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·22 November 2024

Defensiv stark, aber vorne fehlt was

Article image:Defensiv stark, aber vorne fehlt was

In der Bundesliga überzeugte der FC St. Pauli zuletzt mit Defensivstärke. In der Offensive fehlen dem Team aber ein paar Dinge, unter anderem Spieler.(Titelbild: Stefan Groenveld)

Der Versuch einer Prognose ist im Fußball, wie immer, nicht viel mehr wert als ein Blick in die Glaskugel oder das Auslesen des Kaffeesatzes. Trotzdem gibt es einige Parameter, die zumindest Hinweise darauf liefern, wie und wo ein Team wahrscheinlich am Saisonende einlaufen wird. Beim FC St. Pauli ergibt sich dabei aber ein sehr diffuses Bild, welches eine halbwegs verlässliche Prognose nahezu unmöglich macht.


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Defensiv ist der FC St. Pauli sattelfest

Nachdem das Team des FC St. Pauli laut Aussage von Jackson Irvine die ersten drei Ligaspiele benötigte, um die Vorgaben von Alexander Blessin umzusetzen, werde man nun, so Irvine, von Spiel zu Spiel immer besser. Gemeint ist damit vor allem die Arbeit gegen den Ball. Zuletzt biss sich am tiefen 5-4-1-Block des FCSP sogar der FC Bayern München die Zähne aus, konnte aber aufgrund eines Traumtores von Musiala trotzdem gewinnen.

Sicher ist aber spätestens nach dieser Leistung: Gelingt dem FC St. Pauli der Klassenerhalt in der Bundesliga, dann würde man hinterher davon schreiben, dass dies vor allem dank einer sattelfesten Defensive möglich war. Zwölf Gegentreffer nach zehn Spielen bedeuten die viertbeste Defensive der Bundesliga. Die 1,2 Gegentreffer pro Partie würden am Saisonende knapp 41 Gegentreffer bedeuten.

Mit dieser Gegentorquote steigt man (sehr selten) ab

Es dürfte vielen klar sein, aber ich schreibe es trotzdem: Diese wenigen Gegentore sind keine Zahlen, mit denen man absteigt. Es sei denn man ist der 1. FC Kaiserslautern, der 95/96 das Wunder vollbrachten und trotz weniger als 40 Gegentoren abstieg. Doch das Wunder ging dann auch in die andere Richtung: Der FCK stieg direkt wieder in die Bundesliga – auf und wurde 1998 sensationell Deutscher Meister. Würde man beim FC St. Pauli so sicher auch nehmen. Ein Klassenerhalt wäre aber trotzdem lieber, allein schon aufgrund der Wahrscheinlichkeiten.

Offensiv wie ein Absteiger

Denn der FC St. Pauli hat auch ein anderes Gesicht: Er „erlaubt“ auch den Gegnern defensiv stabil zu sein. Sieben eigene Tore nach zehn Spielen bedeuten die schlechteste Offensive der Bundesliga, was auch mit den xG-Werten zusammenpasst. Mit hochgerechnet knapp 24 Treffern den Klassenerhalt schaffen? Das ist in den letzten 30 Jahren keinem Bundesligaclub gelungen. Arminia Bielefeld schaffte es 20/21 mal mit 26 Treffern, stellte in der Saison aber auch nicht die toremäßig schlechteste Defensive der Liga. Als schlechtestes Defensive schaffte es Bielefeld 05/06 (32 Treffer) drin zu bleiben. Freiburg gelang das 98/99 auch, allerdings mit 36 Treffern und damit deutlich mehr als die Richtung, in die der FC St. Pauli aktuell unterwegs ist.

Offensiv wie ein Absteiger, defensiv wie ein Drinbleiber – was denn nun? Nichts so richtig. Zumal die Aussagekraft der Zahlen begrenzt ist. Ich würde das zwar alles über der Kaffeesatzleserei einordnen, aber vor allem nach erst zehn Spieltagen muss man aufpassen, dass die Zahlen nicht brutal falsch interpretiert werden. Denn wie sattelfest diese FCSP-Defensive ist, dürfte sich besonders in den Hinrunden-Spielen gegen Leverkusen, Frankfurt und Stuttgart zeigen, die bei den erzielten Toren Platz 2, 3 und 4 belegen (was mit den xG-Werten übereinstimmt). Auch der kommende Gegner Gladbach (Platz 6) gehört zu den offensivstärkeren Teams. Es stehen also durchaus harte Proben für den FC St. Pauli an.

