Der-Jahn-Blog
·5 May 2025
Schlusslicht, Flutlicht

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·5 May 2025
Vorgeplänkel: „Rut un Wiess“
Freitagabend, Köln-Ehrenfeld. Der Dom lugt schon aus der Ferne hervor, dahinter irgendwo das Müngersdorfer Stadion. Die Stadt füllt sich schon langsam mit Regensburgern, die wie viele andere den Ausflug an den Rhein bereits seit Wochen geplant hatten. Köln ist immer eine Reise wert, heißt es. Doch diesmal hing über der Reise ein dezenter Schatten, die dunkle Gewissheit des Abstiegs, die schon seit Wochen unausweichlich schien. Und doch reisten wir, wie so viele andere, übers Wochenende in die Domstadt. Vielleicht, um es noch ein letztes Mal “die beste 2. Liga” in Person mitzuerleben, vielleicht aus Gewohnheit. Vielleicht auch teils einfach, weil es Köln ist.
Köln – eine Stadt zwischen großer Geschichte und gelassener Lebensart. Die älteste Großstadt Deutschlands, mit römischen Wurzeln, mit jahrhundertelanger Bedeutung als Handels-, Kultur- und Medienstadt. Eine Stadt, in der man nicht nur lebt, sondern mit Pathos lebt. Hier steht der Dom, das unverrückbare Wahrzeichen, von dem die Kölner mit Überzeugung sagen, er sei das schönste Bauwerk der Welt – gäbe es da nicht noch einen Dom im Norden Italiens.
Auch der Fußball hat hier Tiefe, Geschichte und Selbstverständnis – und eine emotionale Wucht, die nicht selten beeindruckt. Die Art und Weise, wie der FC in Köln gelebt wird, wie sich eine ganze Stadt um ihren Verein versammelt, wie sich das Leben an Spielplänen und Tabellenständen orientiert – all das ist bemerkenswert. Man kann vieles über den FC sagen, aber eines nicht: dass er irgendwem egal wäre. Er ist für viele Menschen Teil ihrer Biografie oder eine Art Ersatzreligion. Die emotionale Aufladung, mit der hier Fußball gedacht und gefühlt wird, mag von außen mitunter belächelt oder als übersteigert wahrgenommen werden (und sportlich bestimmt nicht immer ganz förderlich sein) – aber diese übergreifende, tiefe Bindung ist schlicht bemerkenswert.
Der 1. FC Köln, gegründet 1948 durch die Fusion von Kölner BC und SpVgg Sülz 07, wurde 1964 der erste Deutsche Meister der Bundesliga – ein frühes Zeichen dafür, dass hier ein Verein mit großen Ambitionen und einer stolzen Vision heranwuchs. Doch die Wurzeln des Fußballs in der Stadt reichen weit tiefer: Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich Köln zu einem Zentrum des westdeutschen Fußballs – mit Vereinen wie dem KBC, dem VfL 99 oder eben Sülz 07, die alle ihre Duftmarken setzten. Die Farben „Rut un Wiess“ stehen heute für mehr als nur Vereinsfarben – sie sind Ausdruck einer jahrtausendealten Stadtidentität, die sich aus römischem Stolz, mittelalterlicher Erzbischofsmacht, katholischer Prägung, rheinischer Lebensfreude und urbanem Selbstbewusstsein speist. Die Farben selbst stammen aus dem Stadtwappen Kölns, das auf die Farben des Erzstifts Köln zurückgeht: Weiß als Symbol für Reinheit und Frieden, Rot als Farbe des Märtyrertums – in Erinnerung an die Heiligen Drei Könige, deren Reliquien im Kölner Dom ruhen und deren Bedeutung für die Stadtgeschichte nicht zu überschätzen ist.
Die altehrwürdige Sportstätte in Müngersdorf war mehrfach Schauplatz großer deutscher Fußballgeschichte. Ursprünglich 1923 eröffnet, diente es wie so oft zu dieser Zeit nicht nur dem Fußball, sondern auch als Austragungsort für Leichtathletik und andere Sportveranstaltungen. Vor der WM 1974 wurde ein kompletter Neubau angestrebt – doch der Traum platzte vorerst. Stattdessen musste man auf die benachbarte Radrennbahn ausweichen, auf der Fortuna Köln und der FC zwischenzeitlich ihre Heimspiele austrugen. Erst am 12. November 1975 wurde das neu konzipierte Stadion mit seiner Tartanbahn eröffnet und galt damals als eines der modernsten Deutschlands. Die Fans feierten dort nicht nur Bundesligaspiele, sondern 1978 auch die bislang letzte Meisterschaft des 1. FC Köln – angeführt von Heinz Flohe und Hannes Löhr.
WM-Spiele 1974 und 2006, als etwa Pelé im Schatten des Doms zu Gast war, oder die EM-Abende 1988 mit der legendären Halbfinalniederlage der Deutschen gegen die Niederlande, als Ronald Koeman sich den deutschen Rasen buchstäblich einverleibte, sind tief im Gedächtnis verankert. Zahlreiche DFB-Pokal-Krimis, Nebel, und Flutlichtdramatik prägten sich ebenso ein wie zahlreiche Europacup-Nächte wie gegen vor ein paar Jahren Arsenal oder etwas längerer Zeit selbst zum Beispiel der FC Barcelona, Juventus Turin und AS Rom. Die Flutlichtmasten, einst eine der ersten voll ausgeleuchteten Arenen im Westen, erzählen ihre ganz eigene Geschichte und da ist es keine kleine Ehre, dass wir als Jahn an einem Samstagabend dort zu Gast sein dürfen.
