Rund um den Brustring
·11 November 2024
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·11 November 2024
Bei der Bewertung der Heim-Niederlage gegen Eintracht Frankfurt schwankt man zwischen tragisch und dämlich. Die späte Aufholjagd beweist auf jeden Fall die Leidensfähigkeit der VfB-Mannschaft, leider stand sie sich vorher selber im Weg.
Als der VfB vor sechs Jahren mal wieder einen Saisonstart in den Sand setzte — der im Abstieg enden sollte — führte ich auf Twitter eine interessante Diskussion in die auch Michael Karbach, Gladbach- und Statistik-Fan eingebunden wurde. Es ging darum, ab welchem Spieltag man in etwa absehen kann, in welche Richtung sich eine Saison entwickelt. Michael stellte dann relativ schnell eine Grafik ein, die den Unterschied zwischen der Platzierung aller Vereine am jeweiligen Spieltag im Vergleich zu deren Endplatzierung darstellen sollte. Die beiden Werte liegen natürlich zu Beginn einer Saison, wenn noch nicht viele Punkte vergeben wurden, weit auseinander und näheren sich Richtung Saisonende, wenn man mit einem Sieg nicht mehr quer durch die Tabelle springen kann, immer mehr an. Für die Premier League sah das damals so aus:
Und auch für die Bundesliga hat Michael auf seinem Blog eine ähnliche Tabelle erstellt. Was man beobachten kann: Die Kurve wird nach etwa zehn Spieltagen etwas flacher, nach etwa einem Drittel der Saison hat sich das Tableau also schon etwas aufgegliedert. Und an genau diesem Punkt stehen wir nach dem 2:3 gegen Frankfurt, der ersten Heimniederlage in der Bundesliga seit über einem Jahr. Was aber hat das mit dem Spiel zu tun? Will ich hier den Abstieg 2025 voraussagen oder die Saison Anfang November schon für beendet erklären? Natürlich nicht, denn zum einen ist es nur eine Momentaufnahme und zum anderen ist die dicke schwarze Linie natürlich nur ein Mittelwert, der besondere Umstände angesichts der Datenbetrachtung über mehrer Saison nicht miteinbeziehen kann.
Dennoch taugt dieses Spiel ziemlich gut für eine Einordnung des Starts in diese schwierige Saison nach der traumhaften letzten Spielzeit. Der VfB geht als Tabellenelfter mit 13 Punkten, jeweils drei Siegen und drei Niederlagen und vier Unentschieden und einer Torbilanz von 19:19 in die Länderspielpause (die für unsere Mannschaft längst keine Pause mehr ist). Das ist als Momentaufnahme ziemlich mittelmäßig, ist aber natürlich auch besonderen Umständen geschuldet. Denn natürlich sind knapp zwei Gegentore pro Spiel viel zu viel, wenn man im oberen Tabellendrittel mithalten will. Was man wiederum meiner Meinung nach muss. Denn man leistet sich nicht für 50 Millionen Euro zwei Stürmer, um nur die 40-Punkte-Marke anzupeilen. Es ist jedoch auffällig, dass der VfB auch deswegen so viele Tore kassiert, weil er selber seine Chancen nicht nutzt und das Spiel deshalb lange relativ offen ist. Sieben der 19 geschossenen Tore hingegen fielen erst nach der 75. Minute. So auch am späten Sonntagnachmittag: Der VfB traf die Latte, verschoss einen Elfmeter und hielt die Eintracht damit in einem Spiel, welches sie kurz vor und nach der Pause dann im Grunde für sich entschied.
Das Problem sind also weniger die Gegentore, auch wenn derer zwei von drei in diesem Spiel ziemlich haarsträubend waren. Dass Omar Marmoush nicht nur generell gut in Form ist, sondern auch gute Ecken treten kann, weiß man in Stuttgart spätestens seit dem 14. Mai 2022. Und auch die Gefährlichkeit von Hugo Ektiké sollte eigentlich jedem bewusst sein, was das 0:1 zu einem ziemlich offensichtlichen Gegentor werden lässt, dass man trotzdem nicht verhindern kann. Überhaupt Marmoush: An dem Freistoß zum 3:0 kannst du relativ wenig machen, aber wie er vor dem 0:2 die Orientierungslosigkeit der VfB nach einem Abschlag von Kevin Trapp (!) ausnutzt, um das Tor einzuleiten, spricht einerseits für seine Qualitäten und zum anderen gegen den VfB in dieser Situation. Das kann alles passieren, wird aber fatal, wenn auf deiner Seite der Anzeigetafel zu diesem Zeitpunkt immer noch die Null steht und Du eigentlich, wie schon am Mittwoch gegen Bergamo, kein schlechtes Spiel machst — aber bis dahin auch nicht gut genug für ein Tor spielst.
