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·16 December 2024
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·16 December 2024
Das Topspiel der Bundesliga am Samstagabend zwischen dem FC St. Pauli und Werder Bremen war für den neutralen Zuschauer sicherlich kein Augenschmaus. Das 0:2 am stimmungsvollen Millerntor zeigt aber sehr anschaulich, wo beide Teams momentan in ihrer Entwicklung stehen.
So freundschaftlich und optisch ansehnlich die Atmosphäre auf den Rängen am Samstagabend war, auf dem Platz ging es für beide Teams dennoch um wichtige Punkte. Werder Bremen wollte sich mit einem Sieg in der oberen Tabellenhälfte festsetzen und der FC St. Pauli sich im Abstiegskampf weiter Luft verschaffen. Beide Teams starteten dieses Unterfangen mit jeweils einem Neuen, bei St. Pauli ersetzte Danel Sinani den gelbgesperrten Morgan Guilavogui, bei Werder rückte Marco Grüll für den verletzten Justin Njinmah in die Startelf.
Beginnen wir die Bestandsaufnahme beim FC St. Pauli. Von Beginn an war ersichtlich, dass der Ausfall von Guilavogui für eine leichte Veränderung sorgte. Weiterhin agierte das Team von Alexander Blessin zwar im 3-4-3. Sinani agierte aber deutlich mehr im Zentrum als Guilavogui, sodass Manolis Saliakas im Ballbesitz den rechten Flügel besetzten sollte (dies funktionierte nicht gut und war einer der Gründen für die offensive Schwäche). St. Pauli lief Werder vom Start weg recht hoch an, zog sich also nicht, wie häufig gesehen, erst einmal zurück.
Auch die Bremer starteten im 3-4-3, wobei Mitchell Weiser auf der rechten Wingback-Position meist höher schob als Derrick Köhn auf der linken Seite. Nach rund 20 Minuten nahm Werder-Coach Ole Werner jedoch eine Anpassung vor, Romano Schmid ließ sich im Ballbesitz fortan tiefer fallen. So baute Werder eher aus einem 3-5-2 heraus auf und hatte mit Senne Lynen, Jens Stage und Schmid drei Spieler im zentralen Mittelfeld. Ole Werner begründete diese Veränderung nach dem Spiel damit, dass ausgenutzt werden sollte, dass St. Paulis Innenverteidiger nicht sonderlich weit aus der Kette herausverteidigen würden. Somit schaffte es Werder im Zentrum eine Überzahl zu erzeugen.
Exemplarisch dafür das 0:1, Werder verlagerte das Spiel von der linken Seite über den tief fallenden Schmid auf die rechte Seite. Dort löste Weiser in Kombination mit Stage und Marvin Ducksch stark das Pressing der Hamburger auf. Dann setzte sich, der seit Wochen überragende, Stage gegen Eric Smith durch und Köhn vollendete mit einem satten Abschluss. Der erste Torschuss der Bremer saß direkt. Ein für St. Pauli vermeidbares Gegentor, zum einen sah Smith im direkten Duell schlecht aus, zum anderen war Köhn viel zu frei.
Ein ähnliches Muster zog sich durch das gesamte Spiel, wurde Werder gefährlich, war eigentlich immer Weiser beteiligt. Immer wieder gelang es ihm sich mit seiner individuellen Klasse aus dem Gegnerdruck zu lösen und St. Pauli vor Probleme zu stellen. Defensiv war gleichzeitig erkennbar, dass St. Pauli die rechte Werder-Abwehrseite als vermeintliche Schwachstelle ausgemacht hatte. Immer wieder versuchten die Braun-Weißen über Oladapo Afolayan schnell nach vorne zu kommen und ihn in die direkte Duelle gegen die Bremer Verteidigung zu verwickeln. Und das durchaus mit Erfolg, so holten sich Niklas Stark und Marco Friedl beide früh die gelbe Karte nach einem Foul am Engländer ab. Für echte Torgefahr konnte aber auch Afolayan nicht sorgen.
