan. Damit haben sie die Möglichkeit, die Tiefe zu attackieren und das Tempo zu erhöhen.

Außerdem lenken sie den Fokus der Schotten auf sich. Das öffnet die Flügel, lenkt aber auch etwas von Havertz ab, dessen Gegenspieler sich wieder nach vorn orientiert hat. So steht der Angreifer zwar im Abseits, wartet dort aber geduldig, wie sich die Situation weiterentwickelt.

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Und tatsächlich kann sich Havertz durch das Abwarten einen Vorteil verschaffen, denn ohne direkten Gegenspieler kann er sich im Rücken der auf Gündogan, Wirtz und Musiala fokussierten Schotten davonschleichen. Gündogans Pass ist pure Weltklasse, die Bewegungsabläufe sind jedoch nicht minder erwähnenswert.

Wirtz startet tief für einen Querpass, Musiala agiert ähnlich wie Havertz zuvor und wartet einen Tick ab, um dann im Rückraum außerhalb des schottischen Fokus zu sein. Er bekommt den Ball und es steht 2:0. Ähnlich wie bei der ersten Szene sind Kroos und Gündogan der Ausgangspunkt. Während Kroos ohnehin unumstritten ist, konnte auch Gündogan unter Beweis stellen, wie wichtig er als Bindeglied der offensiven Magier ist.

Immer wieder gab es Situationen, in denen er zwischen Kroos und den drei Offensiven als wichtige Zwischenstation agierte.

Deutschland gegen Ungarn: Darauf kommt es an

Der Rhythmus im Team, die Gier auf Offensivaktionen und auch die grundsätzlichen Ansätze passen. Die vielen Tiefenläufe und das intelligente Anbieten einzelner Spieler in den Räumen, die dadurch entstehen, werden auch in den Gruppenspielen gegen Ungarn und die Schweiz von großer Bedeutung sein.

Ungarn wird mit einem Fünferkettensystem versuchen, genau diese Spielfeldmitte möglichst eng zu halten – und sich dabei wahrscheinlich nicht so naiv verhalten wie Schottland. Deshalb wird das zweite Gruppenspiel für die Deutschen vermutlich der erste große Gradmesser sein.

Folgende Aspekte werden mit Blick auf das Ungarn-Spiel entscheidend sein:

  • Noch mehr Präzision! Deutschland hatte viele dieser Angriffe gegen Schottland, am Ende aber viel zu wenige qualitativ hochwertige Abschlüsse. Nicht immer wird man aus wenigen Schüssen viele Tore machen können und dann wird es auch auf die Quantität der Chancen ankommen. Das risikoreiche Offensivspiel birgt natürlich Gefahren und nicht jeder Ballverlust lässt sich vermeiden. Doch die Angreifer des DFB-Teams haben nach wie vor etwas Luft nach oben, was die letzte oder vorletzte Aktion anbelangt.
  • Defensiv noch aufmerksamer nachschieben: Die Abwehrspieler und auch Andrich müssen noch aufmerksamer sein, wenn es darum geht, sich schon in Ballbesitz für einen Konter des Gegners vorzubereiten. Ungarn hat mehr Tempo und mehr technische Qualität für solche Momente. Wird von hinten das Spielfeld nicht konsequent eng gemacht, kann das zum Problem werden.
  • Variabel bleiben! Deutschland zeigte gegen Schottland, dass man mit Seitenverlagerungen, langen Bällen und personellen Wechseln zahlreiche Optionen hat, um die Dynamik des Spiels zu verändern. Die taktischen und personellen Alternativen zum zentrumslastigen Kombinationsspiel können ein großer Trumpf werden – und sind wohl bereits gegen Ungarn ein wichtiges Ass im Ärmel des Bundestrainers.

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