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·16 July 2025
Heimlicher Titelfavorit: Deutschlands Viertelfinalgegner Frankreich im Check

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·16 July 2025
Als man vor dem Start der Europameisterschaft 2025 gefragt hat, welche Nationen als Favoriten auf den Titel gelten, wurden immer Weltmeister Spanien und England als die Titelverteidigerinnen genannt. Im erweiterten Kreis befanden sich zudem Rekordsieger Deutschland und auch Frankreich, die bis heute auf ihren ersten Finaleinzug bei einem großen Turnier warten. Nach starken Auftritten in der Gruppenphase ist die Hoffnung bei den Französinnen nun groß, dass beim Turnier in der Schweiz die Zeit endlich reif ist. Das Viertelfinale zwischen Deutschland und Frankreich steht am Samstagabend um 21:00 Uhr an.
Vier Nationen bei der EM sind bisland noch ohne Niederlage, darunter auch die Französinnen. Eine herausragende Leistung, wenn man bedenkt, dass sie England, den Niederlanden und Wales in der "Group of Death" gegenüberstanden. Der nächste Gegner des DFB-Teams hat es in sich, und das gleich in jedem Mannschaftsteil - eine Vorstellung der Stärken und Schwächen.
Delphine Cascarino lieferte ein engagiertes Spiel gegen die Niederlande ab und belohnte sich mit zwei Toren / SEBASTIEN BOZON/GettyImages
Frankreich ist vor dem Turnierstart trotz einer makellosen Nations-League-Saison nicht von Nebengeräusche verschont geblieben, nachdem der neue Trainer und ehemalige Assistent von Hervé Renard, Laurent Bonadei, sich kadertechnisch dazu entschied, gestandene Spielerinnen wie Wendie Renard, Eugénie Le Sommer und Kenza Dali nicht zu nominieren. Stattdessen legte sich der 55-Jährige fest, einigen jungen Spielerinnen die Chance zu geben und Abwehrchefin Griedge Mbock Bathy zur neuen Kapitänin zu machen.
Wer sich die ersten Partien der Französinnen angesehen hat, wird keine der nicht berücksichtigten Spielerinnen vermisst haben. Denn der schnelle Offensivfußball, den Les Bleues bisher auf den Platz gebracht haben, macht nicht nur Spaß zuzuschauen, sondern erweist sich auch als gewinnbringend.
Besonders das Angriffs-Trio bestehend aus Marie-Antoinette Katoto, Sandy Baltimore und Delphine Cascarino präsentierte sich stark und hatte erheblichen Anteil daran, dass Frankreich neben Spanien (14) und England (11) mit elf Toren die meisten Treffer in der Gruppenphase erzielte. Kein Wunder, denn vor dem Tor wird nicht lange gefackelt, sondern mit viel Entschlossenheit bei jeder sich bietenden Gelegenheit abgeschlossen. Um dies einzuleiten, profitiert Bonadeis Mannschaft von einem Zusammenspiel aus präzisen Kurzpass-Kombinationen und enormem Tempo über die Außenspielerinnen. Gerne schalten sich über die Flügel auch die weit aufgerückten Elisa de Almeida und Selma Bacha in das Offensivspiel ein.
Doch neben den Angreiferinnen verdient auch die französische Abwehrleistung großes Lob. Allen voran Alice Sombath, die in Abwesenheit der angeschlagenen Mbock Bathy das Zepter in der Defensive mit Bravour übernommen hat.
Erwähenswert sind zudem die neu gefundenen Comeback-Fähigkeiten Frankreichs. Geschah es in der Vergangenheit doch oft, dass die Französinnen sich nach einem Rückstand gegenseitig die Schuld zuschoben und dabei das Fußballspielen zurückstellten. Im Gegenteil dazu bewies die Equipe Tricolore im letzten Gruppenspiel gegen die Niederlande, dass man auch nach Gegentoren einen kühlen Kopf bewahren und umso stärker zurückkommen kann.
Alice Sombath (im Duell mit Lineth Beerensteyn) gab bisher die Abwehrchefin für die Equipe Tricolore. / Alexander Hassenstein/GettyImages
Die französische Innenverteidigung musste bisher in allen Gruppenspielen ohne die eigentliche Kapitänin auskommen. Auch wenn Sombath hervorragend aufspielt, sind Schwächen bei ihrer Nebenfrau Thiniba Samoura aufgetreten, die in den letzten beiden Partien von Beginn an spielte. Sowohl gegen Wales (4:1) als auch gegen die Niederlande (5:2) ließ sich in einigen Situation erkennen, dass Samoura mit ihren 21 Jahren auf noch nicht allzu viel Erfahrung zurückgreifen kann. Dieses Defizit könnte den deutschen Angreiferinnen, speziell der Stürmerin und den Flügelspielerinnen, in die Karten spielen.
Eine Stärke und Schwäche zugleich: Les Bleues gehen bei ihren Offensivaktionen stets komprisslos vor. Um das gegnerische Tor zu erreichen, geht das Team oftmals mit vollem Risiko in die Aktionen. Das betrifft die Außenverteidigerinnen, die sehr hoch schieben, aber auch das Passspiel, dessen Erfolgsvoraussetzung darin besteht, dass alle Spielerinnen stets in Bewegung sind und der Ball mit dem genau richtigen Timing gepasst werden muss. Fällt ein Baustein aus diesem Schema, können sich daraus Kontermöglichkeiten für den jeweiligen Gegner ergeben.
Was passiert, wenn die wohl schnellste Offensive der EM auf eine eher langsame Defensivabteilung trifft? Es ist mittlerweile bekannt, dass sich die deutsche Viererkette zuletzt mit Tempo-Problemen beschäftigt hat. Hinzu kommt, dass mit Carlotta Wamser eine der schnelleren Spielerinnen im Kader für das Viertelfinale aufgrund einer Roten Karte gesperrt ist. Es liegt also nahe, gerade in auf den defensiven Außenpositionen auf schnelle Spielerinnen wie etwa Kathrin Hendrich zu setzen, die darüber hinaus auch einen großen Erfahrungsschatz mitbringt, der neue Stabilität geben kann.
Um der französischen Offensive eine ihrer größten Waffen zu nehmen, sollte das DFB-Team sich trauen, etwas von der eigenen Spielweise, die durch Ballbesitz und das flache Herausspielen von hinten heraus geprägt ist, abzulassen. Gegen Frankreich wäre es ratsam, im Verbund deutlich tiefer zu stehen, um erst gar nicht die Räume hinter der Abwehr anzubieten. Offensiv könnte man statt der nicht immer bewehrten "Handball-Methode", das Herumpassen um den Sechzehner mit gewisser Konteranfälligkeit bei Ballverlusten, mehr auf Konterangriffe setzen. Denn Spielerinnen mit Speed hat Deutschland in Person von Klara Bühl und Jule Brand genauso.
Abgesehen davon wäre der taktischen Abteilung des DFB-Teams zu empfehlen, die Schlussminuten des ersten französischen Gruppenspiels gegen England und die erste Hälfte gegen die Niederlande genauer zu sichten. Denn hier gelang es den Gegnerinnen zwischenzeitlich, die Französinnen gewaltig unter Druck zu setzen und Räume für Torchancen zu generieren.
Deutschland hat nun nach dem 1:4-Debakel gegen Schweden eine ganze Woche Zeit, um das Spiel aufzuarbeiten und an den erneut aufgezeigten Baustellen zu arbeiten. Am Samstagabend (19. Juli, 21:00 Uhr) wird sich schließlich entscheiden, ob die EM-Reise des DFB-Teams fortgeführt wird oder gegen Frankreich beendet ist.