Würde das Abseits heutzutage nach dem durch das menschliche Auge Wahrnehmbaren gemessen, hätte sich die Mannschaft andererseits für ihre Qualität, kein Spiel verloren zu geben, vielleicht noch belohnt und die Cannstatter Kurve wäre ein weiteres Mal nach einem späten Punktgewinn zu einer riesigen Jubeltraube geworden. Dass es zu diesem dramatischen Anti-Klimax in der Nachspielzeit aber überhaupt kam, lag vor allem daran, dass der VfB nicht nur seine Chancen nicht nutzt, sondern sich auch nicht genügend qualitativ hochwertige Möglichkeiten herausspielt, um so ein Tor zu erzwingen. Das schrieb ich schon einmal, bevor Sebastian Hoeneß unseren Fußball auf links krempelte und die viertmeisten geschossenen Tore sprechen eigentlich dagegen. Was aber auffällt: Die Abläufe beim VfB sind nicht mehr so geschmiert wie in der letzten Saison, als jeder vor allem offensiv so ziemlich in jeder Situation wusste, was er zu tun hatte — und das hatte nicht nur mit der Abschlussqualität eines Serhou Guirassy oder des am Sonntag verletzten Deniz Undav zu tun.
Vielmehr liegt das meiner Meinung nach an der Entscheidungsfindung einerseits und den Pass- und Laufwegen andererseits. Beides kann man trainieren, wenn man denn die Zeit dazu hat. Der VfB aber schließt gerade eine Phase ab, in der seit Mitte Oktober jede Woche zwei Spiele anstanden, von denen sich kaum eines als Trainingsspiel eignete. Dazwischen lagen An- und Abreise, Spielnach- und vorbereitung, aber nicht viel mehr. So läuft beim VfB derzeit vieles über die individuelle Qualität, beispielsweise eines wiedererstarkten Chris Führich, aber wenig über einstudierte Spielzüge: Die Pässe kommen entweder zu früh, zu spät, zu ungenau, gar nicht oder laufen ins Leere. Sebastian Hoeneß hat das Problem der Entscheidungsfindung bereits früh in der Saison erkannt, hatte aber scheinbar noch keine Gelegenheit, richtig mit der Mannschaft daran zu arbeiten. Und um Spiele gegen Bergamo oder Frankfurt dann trotz fehlender Abläufe einfach mal so für sich zu entscheiden, fehlt es dann doch an der Qualität.
Das will ich aber nicht als Saisonprognose verstanden wissen, sondern als das, was es ist: Eine Momentaufnahme. Hoeneß muss in den nächsten zwei Wochen mit den in Stuttgart verbliebenen Spielern an diesen Abläufen feilen und dann darauf zählen, dass uns das Toreschießen, egal ob im Verbund oder nach Einzelleistungen, gegen Gegner wie Bochum, Belgrad, Bremen, Regensburg, Berlin, Heidenheim und St. Pauli etwas leichter fällt als in den letzten Wochen gegen den Rekordmeister, den amtierenden Deutschen Meister, den Europapokalsieger und die Mannschaft der Stunde. Ärgerlich ist es trotzdem, dass man gegen Leverkusen und München so von der Rolle war, dass man gegen Hoffenheim oder Mainz nur Unentschieden geholt hat und gegen Bergamo oder Frankfurt seine Chancen nicht genutzt hat. Dass in diesen Spielen mehr drin war — insbesondere gegen die formstarken Frankfurter, lässt mich auf einen Ketchupflaschen-Effekt nach den Länderspielen hoffen: Erst kommt nur wenig raus und nach einem ordentlichen Ruck alles auf einmal. Gleichzeitig steht die Mannschaft jetzt bis Weihnachten natürlich unter erhöhtem Druck. Die Tabellensituationen in Liga und Europapokal sind auch den schweren Gegner geschuldet, gegen die man erwartbar Punkte liegen ließ. Die müssen jetzt nachgeholt werden. Denn zur Winterpause ist statistisch gesehen der Unterschied zwischen aktueller und Endplatzierung schon geringer.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass schwankt in seiner Bewertung zwischen unerfreulich und beschissen. Stuttgart.international liest Jürgen Klopp die Leviten, Spielbericht wird natürlich auch noch verlinkt.
Titelbild: © Alex Grimm/Getty Images