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·3. Oktober 2023
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Arsenal hat einen neuen Zuschauerrekord in der englischen Frauen-Liga aufgestellt: Zum Auftakt gegen Liverpool kamen 54.115 Zuschauer ins Emirates-Stadion. Auch in der letzten Saison jubelten vier Mal mehr als 40.000 Fans den Gunners zu. Was ist das Erfolgsgeheimnis der Londoner? Und was können deutsche Klubs davon lernen?
Am 23. März 2022 spielte Arsenal gegen Wolfsburg in der Champions League. Königsklasse, hochkarätiger Gegner - alles war angerichtet für einen großen Abend. Aber nur 5.018 Zuschauer sahen das 1:1 gegen den VfL. Die allermeisten Ränge des großen Stadions blieben leer. Ein Spiel unter der Woche, späte Anstoßzeit - es gab Erklärungen für die mittelmäßige Zuschauerzahl.
Aber ein Jahr später sah das Stadion ganz anders aus: In einer sehr ähnlichen Konstellation - gleicher Gegner, gleiches Turnier, K.o.-Phase - kamen mehr als 60.000 Fans ins Emirates. Ausverkauft! Sie sahen ein packendes Spiel mit einem dramatischen Ende - Wolfsburg machte in der letzten Minute der Nachspielzeit das 3:2.
Der Traum der Champions League war vorbei. Aber die Zuschauerzahl und vor allem die grandiose Stimmung im Emirates bleiben in Erinnerung. Zu oft wirkt es bei Spielen der Frauen im großen Stadion so, als wären sie nur zu Gast. Gegen Wolfsburg aber stand das ganze Stadion hinter den Frauen, die Stimmung ebenso gut wie bei den Männern. Wenige Jahre zuvor wurde das Emirates noch als "The Library", die Bibliothek, verspottet. Wer im Stadion war, hatte aber eher das Gefühl, selbst an einer Geschichte mitzuschreiben.
An einer Erfolgsgeschichte: Das Spiel gegen Wolfsburg war keine Ausnahmeerscheinung. In der Saison 2022/23 kamen auch in der Liga dreimal mehr als 40.000 Zuschauer. Damit war Arsenal nun an allen fünf meistbesuchten Spielen der Liga beteiligt. Diese Saison soll der Trend weiter nach oben gehen: Nach dem Auftakt gegen Liverpool sollen vier weitere Spiele der englischen Liga im Emirates ausgetragen werden.
Der Aufschwung kam recht schnell und überraschend: 2022 kamen etwa zum Viertelfinale gegen Manchester United nur 825 Zuschauer. Inzwischen ist das unvorstellbar - in kürzester Zeit hat sich eine treue Fangemeinde gebildet, die im 5.000 Plätze fassenden Meadow Park für ein volles Haus sorgt. Und auch die Stimmung hat sich komplett geändert. Während vor einigen Jahren bis auf sporadische Gesänge noch wenig los war, singen die Fans nun fast ununterbrochen.
Klar: Der Weg nach oben war nicht linear, und auch diese Saison wird es wohl Ausreißer nach unten geben - wenn etwa die Männer gleichzeitig spielen und der Gegner eher unattraktiv ist. Trotzdem lohnt es sich, einen Blick auf die Gründe dieses Erfolges zu werfen. Auch deutsche Klubs können aus den Zuschauerzahlen von Arsenal oder Barcelona etwas lernen.
Der erste Anhaltspunkt könnte die reine Attraktivität des Fußballs in London sein. Keine Frage: Arsenal ist ein erfolgreicher Klub. Die Gunners waren lange Pioniere im Frauenfußball und dominierten die englische Liga, erst ab 2010 gab es ernsthafte Konkurrenz. Aber als noch Sieg um Sieg eingefahren wurde, waren die Zuschauerzahlen noch nicht vergleichbar. Ebenso wenig, als Arsenal 2019 eine erfolgreiche Saison spielte und Meister wurde.
