MillernTon
·4. April 2023
Epochales Eigentor

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·4. April 2023
Der Dopingfall des Mario Vušković sorgt dieser Tage für viele Schlagzeilen. Sowohl die Argumentation der Verteidigung, aber auch das Verhalten des DFB wirft dabei Fragen auf.Ein Gast-Kommentar von Lorenz Adlung
Das DFB-Sportgericht hat Mario Vušković wegen Blutdopings mit Epo zu einer Sperre von zwei Jahren verurteilt. Während der HSV bereits angekündigt hat, gegen das Urteil in Berufung gehen zu wollen, können wir den Fall als Musterbeispiel nutzen, um etwas über den Umgang mit wissenschaftlichen Messverfahren zu lernen.
In meiner Doktorarbeit habe ich mich mit den Auswirkungen von Epo auf Blutzellen beschäftigt. Das tat ich nicht im Zusammenhang mit Doping, sondern für die Erforschung von Blutkrebs. Allerdings war der Doping-Experte Prof. Dr. Werner Franke am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, wo ich promoviert habe, mein Kollege und ein Duz-Freund meiner Doktormutter. So weiß ich, dass Epo viele interessante Eigenschaften besitzt, die sich im Guten wie im Schlechten ausnutzen lassen.
Epo ist ein Hormon, das dafür sorgt, dass mehr rote Blutkörperchen gebildet werden. Die vermehrten roten Blutkörperchen können mehr Sauerstoff im Körper an die Organe verteilen, was uns sportlich leistungsfähiger macht. Deshalb ist Epo ein verbotenes Blutdoping-Mittel. Dabei produziert der Körper selbst auch Epo. Das Hormon gelangt von der Niere ins Blut und zeigt in kleinsten Mengen bereits Wirkung. Bei großem Blutverlust kann die Epo-Produktion auch kurzzeitig um das Zehntausendfache ansteigen. Innerhalb einiger Stunden ist dann aber wieder der Normalzustand erreicht, was die Epo-Mengen im Blut betrifft.
Chronisch erhöhte Epo-Mengen im Blut sind gefährlich, weil das Blut voller roter Blutkörperchen dann sehr dickflüssig ist. Dickflüssiges Blut wiederum erhöht das Risiko für Blutgerinnsel und Schlaganfälle. Epo zu missbrauchen ist also nicht nur unsportlich, sondern auch gefährlich. Zu trauriger Bekanntheit kam 2012 der Freizeitsportler Frederik Zierke, der nach Epo-Missbrauch 44-jährig verstarb. Auch das Deutsche Ärzteblatt listet Embolie, also den Verschluss von Blutgefäßen durch dickes Blut, bei jungen Ausdauersportler:innen nach Epo-Doping als „zunehmend häufigere“ Todesursache.
Wenn mit Epo gedopt wird, spritzt man die Substanz entweder direkt ins Blut oder unter die Haut. Ganz unbemerkt kann es also nicht in den Körper gelangen. Im Blut angekommen wird Epo von den Blutzellen aufgenommen und dabei verbraucht. Die Halbwertszeit des körpereigenen Epos wird mit einigen Stunden angegeben. Das bedeutet, dass nach einem halben Tag noch die Hälfte des ursprünglichen Epos im Blut vorhanden ist. Der Unterschied von Mensch zu Mensch ist jedoch beträchtlich.
Das körpereigene Epo ist mit dem verabreichten Doping-Epo nicht komplett identisch. Das Doping-Epo besitzt etwa ein paar Zucker-Ketten, die seine Eigenschaften verändern und es beispielsweise stabiler machen. Epo-Doping lässt sich noch wenige Tage nach der Gabe im Urin nachweisen, die Wirkung hält deutlich länger an.
Vor diesem Hintergrund ist die Urteilbegründung auf dfb.de zum Fall Vušković interessant. Dort heißt es:„Mario Vušković ist zum einen als Ersttäter zu behandeln, zum anderen zeigt der Analysebefund nur eine geringe Menge an EPO, so dass nicht von einem strukturierten Doping ausgegangen werden kann.“
Ich bin kein Jurist, aber aus naturwissenschaftlicher Sicht, kann diese Begründung in zweierlei Hinsicht infrage gestellt werden.
