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·6 September 2024

Erfolgreicher Nachwuchs?

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Das Nachwuchsleistungszentrum des FC St. Pauli geht neue Wege. Doch sind diese auch erfolgreich? Und wie misst man überhaupt Erfolg in der Jugendarbeit beim FCSP?(Titelbild: Peter Boehmer)

Klar, der Wunsch ist immer sehr groß, dass der FC St. Pauli seine Profis selbst ausbildet. Das schafft Identifikation und ist deutlich günstiger. Und es lassen sich auch einfach schönere Geschichten erzählen, wenn heutige Profis als Jugendliche in der Bettwäsche des FCSP geschlafen haben.Nun ist der Profifußball aber natürlich keine Insel der Glückseligkeit. Gerade die Arbeit mit Jugendspielern wird – oft völlig zu Recht – kritisch betrachtet. Beim FC St. Pauli versucht man neue Wege zu gehen, wie Benjamin Liedtke, zusammen mit Fabian Seeger Leiter des NLZ des FCSP, unter anderem ausführlich bei uns im Podcast vor wenigen Monaten erklärte. Vor Beginn der Saison 22/23 wurde das Ausbildungskonzept „Rebellution“ vorgestellt und im Verlauf der letzten Saison erklärte man, dass man auf NLZ-Ebene die Zusammenarbeit mit Berater*innen und Agenturen einstellt.


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Reformen im NLZ des FC St. Pauli

Doch wie wird die Arbeit im NLZ des FC St. Pauli eigentlich bewertet? Wie kann man messen, ob dort gute Arbeit geleistet wird? Im besten Fall nicht anhand von Ergebnissen auf NLZ-Ebene, wie uns Benjamin Liedtke erklärte, als es um die Reform der Nachwuchsligen ging. Seit dieser Saison gibt es ein anderes System. Und ebenfalls seit dieser Saison verzichtet der FC St. Pauli darauf, mit einer U16 in der höchstmöglichen Liga (B-Junioren Regionalliga Nord) anzutreten. Das Ziel beider Maßnahmen: Weniger Ergebnisdruck und Abhängigkeit von körperlichen Vor- und Nachteilen soll die individuelle Entwicklung verbessern.

Der FC St. Pauli möchte also ein paar Dinge anders machen oder hat entscheidend daran mitgewirkt, dass Veränderungen in der Jugendarbeit möglich sind. Aber haben diese Dinge auch zum Erfolg geführt? Ist die Arbeit im Nachwuchsleistungszentrum des FCSP erfolgreich zu bewerten oder eher nicht? Und wie wird Erfolg überhaupt gemessen?

Nur wenige schaffen den Sprung

Ein Gradmesser des Erfolgs der Nachwuchsarbeit ist natürlich die Durchlässigkeit aus dem Jugendbereich zu den Profis. Dabei sind viele Abstriche zu machen und Faktoren zu berücksichtigen. Aber ganz allgemein ist der Blick in den aktuellen Profikader des FC St. Pauli schon notwendig, um den Erfolg der eigenen Jugendarbeit zu bemessen. Und ob dieser oberflächliche Blick momentan dazu führt, dass man von erfolgreicher Arbeit sprechen kann, darf bezweifelt werden. Zwar trainieren einige ehemalige und aktuelle NLZ-Spieler bei den Profis mit (z.B. Muhammad Dahaba, Marwin Schmitz, Luca Günther). Die Aussicht auf Spielzeit ist bei allen aber, zumindest in dieser Hinrunde, eher als gering einzuschätzen.

Auch in der Vorsaison war die Situation ähnlich: Einzig Eric da Silva Moreira bildete eine positive Ausnahme, weil er in Nürnberg sein Debüt in der 2. Bundesliga feierte. Weitere Spielminuten sammelte Tjark Scheller, der diesen Schritt allerdings nicht über das NLZ, sondern die U23 schaffte (und nun Stammspieler beim SC Paderborn ist). Eine Saison zuvor kam Igor Matanović auf einen signifikanten Spielanteil, Jannes Wieckhoff wurde zudem zweimal eingesetzt. Zuvor verließ Finn Ole Becker den Verein, nachdem er in zwei Jahren viele Minuten sammelte. Eine so richtig erbauliche Bilanz der letzten zwei Jahre ist das nicht, zumindest auf den ersten Blick. In der Bundesliga gibt es aktuell ein halbes Dutzend an Teams, bei denen mehr als ein im eigenen NLZ ausgebildeter Spieler regelmäßig auf dem Platz steht. Bei ähnlich vielen Clubs steht aktuell niemand aus dem eigenen NLZ auf dem Platz. Die Situation beim FC St. Pauli ist somit zwar nicht so erfreulich, aber alles andere als selten.