Inzwischen ist es anders herum - weniger sportlicher Erfolg, mehr Fans: Chelsea ist die Nummer eins in England, gewann viermal hintereinander die Liga. Arsenal fuhr dagegen seit 2019 nur einen Titel ein, den Conti Cup im letzten Jahr. Das heißt nicht, dass sie abgeschlagen waren - der Kampf um den Titel entschied sich oft erst am letzten Spieltag, und in der Champions League lieferte Arsenal einige gute Spiele ab.
Trotzdem liegt es auf der Hand, dass die Zuschauerzahlen nicht nur an den sportlichen Erfolgen liegen können. Auch wenn der Trend in England generell stark nach oben geht, konnte kein anderer Verein so konstant viele Fans bei Topspielen ins Stadion locken wie Arsenal.
Dabei profitierten die Gunners natürlich stark von dem EM-Effekt. 2022 war ein echter Wendepunkt, der Sieg der Lionesses veränderte die Aufmerksamkeit für die Women's Super League nachhaltig. Nur, weil schon vorher solide gearbeitet wurde, konnten die Klubs dann aber die Früchte des Erfolges ernten. Schon vor der EM gab es Spiele in großen Stadien und einen lukrativen TV-Vertrag.
Die EM hat die Entwicklung also nicht unbedingt verändert, sondern deutlich beschleunigt. Ein Jahr vor dem Turnier hatte Arsenal einige grundlegende Veränderungen eingeleitet: Mit Jonas Eidevall wurde ein neuer Trainer geholt, dazu wurden mehr Investitionen versprochen. Die Spielerinnen sollten öfters im Emirates-Stadion spielen und auf dem Gelände der Männer in Colney mittrainieren. Dass die Strategie so schnell aufgehen würde, hätten aber selbst die größten Optimisten in Nordlondon nicht gedacht.
Arsenal nutzte das Momentum aber clever aus: Direkt nach dem Abpfiff des EM-Finales und Englands Sieg startete der Ticketverkauf für das erste Spiel der Saison gegen Tottenham. Auch nach dem Sieg im Viertelfinale gegen Bayern zählten die Gunners auf die Euphorie und starteten direkt mit dem Verkauf für das Halbfinale. So wird es den Fans erleichtert, am Ball zu bleiben, und emotionale Hochs werden mitgenommen.
Arsenal hat womöglich von dem EM-Effekt mehr profitiert als andere Klubs. Im Kader der Gunners stehen schließlich zwei Protagonistinnen des englischen Sommermärchens - Torschützenkönigin Beth Mead und Kapitänin Leah Williamson. Beide standen nach der EM verständlicherweise im Fokus des Marketings. Aber selbst nachdem sich beide das Kreuzband gerissen hatten, blieben die Zuschauerzahlen hoch. Arsenal ist es gelungen, die Fans an das gesamte Team, statt bloß an die Stars, zu binden.
Diese Bindung der Fans erklärt vielleicht am besten, warum Arsenal bei den Zuschauerzahlen die Nase vorne hat. Schließlich sind die Bedingungen bei Chelsea zum Beispiel gleich, wenn nicht sogar besser: Englischer Klub mit EM-Heldinnen und sportlichem Erfolg. Trotzdem kamen zum Auftaktspiel "nur" etwas mehr als 14.000 Fans an die Stamford Bridge.
Eine andere Erklärung dafür wären die Zuschauerzahlen bei dem Team der Männer: Arsenal verzeichnete in der letzten Saison einen Schnitt von 60.046 Fans, Chelsea mit 39.936 deutlich weniger. Die Startbedingungen für Arsenal waren damit sicherlich günstig und die Fan-Basis größer - aber daraus muss man auch erstmal etwas machen. Manchester United führte bei den Männern die Zuschauerliste an, hat aber in der WSL keine ähnlichen Zahlen wie Arsenal aufgestellt.
Zudem hat in Deutschland mit Wolfsburg ein Klub viele Fans anlocken können, der nicht gerade für seine riesigen Zuschauerzahlen in der Männer-Bundesliga bekannt ist. Klar, die Marke von 40.000 oder mehr ist noch weit entfernt, aber gemessen an den Möglichkeiten des Vereins sind die Zuschauerzahlen bei den Champions-League-Spielen des VfL mehr als ordentlich.