Fun fact: Epo ist ein Molekül, das von roten Blutkörperchen selbst bei zehntausendfach (sic!) erhöhter Konzentration noch zuverlässig abgebaut werden kann. Dieses Phänomen hat meine Doktormutter erstmals 2010 erklären können (€€). Andere Moleküle und Zellen wären bei so einer hohen Dosis längst übersättigt. Vielleicht kennt ihr das, dass ein Bier irgendwann einfach nur noch bitter schmeckt und es nicht viel bitterer geht? Epo und rote Blutkörperchen setzen immer noch einen drauf!
Unabhängig davon kann man Epo-Doping erst seit dem Jahr 2000 überhaupt im Urin nachweisen. So wurde zum Beispiel erst über Nachtests Epo in Proben von 60 Radsportlern nachgewiesen, die während der Tour de France 1998 genommen wurden. Gemäß einer 2019 im Journal Drug Testing and Analysis verfassten wissenschaftlichen Arbeit (€€) ist das sogenannte SAR-PAGE-Verfahren das einzige, das verlässliche Screenings und Nachweise von Epo im Urin ermöglicht, und von der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA zugelassen ist.
SAR-PAGE steht für Sarkosyl-Polyacrylamid-Gelelektrophorese. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, bei dem Substanzen (z.B. Epo) basierend auf ihrer elektrischen Ladung in einem Gelatine-artigen Gel aufgetrennt werden. Diese Auftrennung hat den Vorteil, dass etwa körpereigenes Epo und Doping-Epo voneinander unterschieden werden können (denn die oben erwähnten Zucker-Ketten bringen andere elektrische Ladung mit sich).
Nach dieser Auftrennung werden die Epo-Moleküle gefärbt und fotografiert, sodass man ein Schwarz-Weiß-(Grau)-Foto erhält, auf dem jeder schwarze Punkt an einer bestimmten Stelle Epo anzeigt. Im kicker kritisiert Doping-Experte Prof. Dr. Fritz Sörgel dieses Verfahren des Epo-Nachweises als „nicht mehr zeitgemäß“. Seine Kritik: Es würde nur qualitativ überprüft werden, ob Epo in der Probe vorhanden sei, aber keine quantitativen Epo-Mengen ermittelt. Sörgel: „Im 21. Jahrhundert arbeitet man gerne mit Zahlen und nicht mit Eindrücken.“
Ich mag auch Zahlen, ich finde beispielsweise die quantitative Ballbesitzstatistik (z.B. 61% für den FCSP) besser als das qualitative Gefühl, dass der FCSP mehr Ballbesitz hatte. So sehr ich Sörgels Kritik generell nachvollziehen kann, so sehr greift sie in der Sache jedoch daneben. Denn: Die Ergebnisse von Gelelektrophorese-Verfahren lassen sich durchaus quantifizieren. Ihr kennt sicher auch Foto-Software, die beziffern kann, wie hell oder dunkel ein bestimmter Bereich eines Fotos ist im Vergleich zu einem Kontrollfoto. Auch ich habe dazu bereits wissenschaftlich veröffentlicht und viele verschiedene Moleküle in Blutzellen quantifiziert, die mit Epo behandelt wurden.
Jetzt ein anderes Nachweisverfahren zu fordern, wie Sörgel es tut, ist in etwa so, als würde das eigene Auto nicht durch die Hauptuntersuchung kommen, und man würde danach (!) fordern, dass ein Check bei der Werkstatt um die Ecke für das TÜV-Zertifikat reicht.
Hat Mario Vušković gedopt oder nicht? Basierend auf den wissenschaftlichen Methoden sollte das eigentlich keine Frage mehr sein.
(c) Thomas Lohnes / Getty Images / via OneFootball
Der letzte Punkt, den ich im Fall Vušković kritisch sehe, ist der zur Untersuchung der C-Probe. Eine C-Probe wurde zunächst von Vuškovićs Verteidigung gewünscht und vom DFB-Gericht beauftragt, was unüblich ist. Doch es wurde noch kurioser: Denn der beauftragte Wissenschaftler führte die C-Probe nicht durch, er bestätigte lediglich die Untersuchungsergebnisse der A- und B-Probe. Zur Erklärung: Bei einer Doping-Kontrolle wird eine Urinprobe genommen, die in A- und B-Probe aufgeteilt wird. Zunächst wird die A-Probe untersucht. Gibt es einen positiven (Doping)-Befund, wird die betreffende Person damit konfrontiert und ggf. wird auch die B-Probe (also der zweite Teil der ursprünglichen Probe) untersucht. Bestätigt die B-Probe den Befund, gilt dieser gemeinhin als verlässlich. Mitunter verbleibt nach dieser zweiten Untersuchung aber noch ein Rest des Urins, der nochmals untersucht werden kann: Die C-Probe.