Dem FC St. Pauli fehlt Tempo

Und natürlich sind defensive Stabilität und fehlende offensive Wucht untrennbar miteinander verwoben, vor allem, wenn im Kader die Geschwindigkeit nicht so recht vorhanden sein mag. Der Blick in die Höchstgeschwindigkeiten weist darauf hin: Philipp Treu ist der bisher schnellste Spieler des FC St. Pauli in dieser Saison gewesen. Mit 33,96 km/h liegt er ligaweit auf Platz 71. Alle anderen Bundesligisten haben da mindestens einen Spieler, der vor Treu in dieser Rangliste positioniert ist. Und bei allen Bundesligisten handelt es sich dabei auch um einen Offensivspieler. Der schnellste Offensivspieler des FCSP ist Morgan Guilavogui, er liegt auf Platz 130 bei den Höchstgeschwindigkeiten.

Auch hier gilt: Der Top-Speed liefert nur Hinweise, besitzt keine allumfassende Aussagekraft zum Tempo von Spielern. Zumal man vielen FCSP-Spielern auch eine besondere Stärke beim „Tempo im Kopf“ attestieren kann, die es dann eben nicht in den Beinen braucht. Trotzdem dürfte die Aussage nicht ganz falsch sein, dass es dem FC St. Pauli an Tempo mangelt.

Article image:Defensiv stark, aber vorne fehlt was

Eine Szene mit schweren Folgen: Elias Saad wird vom Mainzer Dominik Kohr hart gefoult und wird seitdem beim FC St. Pauli schmerzlich vermisst. // (c) Stefan Groenveld

Sehr pragmatisch: Alexander Blessin

Übrigens nicht nur in der Offensive, sondern womöglich auch in der Defensive. Das tiefe 5-4-1 kann nämlich auch als Entwicklung verstanden werden, die es benötigte, weil der FC St. Pauli bei einer höheren Positionierung Probleme mit gegnerischen Tiefenläufen bekommt. Und so wie es aussieht, hat Alexander Blessin hier einen pragmatischen Weg gewählt, hat die Spielweise deutlich an das Team angepasst und ist dabei von seinen bisherigen Spielideen bei anderen Clubs abgewichen.

Entsprechend ist auch viel weniger von dem zu sehen, was man von Alexander Blessin als Trainer des FC St. Pauli erwarten konnte, als er vor Saisonbeginn den Cheftrainer-Job beim FCSP antrat. Blessin eilte nicht zu Unrecht der Ruf der Leipziger Fußballschule voraus, in der viel auf Tempo gesetzt wird. Bei seinen Stationen in Belgien zeigte sich das nämlich deutlich. Mit Royal Union Saint-Gilloise hatte Blessin einen PPDA-Wert von knapp über 9 produziert, was der viertniedrigste der Liga gewesen ist. Mit KV Oostende, 20/21 als Absteiger Nr. 1 gehandelt, ließ er sogar noch etwas aggressiver und mutiger verteidigen, wie der PPDA-Wert von knapp über 8 (Platz 2 in der Liga) anzeigt.

Pressingverhalten anders als in Belgien

Der PPDA-Wert, eine Metrik, die anzeigt, wie viele Defensivaktion ein Team in der gegnerischen Hälfte (und ein bisschen der eigenen Hälfte) hat, liefert Hinweise auf das Pressingverhalten von Fußball-Mannschaften. Generell gilt: Je niedriger der Wert, umso intensiver presst ein Team in der gegnerischen Hälfte. Während die von Blessin trainierten Teams in Belgien immer zu den Top-Teams bei dieser Metrik gehörten, ist es beim FC St. Pauli anders herum: Ein PPDA-Wert von über 15 bedeutet Platz 17 im Ligavergleich. Diese Metrik zeigt extrem deutlich auf, dass der Blessin-Fußball aus Belgien mit jenem vom FCSP kaum vergleichbar ist.

