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·9 April 2025
Kommentar: Der HSV darf nicht mit Davie Selke verlängern!

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·9 April 2025
Ein wenig belächelt wurde der Hamburger SV schon, als er im vergangenen Sommer Davie Selke ablösefrei unter Vertrag genommen hat. 18 Zweitliga-Tore später sind die Kritiker verstummt. Selke ist zur Hamburger Lebensversicherung geworden - und zum Garanten im Aufstiegsrennen der zweiten Liga, in dem der HSV alle Trümpfe in der Hand hält.
Trotzdem ist die Personalie Davie Selke rund um den Volkspark weiterhin ein heikles Thema. Das liegt an der verzwickten Vertragssituation des 30-Jährigen. Selke hat beim HSV nur einen Einjahresvertrag. Der würde sich zwar verlängern, wenn der HSV aufsteigt und Selke auf 14 Startelfeinsätze in der Rückrunde kommt; da der Stürmer derzeit aber mit Rückenproblemen ausfällt, könnte dieses Ziel verpasst werden. In dem Fall wäre Selke im Sommer ablösefrei.
So weit will es der HSV eigentlich nicht kommen lassen. Gespräche über einen neuen Vertrag laufen seit Wochen, Medienberichten zufolge würde Selke einem Jahresgehalt von 1,8 Millionen Euro und einer Laufzeit von drei Jahren zustimmen. Das ist weniger, als er in der Bundesliga verdienen würde. Dort soll Interesse am 30-Jährigen bestehen, ein Jahresgehalt von über zwei Millionen Euro pro Jahr würde winken. Selke aber fühlt sich wohl in Hamburg und würde gerne beim HSV verlängern. Die Bild berichtet sogar, dass sich die Verhandlungen mit Selke auf der Zielgeraden befinden. Allein: sollte der HSV das wirklich tun?
Wenn man die Sachlage ganz nüchtern betrachtet: Nein!
Natürlich gibt es viele Argumente für einen neuen Selke-Vertrag. Alleine 18 Zweitliga-Tore sollten eigentlich eine Garantie für eine Verlängerung sein. Hinzu kommt, dass Selke eine Hauptrolle beim Wiederaufstieg des HSV spielen würde, sollten die Elbstädter ihren Vorsprung an der Tabellenspitze ins Ziel bringen. Einen Aufstiegshelden vom Hof zu jagen, das ist nicht gerade die feine englische Art. Man muss so ehrlich sein: die Vertragsverlängerung von Davie Selke ist eigentlich ein No-Brainer. Und doch gibt es zu viele Gründe, die dagegen sprechen. Das sind rein sportliche, kadertaktische Gründe, wie man vielleicht in München sagen würde - dort wird gerade Thomas Müller mit entsprechender Rhetorik vor die Tür gesetzt.
Im Falle Davie Selke trifft das aber tatsächlich zu. Denn anders als (mutmaßlich) Thomas Müller bei einem Bayern-Verbleib, würde Selke mit einem neuen Vertrag über 1,8 Millionen Euro zu den Topverdienern im Verein gehören. Selbst mit an die 1. Bundesliga angepassten Arbeitspapieren würde Selke beim HSV die Gehälter betreffend zur Elite gehören.
Nach sieben langen Jahren in der 2. Bundesliga würde der HSV im Falle des Aufstiegs einen der niedrigsten Etats in der ersten Liga haben, großer Name hin oder her. Aufgabe der Kaderplaner ist es nun, mit dem vorhandenen Budget einen Kader zu basteln, mit dem die Klasse gehalten und der HSV sich langfristig wieder in der Liga etablieren kann.
Was sich ein Aufsteiger keinesfalls leisten kann: Die Premium-Verträge an Spieler zu verteilen, die keine unumstrittenen Leistungsträger sind. Und in diese Riege passt Davie Selke schlichtweg nicht, obgleich er genau diese Rolle in der laufenden Saison einnimmt. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass Selke nur deshalb so viel Spielzeit bekommt, da Sturmkollege Robert Glatzel lange ausgefallen ist. Dass Selke seine Chance so beeindruckend genutzt hat, ist aller Ehren wert - es ändert aber nichts daran, dass der HSV im Sturmzentrum überbesetzt ist. Immerhin gibt es da auch noch Ransford Königsdörffer, der nicht nur ebenfalls eine herausragende Saison spielt, sondern im Gegensatz zu Glatzel und Selke auch noch jung ist und Entwicklungspotenzial mitbringt.