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Dieser Moment, 2022 auf Schalke, als Igor Matanovic plötzlich Weltklasse-Stürmer war und man dachte, dass er den FC St. Pauli in die Bundesliga schießen kann. // (c) Peter Boehmer

Auch Abgänge sind Erfolge

„Natürlich schauen wir uns genau an, wie viele Spieler wir intern hochschieben können,“ erklärt Benajmin Liedtke auf unsere Frage nach den Bemessungsgrundlagen erfolgreicher Arbeit im NLZ. Mit „intern hochschieben“ meint er übrigens auch den Weg aus der U19 in die U23. Denn die Pandemiejahre, so Liedtke, hätten zu einer deutlichen Delle in der Ausbildung der Jugendspieler geführt. Gab es vorher noch vermehrt Möglichkeiten, direkt den Weg aus der U19 in die Profiligen zu schaffen, so ist das aktuell eher seltener der Fall. Die Notwendigkeit einer U23 hat man nicht nur beim FC St. Pauli erkannt. So meldete Eintracht Frankfurt 2022 wieder eine zweite Mannschaft zum Spielbetrieb an. Andere Clubs (Union Berlin, Bayer Leverkusen, RaBa Leipzig) haben keine zweite Mannschaft.

Gerade die Namen da Silva Moreira und Matanović zeigen, dass man Erfolg etwas anders messen muss. Denn einzig darauf zu schauen, wie viele Spieler den Weg aus dem NLZ des FC St. Pauli zu den Profis des FC St. Pauli schaffen, sei falsch, so Liedtke. Denn nicht selten seien Wege verbaut, weil zum Beispiel der Profi-Kader auf bestimmten Positionen gut gefüllt ist, wenn talentierte Spieler aus dem NLZ hochschieben könnten. So schaut man beim FCSP auch genau darauf, wie die Wege der ehemaligen NLZ-Spieler im Profibereich so verlaufen. Und da sind die jüngsten Beispiele mit Matanović und da Silva Moreira schon als sehr erfolgreich zu bewerten, so Liedtke. Diesen Erfolg merkt man beim FCSP übrigens nicht nur durch Ablösesummen und Weiterverkaufsbeteiligungen, sondern auch durch Ausbildungsentschädigungen, die bei Transfers an die auszubildenden Vereine gezahlt werden.

Limitierte Ressourcen

Sowieso ist bei der Bewertung der Arbeit des Nachwuchsleistungszentrums des FC St. Pauli zu beachten, mit welchen Mitteln gearbeitet werden kann. Nicht wenige NLZs haben Etats, mit denen Zweitligisten den gesamten Profikader finanzieren. Beim FCSP ist das nicht der Fall, der Etat ist wesentlich niedriger. Liedtke: „Man muss alles in Relation zu den Ressourcen setzen, weil andere Vereine teilweise viel mehr Mittel zur Verfügung haben.“ Das NLZ des FC St. Pauli wird unter anderem von der Abteilung Fördernde Mitglieder (AFM) finanziert. Mit einer Summe, die sich pro Jahr knapp um die Millionengrenze bewegt. Weitere Mittel kommen hinzu, aber die AFM ist einer der wichtigsten Geldgeber für die Nachwuchsarbeit beim FCSP.

Ziel: Weniger Fluktuation

Dass viele Clubs in Deutschland sehr, sehr viel Geld in die Hand nehmen, um in Potenziale zu investieren, zeigt, wie hart dieser Wettbewerb ist. Der FC St. Pauli möchte hier mit seinem Konzept „Rebellution“ einen etwas anderen Weg gehen, setzt dabei auf eine Art regionales Spielermodell und möchte damit auch dafür sorgen, dass Jugendspieler die Vereine nicht ständig wechseln. Das hat natürlich auch einen Selbstzweck: Die Metropolregion Hamburg hat einen relativ großen „Pool“ an Talenten, es muss daher nicht überregional nach Talenten gesucht werden, um eine hohe Qualität im NLZ zu haben. Doch der Versuch, die sehr talentierten Spieler länger in den eigenen Reihen zu halten, wird auch zukünftig immer mal wieder scheitern, da ist sich Liedtke sicher: „Die, die sehr früh auffallen, sind für uns meist nicht zu halten.“

Beispiele von Spielern, die das NLZ des FC St. Pauli bereits im Jugendalter, ohne einen Einsatz bei den Profis, verlassen haben, gibt es viele. Die aktuell erfolgreichsten dürften Tom Rothe (jetzt Union Berlin) und Youssoufa Moukoko (jetzt OGC Nizza) sein. Sam Schreck wurde zumindest mal nachgesagt, dass er eine Weltkarriere vor sich hat, als er 2016 aus der U17 des FCSP in Richtung Leverkusen aufbrach. Und sagt Euch der Name Antonio Tikvic etwas? Sollten Euch in naher Zukunft der Name Karlo Simic, Kilian Sauck oder Lennart Baum über den Weg laufen, könnt ihr ja an diesen Artikel denken und an die Worte von Liedtke am Ende des letzten Absatzes.

