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·14 February 2025

Logische Entscheidung, wichtige Diskussion

Article image:Logische Entscheidung, wichtige Diskussion

„Das Herz von St. Pauli“ wird am Samstag nicht am Millerntor laufen. Damit trifft der FC St. Pauli die einzig logische Entscheidung und ruft zu weiteren Diskussionen auf.(Titelfoto: Stefan Groenveld)

Ein Kommentar von Tim„Scheiße, das hätte ich lieber nicht gewusst!“ – Reaktionen wie diese gab es seit vergangenem Montag etliche, wenn man darüber sprach, wie Fans des FC St. Pauli zu der inoffiziellen Vereinshymne stehen. Nun weiß man es aber, und ja, das ist scheiße, denn es bedeutet für viele, dass dieses Lied nicht mehr tragbar ist.


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Was ist passiert? Das FC St. Pauli-Museum hatte sich vergangenen Montag in einer Podcastfolge mit den Ursprüngen des Liedes „Das Herz von St. Pauli“ befasst. Das Lied läuft in der Version von Phantastix & Elf seit rund 20 Jahren vor fast jedem Heimspiel im Stadion und ist in dieser Zeit ein festes und von vielen geliebtes, lautstark mitgesungenes Stadionritual geworden.

Wie der Verein heute bekanntgab, wird das Abspielen des Songs vorerst ausgesetzt, eine wissenschaftliche Dokumentation zum Lied und dem Urheber des Textes ist in Arbeit. Gemeinsam mit Fanladen und FC St. Pauli Museum ist eine Veranstaltung in Planung, in der die Ergebnisse vorgestellt und diskutiert werden sollen. „Erst danach soll es eine endgültige Entscheidung über den Umgang mit dem Lied geben.“

Texter Ollig mit kritscher NS-Vergangenheit

Nun ist aber vor allem die Vergangenheit des Texters des Liedes, Josef Ollig, kritisch zu betrachten. Ollig hatte als Kriegsberichterstatter während der NS-Zeit menschenverachtende Texte verfasst, war bereits vor der Machtübernahme der Nazis für ein kritisch zu betrachtendes Medium aktiv. Auch Hans Albers (mit ihm als Sänger wurde das Lied Mitte der 50er populär) und Michael Jary (Komponist) machten während der NS-Zeit Karriere, standen auf der „Gottbegnadeten-Liste“ von Goebbels.

Ja, der letzte Absatz ist genau das, wozu man „Scheiße, das hätte ich lieber nicht gewusst!“ sagen kann. Allerdings: Wir wissen es nun.Denn mit diesem Wissen erscheint das Lied für viele in einem anderen Licht, kann nicht mehr ohne grummelnden Magen vor dem Spiel mitgesungen werden. Auch dann noch, wenn es für eine*n selbst gelingen mag, dass man Werk und Künstler voneinander trennt. Denn das Lied dürfte heutzutage vor allem mit dem FC St. Pauli assoziiert werden, weniger mit Hans Albers, noch weniger mit Jary und Ollig. Entsprechend würde es nun für die Werte des FC St. Pauli stehen. Und damit für etwas völlig anderes als das, was vor allem Ollig während der NS-Zeit tat.

Meinungen in der Fanszene gehen weit auseinander

Das Problem: Man kann so argumentieren und für sich selbst entscheiden, dass man trotzdem „Das Herz von St. Pauli“ weiterhin voller Leidenschaft mitsingen kann. Das ist auch keineswegs verwerflich. Allerdings geht es nicht allen so. Viele dürften Bauchgrummeln haben, stehen diesem Lied nicht mehr so unvoreingenommen gegenüber. Weitere lehnen es kategorisch ab. Gute Argumente gibt es für alle diese Sichtweisen. Und es gibt in dieser Diskussion vielleicht kein Richtig und Falsch. Eine Lösung muss trotzdem gefunden werden.