Jedenfalls scheint der FC St. Pauli unter der Leitung von Alexander Blessin eine Spielweise gefunden zu haben, die zumindest defensiv funktioniert. Um aus dieser Grundidee heraus mehr offensive Gefahr zu entwickeln, dürfte mehr Tempo von Nöten sein. Denn einzig der Wunsch nach einer besseren Effizienz – der FCSP hat sieben Treffer bei einem xG-Wert von 9,5 erzielt (niedrigster xG-Wert der Bundesliga), liegt damit in der Abschluss-Effizienz auf Rang 14 – dürfte nicht reichen.

Es fehlen wichtige Spieler

Denn wie immer im Fußball, ist ein Produkt das Werk vieler. Würde man in einem Artikel noch davon schreiben, dass die Offensive nicht ganz so rund läuft, wenn Spieler wie Simon Zoller, Elias Saad und Scott Banks dem Team zur Verfügung stehen würden? Wie wäre das mit der Torgefahr aus dem Mittelfeld, wenn Connor Metcalfe seine angedachte Stammplatz-Rolle bisher hätte einnehmen können? Das Abendblatt (€) hat zusammen mit „ballorieniert“ ein paar Zahlen zusammengestellt, die zu einem ähnlichen Ergebnis kommen (u.a. es fehlt an Tempo) und auch klar aufzeigen, dass der FC St. Pauli mit Elias Saad auf dem Platz sehr viel mehr Offensivgefahr erzeugte.

Der Kader des FC St. Pauli ist im zentralen Mittelfeld und der Offensive aktuell extrem dünn. In den letzten Jahren hat das mit der Kadergröße funktioniert, weil die Anzahl an Verletzungen gering gewesen ist. Nun gibt es aber mehr verletzte Spieler und zack, sind Spieler im Rampenlicht, denen man diese Rolle nicht zugetraut hätte. Und denen man, mit Verlaub, teilweise auch anmerkt, dass der Schuh etwas groß ist, den sie sich anziehen (müssen). Zusätzlich fehlt natürlich der Konkurrenzkampf, was sich auch im Trainingslevel äußern könnte. Denn wenn du als Spieler um deinen Platz in der Startelf kämpfen musst, dann agierst Du im Training anders, als wenn du genau weißt, dass du spielst am Wochenende, sofern du dich nicht verletzt.

Offensive Außenbahn und zentrales Mittelfeld dünn besetzt

Nun werden am Wochenende mit Robert Wagner, Connor Metcalfe, Scott Banks und Elias Saad vier Spieler fehlen, die auch allesamt auf der offensiven Außenbahn aktiv sein können. Da die drei letztgenannten Spieler zuletzt fehlten, wurde Wagner gegen Bayern und Hoffenheim auf dieser für ihn ungewohnten Position eingesetzt. Nun wird aber auch Wagner am Wochenende fehlen. Somit bleiben hinter Morgan Guilavogui und Dapo Afolayan nur noch Erik Ahlstrand und Danel Sinani als Optionen. Sinani könnte auch im zentralen Mittelfeld eine Rolle spielen, weil hinter Carlo Boukhalfa und Jackson Irvine ebenfalls ein Loch im Kader klafft.

Es fehlen vorne also Spieler beim FC St. Pauli. Das ist alles andere als optimal und dürfte einer der Gründe sein, warum der FCSP offensiv bisher das schwächste Team der Liga ist. Doch bevor hier mit Nachdruck Neuverpflichtungen gefordert werden, sollte erstmal geschaut werden, dass die jetzigen Kaderspieler wieder fit werden. Sowieso ist es in gewisser Hinsicht auch nur logisch, dass der FC St. Pauli offensiv nicht regelmäßig ein Feuerwerk entfacht: Denn es dürfte nichts, aber auch wirklich gar nichts falsch sein an der Vorgehensweise, erst einmal einen Fokus auf eine sattelfeste Defensive zu legen, um von diesem Fundament aus offensive Gefahr zu entwickeln. Das ist ein Prozess, der dauern kann. Die Idee, dass der FCSP in der Hinrunde nicht den Anschluss an Platz 15 verliert, um dann in der Rückrunde das Level der Bundesliga in allen Mannschaftsbereichen erreicht zu haben (und dann folglich mehr Punkte holt) ist alles andere als weit hergeholt. Bei diesem Prozess wäre aber natürlich jede Erhöhung des Tempos hilfreich. Sowohl bei Heilungsprozessen, als auch bei der Entwicklung der offensiven Idee, vielleicht auch bei jenem auf dem Platz.

// Tim

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