Offensiv gelang St. Pauli wieder einmal sehr wenig. Bis auf zwei Versuche von Johannes Eggestein gab es über das gesamte Spiel keine nennenswerten Abschlüsse aus dem Strafraum. Die zahlreichen Versuche aus der Distanz stellten Werder-Keeper Michael Zetterer vor keine größeren Probleme. Am gefährlichsten wurde es nach einer Sinani-Ecke, die Stark mit dem Kopf an die eigene Latte setzte. Abgesehen von dieser Ecke war St. Pauli allerdings abermals erschreckend schwach bei eigenen Standards. Nach 14 Spieltagen steht nur ein einziges Tor nach einem Standard zu Buche, das ist Ligatiefstwert (Opta Analyst).
Mitchell Weiser war wieder einmal einer der besten Spieler auf dem Platz. (Photo by Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)
Zu Beginn des zweiten Durchgangs reagierte St. Pauli auf die ständige Unterzahl im zentralen Mittelfeld. Smith rückte aus der Innenverteidigung ins defensive Mittelfeld und Blessins Team agierte fortan im 4-3-3. Bevor diese Umstellung sich positiv auswirken konnte, hatte Werder das Spiel jedoch bereits so gut wie entschieden. Zetterer machte das Spiel mit einem punktgenauen Abschlag schnell, wieder war es Weiser, der den Ball perfekt annahm und mit dem nächsten Kontakt Ducksch fand, der komplett freistehend an Vasilj vorbei zum 0:2 vollendete.
In dieser Szene zeigte sich auch das Risiko, dass St. Paulis Umstellung barg. Die Außenverteidiger Philipp Treu und Saliakas standen sehr hoch, so gab es auf beiden Außenbahnen hinter ihnen viel Raum. Außerdem fehlte Smith defensiv im Zentrum und Hauke Wahl und David Nemeth verschoben zu weit zum Ball hin, sodass sich Ducksch in ihrem Rücken absetzen konnte. Gerade dieses weite Verschieben ist ein Problem, dass häufig zu beobachten ist, wenn Teams die eine Fünferkette gewohnt sind, Viererkette spielen.
Im Anschluss verzeichnete St. Pauli dann zwar viel Ballbesitz, konnte aber sehr wenig damit anfangen. So ging das Torschussverhältnis am Ende zwar mit 15-8 an St. Pauli, die Expected Goals sprechen aber mit 1,02-0,63 (Fotmob) für Werder. Immer wieder scheiterte St. Pauli daran im letzten Drittel den richtigen, genauen Pass zu spielen oder die entscheidende Idee zu haben. Zahlreiche Ballverluste einerseits und Ballgeschiebe in ungefährlichen Zonen andererseits waren die Folge.
Ein zentrales Problem beim FC St. Pauli ist die angespannte Personallage, vor dem Spiel fehlten Blessin zehn Spieler. Die Ausfälle und das wenig erfolgreiche Sommertransferfenster führen dazu, dass Spieler, die letztes Jahr in der zweiten Liga nur Randfiguren waren, seit Saisonbeginn deutlich mehr zum Einsatz kommen. Carlo Boukhalfa hat jetzt schon fast zehnmal soviele Minuten gesammelt, wie in der gesamten Vorsaison (844 Min. zu 86, Transfermarkt.de), und ist trotz mäßiger Leistungen Stammspieler. Von der Bank sorgen die Sturm-Optionen Andreas Albers und Maurides kaum für Angst und Schrecken in den gegnerischen Abwehrreihen.
Auf vielen Positionen fehlt es dem Team an individueller Qualität. Das führt dazu, dass vieles, was St. Pauli taktisch richtig macht, an der Umsetzung scheitert. Momentan wirkt der Kader im Vergleich zur Vorsaison qualitativ sogar leicht schlechter. Der abgewanderte Top-Scorer Marcel Hartel fehlt an allen Ecken und Enden. Dass man trotzdem auf Platz 15 steht, ist zum einen natürlich auch der Schwäche der Konkurrenz zuzuschreiben. Zum anderen ist es aber auch ein Kompliment an Blessin und die mannschaftliche Geschlossenheit, dass in einzelnen Spielen, vor allem aufgrund der weiterhin stabilen Defensive, doch immer wieder gepunktet werden kann.