Der Spielverlauf
Eigentlich hatte ich mich ja schon von der Jahn-Blog-Bühne für diese Saison verabschiedet. Aber gut – ihr werdet mich wohl doch nicht so schnell los. Zum Spiel kann ich wenig sagen – aber es war eines, das man schon vor dem Anpfiff kannte. Köln brauchte den Sieg für den Aufstiegskampf, wir kamen als quasi abgestiegener Tabellenletzter und spielten fast nur noch um die Ehre. Und trotzdem: Ich hatte an diesem Abend immer wieder ein Funkeln in den Augen. Diese Kulisse, dieses Stadion, diese Atmosphäre – das hat schon was. Auch nach einer Saison wie unserer.
Der Gästeblock in diesem schönen Stadion war mit rund 1.500 Jahnfans ordentlich gefüllt, teils wurde es durchaus eng. Die Stimmung blieb dabei – wie so oft bei dieser Art von Spielen, in Verbindung mit sportlich längst abgehakter Ausgangslage – eher im soliden Bereich. Das lag nicht nur am Spiel, sondern auch daran, dass der Block an diesem Abend sichtlich durchmischt war. Gerade zu Spielbeginn bot der Block ein kraftvolles Gesamtbild – mit Choreo, Fahnen, Fackeln. Der Verein lebt aktuell vor allem durch die Fans.
Köln begann wie erwartet: viel Ballbesitz, wenig Präzision. Die ersten zehn Minuten waren druckvoll, aber harmlos. Die beste Chance hatte fast der Jahn – beziehungsweise Wurm, der eine Kölner Flanke scharf aufs eigene Tor abfälschte. Pollersbeck rettete stark. Kurz darauf dann Ernst mit einem satten Distanzschuss – Schwäbe musste fliegen. Dazwischen: viel Arbeit gegen den Ball, viele lange Schläge ins Nichts. Aber: Wir standen. Und wir standen stabil.
Dann Minute 36: Kühlwetter zieht ab, Ljubicic blockt mit dem Arm. Sofort Diskussion. Der VAR lässt sich Zeit, findet dann irgendwo ein passives Abseits. Kein Elfer. Kein Tor. Köln drückt nochmal – Martel köpft, Ernst kratzt den Ball von der Linie. Hein prüft im Gegenzug Schwäbe – wieder nichts. Zur Pause steht’s 0:0. Für uns: schon ein kleines Wunder.
Nach dem Seitenwechsel das erwartbare Bild: Köln drückt, der Jahn wankt. Waldschmidt darf flanken wie im Training, Lemperle köpft ein, Ziegele im Funkloch. 1:0, 59. Minute. Alles wie gemalt für den FC. Doch statt auseinanderzufallen, reagierten wir. Hein bringt zweimal Gefahr, dann eine Flanke von Suhonen, Ganaus steigt hoch, Schwäbe lässt klatschen – und Ganaus stochert das Ding rein. 1:1, 76. Minute.
Danach wurde’s wild: Köln rannte wütend an, der Jahn stemmte sich mit letzter Kraft dagegen. Köln wurde immer nervöser und dadurch fahriger. Martel köpfte aus acht Metern genau auf Pollersbeck, Rondić verpasste knapp. Wir verteidigten tief, hart, geschlossen – so, wie man es in dieser Saison leider viel zu selten gesehen hat. Und wir retteten den Punkt über die Zeit.
Andreas Patz sprach nach dem Spiel dennoch von Enttäuschung. Eine Erklärung, warum solche Leistungen nicht öfter möglich waren, fand er auch nicht. Den Spielern wollte er keinen Vorwurf machen – sie hätten auch in anderen Auswärtsspielen alles investiert. Er vermutete, dass manche mit dem konstanten Druck in dieser Liga vielleicht nicht zurechtgekommen seien. Das würde zumindest erklären, warum die Mannschaft ausgerechnet an diesem Samstagabend – ohne echte sportliche Last – plötzlich befreiter wirkte als an so vielen Wochen zuvor.
Aber damit war’s endgültig amtlich: Der SSV Jahn Regensburg steigt in die 3. Liga ab. Keine Rechenspiele mehr, keine Hoffnung, kein vielleicht. Tabellenletzter. Und ganz ehrlich: Man neigt fast zu einem „endlich“. Diese kleinen Ausschläge nach oben – wie an diesem Abend – reichten einfach nicht für dauerhafte Konkurrenzfähigkeit in dieser Liga.
Im Block blieb es ruhig. Kein Pfeifen, kaum Wut. Und auch ich hab aktuell nicht mehr viel außer Gleichgültigkeit übrig. Die Wut hatte sich längst an anderen Tagen entladen – in Magdeburg, Elversberg oder Nürnberg. In Köln war das nur noch der formale Abschluss eines Abstiegs, den wir alle längst akzeptiert hatten. Aber jetzt: Nach vorne schauen, noch zweimal die Hütte abreißen – und dann starten wir in Liga 3 neu.
Denn was über Abstiege und Saisons hinweglebt, ist dieses Gefühl, zusammen 1.000 Kilometer wegen eines Spiels abzureißen, gemeinsam mit der Jahnfamilie diese 90 Minuten zu bestreiten, auszurasten beim Entzünden der Fackeln, wenn der Ball das Netz berührt und sich die Jahnelf auf dem Platz für diese Farben zerreißt. In diesen Momenten, in denen du mit 1.500 Jahnfans eingepfercht im Gästeblock stehst, gemeinsam leidest und triumphierst, möchtest du mit niemandem auf der Welt tauschen. Das wird immer bleiben, egal in welcher Liga.