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·8 April 2025
Amateurfußball: Stadt und Land im Vergleich

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·8 April 2025
„Wir kriegen nicht mal mehr eine C-Jugend zusammen, geschweige denn eine A-Jugend!“, klagt der Jugendleiter des fränkischen Dorfklubs. Tatsächlich sind bspw. im Landkreis Bamberg fast nur noch Spielgemeinschaften am Start, bei der A-Jugend müssen vielerorts gar mehrere Landkreise zusammengelegt werden, um eine Kreisliga zu bilden.
„Wir haben bei Kindern aller Altersklassen riesige Wartelisten! Aber uns fehlen Trainer, Plätze und die nötige Administration, um den Zulauf bewältigen zu können.“ So antwortet sein Kollege aus der Berliner Innenstadt.
Was dem einen fehlt, hat der andere im Übermaß, auch bei der Infrastruktur. Der Verein vom Land verfügt über zwei wunderbare Rasen- und einen Kunstrasenplatz der neueren Generation. Der aus der Hauptstadt, ebenso in München oder Köln, muss sich zwei abgenutzten Kunstrasenplätzen begnügen, obwohl er 40 Teams betreut.
Der Kommune fehlen sowohl Geld als auch Personal für die dringend nötige Sanierung. Die Sportverbände haben den Kampf um neue Sportanlagen längst aufgegeben. Dieses Schicksal teilen beide Vereine, denn die öffentlichen Kassen sind leer. Wird doch einmal Geld ausgegeben, fließt es häufig in Prestigeobjekte. Die klassischen Amateurvereine fühlen sich zunehmend im Stich gelassen – auch von ihren Verbänden. Die Landesfürsten haben schon lange keine nennenswerten Erfolge mehr für die Vereine erzielt, obwohl sie von diesen ins Amt gehoben wurden.
Als ich neulich den Vorstandsbericht meines Heimatvereins (TSV Apensen) las, verfasst von meinem ehemaligen Spieler Oliver Drechsel, den ich als Kind trainierte, war ich ziemlich erstaunt. Die beschriebenen Probleme hätten genauso gut beim FC Internationale in Berlin-Schöneberg auftauchen können. Auch im Speckgürtel von Hamburg, wo Apensen liegt, boomt der Fußball. Doch auch hier gibt es zu wenige Sportanlagen. Hinzu kommt eine durch Vandalismus beschädigte Halle.
Man sieht die Gemeinde und die Verwaltung in der Pflicht, aber was heißt das schon? Selbst wenn man eine erstklassige Verwaltung wie unser Sportamt Tempelhof-Schöneberg hat, mangelt es an Geld. Ist es vorhanden, hängt die Umsetzung oft an bürokratischen Hürden, und eine Behörde ist immer auf die Unterstützung der anderen angewiesen. Irgendwo gibt es stets ein Verwaltungs-Nadelöhr, durch das gerade nichts mehr hindurchgeht. Was bleibt, ist die Eigeninitiative – doch hierfür fehlt es oft an finanziellen Mitteln, und zudem schwebt die Haftung wie ein Damoklesschwert über den Vorständen der Vereine. Schließlich sind wir in Deutschland, wo TÜV, Brandschutz und Haftpflicht immer über der Umsetzung des Gemeinwohls stehen.
Auch beim Thema Ehrenamt sieht Oliver Luft nach oben, zudem wird der bürokratische Aufwand beklagt. Davon können auch Großstadtvereine ein Lied singen. Besonders frappierend sind die Ähnlichkeiten zu städtischen Vereinen an dieser Stelle:
„Das Verhalten von Vereinsmitgliedern hat sich geändert. Der kurzfristige Vereinsein- und austritt nimmt immer mehr zu. Eine große Vereinszugehörigkeit, wie noch vor ein paar Jahren gibt es teilweise nicht mehr. Wir werden einem Fitnessclub gleichgestellt, in dem man mal eintritt und dann wieder austritt.“
Touché, das trifft den Nagel auf den Kopf!
Schließlich beschreibt er noch die stark zunehmenden Vereinswechsel im Jugendbereich. Sein Fazit: „Eine längerfristige Planung ist kaum möglich!“ Viele können diese Beobachtung bestätigen, denn die Bindung zu den Vereinen ist in den letzten Jahren überall erheblich gesunken. Besonders auffällig sind die „Scouts“ und selbsternannten Experten (ein Kollege nennt sie Wegelagerer), die vor allem ab April – aber eigentlich das ganze Jahr über – unverhohlen an den Spielfeldrändern stehen, gut erkennbar an den Jacken ihres Vereins, obwohl dieser gar nicht spielt.