Dazu kommt die Formschwäche von Schlüsselspielern wie Jackson Irvine, der seit Wochen überspielt wirkt. Dies lässt darauf schließen, dass für St. Pauli die Winterpause nicht früh genug kommen kann, damit Blessin wieder mehr Optionen zur Verfügung stehen. Stand jetzt können die Ausfälle von Spielern wie Elias Saad, Connor Metcalfe, Scott Banks oder Morgan Guilavogui nicht mehr aufgefangen werden. In jedem Spiel und gegen jeden Gegner muss St. Pauli das absolute Maximum erreichen, um Zählbares mitnehmen zu können. In der momentanen Situation und mit der Vielzahl an Ausfällen wird dies noch schwerer, als es für den Aufsteiger ohnehin schon ist.
Elias Saad ist einer von vielen Verletzten, die St. Pauli im Moment schmerzlich vermisst. (Photo by Cathrin Mueller/Getty Images)
Ganz anders ist die Lage an der Weser. Nach dem verdienten Sieg stehen die Bremer auf Platz neun in der Tabelle, wobei der Abstand auf das europäische Geschäft nur einen Punkt beträgt. 22 Zähler nach 14 Spielen sind eine starke Ausbeute für Ole Werners Team.
Das Bremer Hoch ist dabei untrennbar mit Ole Werners Namen verbunden. Seit gut drei Jahren ist der 36-Jährige nun bei Werder am Ruder. In dieser Zeit hat er die Grün-Weißen zurück in die Bundesliga geführt und dort zunächst ohne große Abstiegssorgen stabilisiert. In dieser Saison scheint es jetzt so, als könnte Werder den nächsten Schritt gehen. Der Sieg am Samstag taugt dabei als Paradebeispiel für die neu gewonnene Stabilität. Seit Wochen schon gelingt es Werder auch Spiele mit engem Spielverlauf für sich zu entscheiden. Die 1:0-Siege gegen den VfL Bochum und im Pokal gegen Darmstadt 98 hätte es so in der Vorsaison nicht unbedingt gegeben.
Gegen St. Pauli zeigte Werder, dass sie das Spiel sowohl mit als auch ohne Ball kontrollieren können. In Halbzeit eins ließen sie den Ball immer wieder geduldig durch die eigenen Reihen laufen und warteten auf Lücken beim Gegner. Nach dem vorentscheidenden Tor zum 0:2 überließ Werners Team dann St. Pauli den Ball und verteidigte die harmlosen Angriffe der Gastgeber ohne Probleme. Diese Souveränität gab es lange nicht bei den Hansestädtern.
Taktisch zeigt sich Werder enorm flexibel, nicht nur der Wechsel vom 3-4-3 zum 3-5-2 läuft geräuschlos. Zuletzt spielte Werder auch häufig situativ mit einer Viererkette im 4-4-2, wenn Weiser hochschob und Stark als Rechtsverteidiger agierte. Spieler wie Schmid und Weiser sind flexibel einsetzbar und bringen in dieser Saison deutlich konstanter ihre Leistung als zuvor.
Dies ist auch Ole Werner anzurechnen, der mit seiner Ruhe und Gelassenheit für sorgt, dass die Bremer sich auch von Rückschlägen, wie dem 0:5 gegen Bayern München oder dem 1:4 bei Borussia Mönchengladbach nicht mehr aus dem Tritt bringen lassen. Auch die Ausfälle von Stammspielern, wie Felix Agu aktuell oder Niklas Stark zuletzt, haben kaum negative Auswirkungen und können besser kompensiert werden. Sogar die Spiele gegen vermeintlich kleine Gegner, wie jetzt St. Pauli oder Bochum gewinnt Werder inzwischen, nachdem in der letzten Saison beispielsweise gegen Absteiger Darmstadt fünf Punkte liegen gelassen wurden.
Werder weiß inzwischen um die eigene Stärke, Werners Team ist sehr schwer zu schlagen und kann gegen praktisch jeden Gegner etwas holen. Es gelingt die Spiele offen zu halten und mithilfe der mannschaftlichen Geschlossenheit, gepaart mit den individuellen Fähigkeiten von Spielern wie Weiser, Ducksch, Stage oder Schmid, für sich zu entscheiden. Mit dieser Entwicklung im Rücken ist Werder in dieser Saison einiges zuzutrauen und auch das Erreichen des europäischen Geschäfts liegt im Rahmen des Möglichen.
Jakob Haffke
(Photo by Selim Sudheimer/Getty Images)