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Tom Rothe (hier im Zweikampf mit Dapo Afolayan) ist seit dieser Saison für Union Berlin aktiv. Er hat zwar auch das NLZ des FC St. Pauli besucht, wechselte aber bereits mit 16 Jahren nach Dortmund. // (c) Luciano Lima/Getty Images/via OneFootball

Einige „müssen“ Profis werden

Zurück zur aktuellen Situation, bei der weniger als eine Handvoll Spieler bei den Profis dabei sind, die zuvor im hauseigenen NLZ aktiv waren. Hierbei muss bedacht werden, dass die Vereine auch verpflichtet sind, Spieler aus dem eigenen Nachwuchs zu integrieren bzw. mit Profiverträgen auszustatten. Die „Local Player“-Regelung besagt, dass mindestens vier Spieler „in drei Spielzeiten/Jahren im Alter zwischen 15 und 21 Jahren für den Verein oder die Kapitalgesellschaft spielberechtigt gewesen sein“ müssen. Dabei muss aber unterschieden werden, dass ein Profivertrag nicht gleichbedeutend mit der Kaderzugehörigkeit bei den Profis zu setzen ist. Viele Clubs haben einige Profis, die vornehmlich in den zweiten Mannschaften aktiv sind (beim FC St. Pauli sind Bennet Winter und Lennart Appe aktuelle Beispiele).

Mehr ist natürlich immer besser, doch Benjamin Liedtke bewertet die aktuelle Situation positiv, in der einige ehemalige NLZ-Spieler fester Bestandteil des Profikaders sind: „Wenn du es schaffst, ein bis zwei Spieler ‚oben‘ reinzugeben, dann ist das ein Erfolg.“ Auch deshalb, weil diese interne Besetzung von Kaderplätzen teilweise deutlich günstiger sei „als extern jemanden zu holen.“ Und genau das beschreibt Liedtke auch als Ziel des FC St. Pauli: „Der Verein möchte mit der Nachwuchsabteilung eine ernsthafte Alternative zu externen Transfers stellen.“

Potenzial bei Infrastruktur

Damit das Nachwuchsleistungszentrum des FC St. Pauli eine noch größere Alternative zu externen Transfers wird, müssen allerdings die Rahmenbedingungen verbessert werden. Liedtke erklärte bereits bei uns im Podcast sehr ausführlich, wie wichtig die Verbesserung der NLZ-Infrastruktur durch den Neubau des Trainingszentrums an der Kollaustraße wäre. Er rechnet fest damit, dass diese Verbesserung der Infrastruktur sich dann auch in einer höheren Anzahl an Spielern niederschlagen wird, die den Schritt in den Profibereich schaffen (ob beim FCSP oder anderswo). Und vielleicht wird es dann auch irgendwann gelingen, die größten Talente noch länger im Verein zu halten.

Angesprochen auf die Ziele und Bemessungsgrundlagen von Erfolg in der NLZ-Arbeit, betont Benajmin Liedtke aber etwas, was sowieso bei der Nachwuchsarbeit immer im Vordergrund stehen sollte (was wir hier einfach mal als Schlusswort nehmen wollen): „Wir arbeiten mit Kindern und Jugendlichen, die sich entscheiden, ein Talent auszuüben. Wir begleiten sie beim Erwachsenwerden. In diesem Prozess definieren sie ganz viel Selbstwert über das Fußballspielen. Gerade dieser pädagogische und psychologische Umgang damit ist wichtig. Hinter jedem Spieler, den Vereine verpflichten, steht ein Spieler, der rausgeworfen wird. Wenn es nur einer von 1000 schafft, hast du 999, die den Schritt in den Profi-Bereich nicht geschafft haben. Da haben wir eine gesellschaftliche und persönliche Verantwortung. Daher müssen wir die ‚Drop out‘-Quoten reduzieren, das aber kombinieren mit sportlichen Erfolg.“

// Tim

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