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·2 December 2024

Plötzlich Zweiter! Braucht dieser HSV keinen neuen Trainer?

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Eigentlich spricht alles für Bruno Labbadia. Doch Interimsmann Merlin Polzin verdient offenbar eine Chance, Cheftrainer zu werden.

Die Art der Formulierungen bei Sky und Bild ließ nichts anderes vermuten. Bruno Labbadia steht vor seinem dritten Engagement als Cheftrainer beim Hamburger SV. Interimsmann Merlin Polzin würde nach der Entlassung von Ex-Trainer Steffen Baumgart die Verantwortung für dieses eine Spiel in Karlsruhe übernehmen. Im Jobportal hieße das: „Befristeter Job ohne Chance auf Übernahme“.


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Doch dieses eine Spiel veränderte die Gemengelage im Volkspark. Die Mannschaft rückt mit Polzin in der 2. Liga von Tabellenplatz zehn auf zwei vor.

Polzin, 34 Jahre alt, hat nach dem überzeugenden 3:1-Auswärtssieg beim KSC offenbar die Chance verdient, Cheftrainer beim HSV zu werden. Bruno Labbadia stünde in den Startlöchern, aber von einer endgültigen Entscheidung scheint der HSV noch weit entfernt.

Bereits vor dem Spiel ließ Vorstand Stefan Kuntz verlauten, dass Polzin und sein Team, allen voran Co-Trainer Loïc Favé, sehr gute Aufbauarbeit geleistet hatten. Er lobte explizit, dass Polzin den Spielern ein Video mit den schönsten und besten Szenen aus ihrer Karriere zeigte.

Das Spiel gab dem Aktienkurs von Polzin nochmal Auftrieb. Aber reicht ein Sieg unter dem Motivationsschub Trainerwechsel, um einem 34-jährigen Jobeinsteiger die Herkulesaufgabe „Aufstieg mit dem HSV“ zuzutrauen?

„Qualitativ gute Entscheidung ohne Zeitdruck“

Soweit sollte man zu diesem Zeitpunkt noch nicht gehen. Das tut auch Stefan Kuntz nicht. Er betont, eine „qualitativ gute Entscheidung ohne Zeitdruck“ fällen zu wollen. Aber er schaut sich zurzeit ganz genau an, wie die verunsicherte Mannschaft auf die neuen Ansätze vom jungen Trainertalent reagiert. Merlin Polzin ist nun in der Probezeit.

Polzin machte nichts, was die Mannschaft nicht schon mal geleistet hatte. Er stellte auf das aus Zeiten von Tim Walter bekannte 4-3-3-System um. Passenderweise stellte er acht Spieler auf, die dieses System beim HSV kannten. Aber anders als Walter vergaß Polzin nicht den Defensivpart. Seine Mannschaft ging aggressiv vorne den Gegner an, ohne komplett auf Absicherung zu verzichten. Dieser Balanceakt gelang ihm bei seinem ersten Interimsjob im Februar diesen Jahres (2:2 beim späteren Absteiger Rostock) noch nicht.

Jean-Luc Dompé, der trickreiche Linksaußen, kehrte zurück in die Startelf. Steffen Baumgart hatte ihn zur Verwunderung sehr vieler Beobachter in seinem letzten Spiel gegen Schalke draußen gelassen. Ohne ihn war der HSV völlig ungefährlich. Dompé dankte es Polzin direkt mit zwei Toren und einer Vorlage. Der fast obligatorische Jubel mit dem Trainer und der versammelten Mannschaft an der Ersatzbank sollte zeigen: „Wir sind ein Team. An uns lag‘s nicht!“

Im Spiel am Sonntag ließ sich der HSV auch vom Rückschlägen nicht aus der Bahn bringen. Das 1:1 steckten sie weg und die zuletzt oft grauenvollen ersten 15 Minuten nach der Pause wurden nicht verschlafen. Im Gegenteil: der HSV ging sogar erstmals in dieser Spielzeit nach einem Ausgleich wieder in Führung. Auch danach machte Polzin es clever. Er ließ die Mannschaft weiter nach vorne spielen und wechselte offensiv aus. Steffen Baumgart tat oft das Gegenteil und verunsicherte so seine von Haus aus angriffslustige Mannschaft.

Schlussendlich half dem jungen Coach (bekommt im Dezember seine Fußballlehrer-Lizenz) auch das so bitter benötigte Quäntchen Glück. Dem 1:0 ging ein kapitaler Fehlpass voraus. Ein Tor wurde zurecht aberkannt wegen knapper Abseitsstellung und Basamé Koné traf nur die Latte für Karlsruhe. Das Spiel endete mit der Entscheidung 3:1, erzielt ausgerechnet durch den Baumgart-Liebling Davie Selke. Doch Selke machte keinen betrübten Eindruck. Er feierte ausgelassen vor dem Auswärtsblock und riss die ganze Mannschaft mit. Grund zum Feiern gab es auch. Der HSV steht wieder auf einem Aufstiegsplatz. Sechs Plätze mit einem Spiel hatten sie aufgeholt. Es lief fast zu perfekt.

Alles nur Zufall, Glück und Momentum?

Ob das alles nur Zufall, Glück und Momentum war, zeigt sich wohl am nächsten Sonntag gegen Darmstadt 98. Es ist davon auszugehen, dass Polzin auch noch dieses Spiel als Werbung für sich nutzen soll. Die unter Florian Kohfeldt wieder erstarkten Lilien werden der nächste Härtetest. Die Vorzeichen sind dann aber andere. Er hat nun etwas zu verlieren. Aber bisher hat er nur gewonnen. Er hat bisher genau das richtige Maß aus Offensivpower und Arbeiterfußball gefunden. Es geht beim HSV wieder um die Basics, mit und ohne Ball. Er macht keine Experimente

Was könnte Labbadia da anders machen? Braucht es überhaupt den nächsten starken Mann in Hamburg? Dieser HSV wirkt nicht wie ein Team, was völlig ratlos ist. Es brauchte nur simple Instruktionen um ein Spitzenspiel auswärts zu gewinnen. Was die zuletzt so verunsicherte Truppe eher benötigt, ist Beständigkeit. Das kann Polzin besser als jeder andere Kandidat vorweisen. Der waschechte Hamburger ist seit fast fünf Jahren im Verein. Er hat die verpassten Aufstiege genauso wie die Spieler wegstecken müssen. In diesem fragilen Konstrukt könnte Labbadia mit seiner unbequemen, weil extrem ehrgeizigen Art vielleicht ein Unsicherheitsfaktor sein. Auch Stefan Kuntz musste lernen vorsichtig zu kommunizieren, als er nach der Niederlage in Elversberg eine Reaktion der Führungsriege forderte und genau diese Spieler danach in ein noch größeres Leistungsloch fielen.

Kuntz steckt nun in einem Luxus-Dilemma. Die Bild nannte es die Labbadia-Klemme. Schnell Labbadia holen, bevor dieser absagt oder weiter Polzin die Zeit geben? Ein cleverer Kompromiss könnte folgendes sein: Abwarten bis zur Winterpause. Nach dem Spiel gegen Darmstadt muss der HSV zu Aufsteiger Ulm und empfängt die abstiegsbedrohte SpVgg Greuther Fürth. Das waren die typischen Stolpersteine der Vergangenheit. Wenn Polzin diese in seiner Probezeit meistert, winkt für ihn die Festanstellung. Und dann hätte er sie sich verdient.

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