Sofern die Jugendlichen dreisterweise nicht gleich am Platz abgefangen werden, lädt man sie nach der „Sichtung“ schon mal in ein Café zu Gesprächen über einen Vereinswechsel ein, was übrigens ein Fall für den Kinderschutz sein sollte. Bei sportlicher Ernährung mit Cola und Pommes wird dann mit den jungen Talenten „der nächste Schritt“ erörtert. Mein Hartplatzhelden-Kollege Michi Franke bekommt spätestens an dieser Stelle einen Anfall. Aus seiner langjährigen Erfahrung weiß er wie ich und viele andere: Dieser Schritt führt oft dazu, dass sie bald gar nicht mehr spielen.
Es schmeichelt jungen Menschen natürlich, zu Abwerbungsgesprächen (so die höfliche Bezeichnung) eingeladen zu werden. Oft werden ihnen dabei unrealistische Versprechungen gemacht, bis hin zu Geldprämien – was ich persönlich als verwerflich empfinde. In Berlin gibt es glaubwürdige Berichte über Väter, die Handgeld für den Wechsel oder Verbleib ihrer D-Jugendlichen erhalten. Ich kenne sportlich ambitionierte Vereine, bei denen Kinder nur deshalb einen Stammplatz in der 1. Mannschaft haben, weil ihre Eltern als Sponsor des Teams auftreten. Fußballverbände reagieren auf solche Machenschaften leider meist mit einem Schulterzucken. Funktionäre haben oft eine sehr eigene Vorstellung von ihrer Verantwortung.
Wünschenswert wäre es, wenn die Vereine mehr miteinander kooperieren würden und die Jugendarbeit im Sinne der Kinder und Jugendlichen vorantreiben würden. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist jedoch etwa genauso hoch, wie die Abschaffung der Headhunter in der Wirtschaft. Viele Spieler merken nach den Sommerferien im ersten Training im neuen Verein, dass nicht nur 22, sondern plötzlich 35 Akteure um die Plätze in der Startelf kämpfen. Oft landen sie dann in der zweiten Mannschaft des abwerbenden Vereins, der in einer niedrigeren Liga spielt als der zuvor verlassene.
Im schlimmsten Fall plant ein Trainer mit einem riesigen Kader, nur um sicherzustellen, dass beim Training immer genug Spieler anwesend sind. Diese „Genies“ haben zwar eine Menge Übungen im Repertoire, die passen jedoch nicht immer zum Jugendbereich. Claudia Mandrysch und ich haben kürzlich in einer anderen Fever Pit’ch-Kolumne eine Reform der Trainerausbildung gefordert, besonders im Hinblick auf die Förderung von Sozialkompetenzen.
Zurück zum Vergleich in Stadt und Land: Worum geht es hier wie da eigentlich wirklich? Der wesentliche Wert eines Vereins sollte der Zusammenhalt sein – weniger die Talentsichtung. Machen wir uns nichts vor: Diese ist heutzutage eigentlich spätestens mit 12 Jahren abgeschlossen. Die wenigen Spätentwickler werden sowieso noch entdeckt.
Wikipedia: „Ein Verein ist eine freiwillige und auf Dauer angelegte Vereinigung, die einen bestimmten Zweck verfolgt (…) Ursprünglich waren es aufklärerische Vereinigungen, die sich der Pflege von Bildung und Kultur verschrieben.“
Wer würde behaupten, dass Sport kein Kulturgut ist? Schließlich leistet der Sport einen wichtigen kulturellen Beitrag zur Gesellschaft. Er ist sinnstiftend, identitätsstiftend, vermittelt Regeln und Werte und hat eine integrative Wirkung. Der Amateurfußball vereint verschiedene Generationen und Milieus – etwas, was in anderen Bereichen der Gesellschaft kaum noch gelingt.
Unsere Gesellschaft driftet immer weiter auseinander. Die Gräben werden tiefer, und Toleranz sowie gegenseitiger Respekt hatten schon mal eine höhere Konjunktur. Wie sagte kürzlich ein Spieler: „Wenn ich mir morgens die Nachrichten anschaue, ist der Tag schon gelaufen!“ Der Verein kann als Gegenmodell zu Trump, Putin, Krieg und Klimakrise wirken. Er kann die Welt nicht retten, aber hier finden Menschen Gleichgesinnte, Freunde, gemeinsame Interessen. Hier wird Engagement und Zusammenhalt gefördert.
Wenn wir nicht aufpassen, werden diese Orte der Freude und Bewegung nach und nach verkümmern oder gar verschwinden. Es braucht gute Bedingungen für ehrenamtliches Engagement, eine Rückbesinnung auf Werte. Vor allem aber braucht es Menschen in Politik, Verbänden, aber auch in den Vereinen, die um diese Dinge kämpfen. Sportlicher Erfolg ist schön, aber vielleicht sollte er nicht immer im Vordergrund stehen.
Ist es nicht wichtiger, dass ein Verein den Menschen vor allem als Heimat und Orientierung dient?
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