Tatsächlich wäre der HSV nur dann auf Selke angewiesen, wenn der seine brutale Form auch in die 1. Bundesliga mitnehmen könnte. Gegenargumente dafür liefert die Geschichte: In immerhin 238 Bundesliga-Spielen gelangen Selke gerade einmal 46 Tore. Das ist keine katastrophale Quote - aber nunmal auch keine, die einen Vertrag als Topverdiener rechtfertigen würde. Zudem konnte Selke vor seinem sensationellen Jahr in Hamburg weder in Köln, noch bei Hertha BSC wirklich überzeugen. Das Risiko, dass Selke derzeit ein One-Hit-Wonder ist, ist einfach zu groß. Und der Einsatz für die Wette ist gewaltig: sollte Selke floppen, zahlt der HSV über drei Jahre 5,4 Millionen Euro für einen Stürmer, den es gar nicht gebraucht hätte, da man mit Glatzel und Königsdorffer bereits zwei Top-Leute hat.
Und hinsichtlich der Frage, wie sinnvoll eine Selke-Verlängerung tatsächlich wäre, muss man noch einmal den Blick auf das Budget und die Kaderplanung werfen. Das Mittelfeld des HSV - ein absolutes Herzstück der Mannschaft - dürfte im Sommer auseinandergerissen werden. Oder würde enorm teuer werden, um beisammengehalten zu werden. Für Ludovit Reis dürfte es einen großen Markt geben, der Niederländer könnte andernorts deutlich mehr verdienen und auf einem höheren Niveau spielen. Adam Karabec ist zudem ausgeliehen. Für den Tschechen hat der HSV zwar eine Kaufoption in Höhe von drei Millionen Euro, das Geld muss aber auch irgendwoher kommen. Der HSV hat zwar einen der stärksten Kader der 2. Bundesliga, fraglich ist aber, wie gut das derzeitige Personal in Liga eins mithalten könnte. Es wird Optimierungen brauchen, neue Verträge, neue Spieler - und das alles muss bezahlt werden. Eine Trennung von Selke würde viel Geld einsparen, das man für wichtigere Kaderbaustellen aufwenden würde. Die Alternative wäre, einen dritten Topstürmer zu halten, ihn zum Topverdiener zu machen und die Finger zu kreuzen, dass er seine Wahnsinns-Form irgendwie halten kann. Und so oder so: einer der drei Topstürmer würde auf der Bank sitzen. Dann hätte der HSV ein Luxusproblem im Sturm, während die anderen Mannschaftsteile auf Kante genäht werden müssten.
Es bleibt festzuhalten, dass sich Davie Selke einen neuen Vertrag verdient hat. Er ist aktuell die Triebfeder des Aufstiegs und der Garant im Hamburger Offensivspiel. Nur Selke ist es zu verdanken, dass der HSV trotz des schlimmen Ausfalls von Robert Glatzel im Aufstiegskampf der zweiten Liga geblieben ist und vermutlich nach sieben Jahren endlich in die Bundesliga zurückkehrt. Einem solchen Mann einen Vertrag zu verwehren, wäre ein Frevel sondergleichen.
Und doch bleibt der realistische Blick auf den Kader, auf Selkes vermeintliches Leistungsvolumen, auf offene finanzielle Fragen und eine Überbesetzung im Sturm. Unter dem Strich ist und bleibt der Fußball ein Business - siehe Thomas Müller beim FC Bayern. Und nach dieser Maxime wäre die Entscheidung, Davie Selke keinen neuen Vertrag anzubieten, ein No-Brainer. Man könnte sogar bilanzieren, dass alle Beteiligten gewinnen: Selke hat dem HSV zum Aufstieg verholfen und sich gleichzeitig für einen neuen, hochdotierten Vertrag in der Bundesliga empfohlen. Das belächelte Experiment im vergangenen Sommer ist also voll aufgegangen.
Am Ende des Tages ist der Fußball zwar ein Geschäft, vor allem aber Ort der Emotionen und Romantik. Sollte der HSV seinem Aufstiegshelden keinen neuen Vertrag anbieten, kann man noch so viele gute Argumente ins Feld führen, dann hat der Fußball wieder einmal verloren.
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