Unabhängig davon, woher die dritte Probe kommt und wie verlässlich das Messverfahren ist (siehe oben), halte ich es für wenig plausibel, die Probe nochmals zu testen. Denn selbst, wenn die Qualität des Urins auch nach Monaten noch einen Nachweis zuließe, kann man nicht so lange testen, bis das gewünschte Ergebnis eintritt. Die Verteidigung möchte vermutlich den Eindruck erwecken, dass positive Testergebnis ihres Mandanten sei falsch. Tatsächlich hat jeder Nachweis eine bestimmte Wahrscheinlichkeit fälschlicherweise einen positiven Befund zu liefern, obwohl gar nicht gedopt wurde. Man nennt diese Wahrscheinlichkeit die „Falsch-Positiv-Rate“ (oder Alpha-Fehler).
Wie hoch ist nun die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Doping-Test mit diesem Verfahren ein positiver Befund herauskommt, obwohl gar nicht gedopt wurde? Gemäß einer aktuellen wissenschaftlichen Veröffentlichung (€€) beträgt die Wahrscheinlichkeit 1 zu 115, weniger als 1 Prozent.
Egal wie klein diese Fehler-Wahrscheinlichkeit ist, mit der Untersuchung der C-Probe würde man die Chance erhöhen, einen negativen Befund zu erhalten, obwohl gedopt wurde. Wie groß diese Chance ist, lässt sich nicht direkt beziffern, sie ist aber mutmaßlich sehr klein, denn Epo kann selbst in kleinsten Dosen („Microdosing“) nach 48 Stunden in 100% der Fälle nachgewiesen werden und nach 72 Stunden immerhin in noch 91% der Fälle (Quelle). Und die ersten beiden Untersuchungen zeigen ja unabhängig voneinander einen positiven Epo-Befund. Wichtig: Die Wahrscheinlichkeit, zwei falsch-positive Ergebnisse zufällig zu erhalten, liegt bei weniger als Eins zu Zehntausend.
Auch in der wissenschaftlichen Fachliteratur heißt es, dass man mit einem entsprechend optimierten SAR-PAGE-Verfahren das Risiko „eliminieren kann, einen falsch-positiven Epo-Test“ zu erhalten (Quelle). In anderen Worten: Ist der Befund positiv, ist es äußerst unwahrscheinlich, dass nicht gedopt wurde. Jetzt eine C-Probe oder andere Gutachter zu fordern, ist in etwa so, als würde man bei Einsatz des VAR darauf hoffen, dass ein klares Foul plötzlich nicht mehr als solches erkannt wird, nur weil man es sich wieder und wieder ansieht, und das wäre ja… Naja lassen wir das.So oder so scheint mir die Strategie der Verteidigung ein verzweifelter Versuch zu sein, die bestehenden Fakten zu unterminieren. Denn was wäre, wenn die C-Probe negativ ist? Stünde es dann 2:1? Gibt es noch eine Auswärtstor-Regel?
Alles in allem wirft der Fall Vušković ein Schlaglicht auf den Umgang des DFB mit wissenschaftlichen Verfahren. Zunächst werden die Ergebnisse eines etablierten Nachweisverfahrens unzulässig interpretiert (geringe Epo-Menge hieße auch geringes Doping), dann wird mit der Öffnung der C-Probe die Überprüfung der Überprüfung der Überprüfung beauftragt. Zwar kenne ich die Untersuchungsergebnisse nicht im Detail (ich habe die Fotos des SAR-PAGE nicht gesehen und kenne auch die Gutachten im Wortlaut nicht), aber weder die öffentliche Argumentation noch die Interpretation der Fakten kann meiner Ansicht nach überzeugen. Für mich ein klares Eigentor.
// Lorenz
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