Bei der Entscheidung, ob „Das Herz von St. Pauli“ weiterhin im Stadion laufen soll, muss man aber alle Seiten berücksichtigen und vor allem muss man Rücksicht auf alle Seiten nehmen. Es mag sein, dass man selbst mit dem Lied weiterhin fein ist, für sich diese Trennung hinbekommt. Was aber ist mit jenen, die das nicht möchten und/oder können? Sind die egal? Sicher nicht. Ein Lied, welches so prominent vor den Spielen des FC St. Pauli läuft, sollte niemanden ausschließen. Es soll ein Lied für alle Fans des FC St. Pauli sein. Klar, es wird immer unterschiedliche Geschmäcker geben, es gibt sicher kein Lied, auf das sich alle einigen können. Aber hier geht es nicht um den Geschmack, sondern darum, dass man nicht Textzeilen aus der Feder und dem Kopf von Josef Ollig singen möchte (egal, ob sie etwas anderes aussagen, als das, was Ollig während der NS-Zeit geschrieben hat). Schon gar nicht, wenn man die Wahl hat.

Was wir zudem auch nicht vergessen sollten: Es gab auch ein Spieltagserlebnis vor dem Abspielen des jetzt diskutierten Liedes. Es ist nicht so, dass wir dieses Lied seit Mitte der 80er spielen und der FC St. Pauli ohne gar nicht denkbar wäre. Rituale sind lieb gewonnene Gepflogenheiten, viele Menschen haben Probleme mit Veränderungen – und doch sind Veränderungen auch immer Chancen, etwas Neues und vielleicht sogar Besseres zu schaffen.

FC St. Pauli ruft zu weiterer Diskussion auf

Der FC St. Pauli hat nun entschieden, dass das Lied vorerst nicht am Millerntor gespielt wird und appelliert dabei, dass man die Diskussionen dazu unbedingt weiterführen soll. Denn es ist wichtig, dass möglichst viele in der heterogenen Anhängerschaft das Vorgehen nachvollziehen und den weiteren Verlauf mitbestimmen können – nur so kann man eine hohe Tragfähigkeit für diese und kommende Entscheidungen in der Sache erreichen. Wie man verantwortungsbewusst zu diesem Thema diskutieren kann, zeigte sich, bis auf wenige Ausnahmen, auch unter den beiden Artikeln, die wir letzte Woche zu dem Thema veröffentlicht haben (hier und hier).

Klar ist auch, dass nicht alle die jetzige Entscheidung mittragen werden. Es wird viele Leute geben, die diese Entscheidung und bereits die geführte Debatte nicht nachvollziehen können. Diese gilt es abzuholen, sie in die Diskussion mit einzubeziehen. Es wird aber sicher auch einige Leute geben, die bereits zu diesem Zeitpunkt erklären werden, dass das nun „nicht mehr mein Pauli ist“, angedrohter Vereinsaustritt inklusive. Wenn das „mein Pauli“ so sehr an diesem Lied hängt – welches ja nicht für den FCSP geschrieben, sondern vom FCSP irgendwann vereinnahmt wurde – und man aufgrund dieser Diskussion so drastisch reagiert, dann ist das vielleicht auch ganz gut so. Denn „mein FC St. Pauli“ ist genau das, was er jetzt ist und in dieser Sache auch sein muss: Ein Verein, der verantwortungsvoll mit so einem sensiblen Thema umgeht und auf Mitbestimmung setzt.

Es wird ganz sicher komisch werden, wenn es nun gegen Freiburg kein „Herz von St. Pauli“ zu hören gibt. Aber irgendwie ist es auch cool. Denn was jetzt kommt, ist aktuell völlig unklar. Es ist ein weißes Blatt Papier. Und wenn man es richtig macht, dann dürfen wir alle was auf dieses Papier draufschreiben – und so gemeinsam unsere Vereinshymne finden. Bringen wir uns also alle ein!// Tim

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