Das liegt vielleicht daran, dass sie eins mit Arsenal gemeinsam haben: Die Social-Media-Kanäle werden viel und vor allem erfolgreich bespielt. Das offizielle Video zur Verpflichtung von Alessia Russo wurde etwa 7,6 Millionen Mal auf X (früher Twitter) angezeigt. Seit 2021 sind die Videos deutlich aufwendiger geworden, der Arsenal-Kanal wird sehr regelmäßig bespielt.
Einer der wichtigsten Punkte ist es dabei, den Fans die Persönlichkeit der Spielerinnen nahe zu bringen. Fußball macht mehr Spaß, wenn man nicht nur elf Spielerinnen sieht, sondern elf Menschen. Daher gibt es von Arsenal viele Videos, in denen die Spielerinnen miteinander lachen, sich einer Challenge stellen oder ihre Lieblings-Popsongs verraten. Das ist sicherlich kein Alleinstellungsmerkmal von Arsenal, aber bei den Gunners klappt diese Identifikation mit den Spielerinnen besonders gut.
So ist es ihnen gelungen, zum einen eine treue Anhängerschaft des Frauen-Teams zu gewinnen, die bei Heimspielen Stimmung macht und auswärts mitreist. Inzwischen haben sich mehrere Fanklubs gegründet, die nicht nur zu den Spielen gehen, sondern viel organisieren - von Büchern mit den Songs bis zu Treffen vor den großen Spielen. Durch diese aktive Fankultur wird es Fans, die sich sonst scheuen würden, alleine zu gehen, leichter gemacht.
Arsenals Frauen sollen eine eigene Identität haben, die etwa durch ein anderes Auswärtstrikot ausgedrückt wird, aber trotzdem klar Teil des Klubs sein. Dadurch wird vermittelt, dass sie nicht nur ein Anhängsel sind, sondern ein eigenständiger und ebenso spannender Teil des Klubs.
So gelingt die Brücke von einer eigenen Identität des Frauenteams, mit eigenen Fans, und der Verbindung mit den traditionellen Männer-Fans. Auch wer eigentlich Odegaard oder White verehrt, geht ins Emirates, um den Frauen zuzuschauen.
Dass das Stadion beiden Teams gehört, zeigt sich inzwischen auch von außen: Eine Mauer ziert seit dem letzten Frühling ein Gemälde der "Invincibles", Frauen-Version: Nicht nur die Männer blieben einmal eine Saison ungeschlagen, auch den Frauen gelang das 2006/07. Ihnen gelang das Kunststück sogar auf auch internationaler Ebene, sodass Arsenal 2007 zum ersten und bisher einzigen Mal die Champions League der Frauen gewann.
Die "Zwei Teams, ein Klub"-Mentalität ist stark verankert. Auch das wurde bewusst kommuniziert: Durch Videos etwa, in denen die Arsenal-Männer dazu aufrufen, zur Women's Super League zu gehen. Diese Verbindung ist nicht nur ein Marketing-Gag, sondern real. Zwischen beiden Teams wurden bereits einige Freundschaften geknüpft, denn sie teilen sich die Räume für die Reha.
Diese Einigkeit kommt nicht nur von außen, sie wird auch von den Fans mitgetragen: Anders als bei vielen anderen Klubs ist bei den Spitzenspielen im großen Stadion die überwiegende Mehrheit der Trikots mit Spielerinnen- und nicht Spielernamen bedruckt. Bei den Märschen zum Stadion werden selbstverständlich die Lieder für die Spielerinnen gesungen.
Nicht unerheblich sind auch die Ticketpreise, denn die sind bei Arsenal weiterhin sehr niedrig. Für die fünf WSL-Spiele im Emirates-Stadion konnten Fans einen Pass erwerben, 13.000 von ihnen haben das bereits getan. Für 50 Pfund fünfmal Fußball - ein starker Kontrast zu der Premier League, in der man für diesen Preis wohl kein einziges Spiel besuchen könnte.
Am Anfang hat Arsenal zudem Tickets verschenkt, die Preise waren bei den ersten Spielen im Emirates-Stadion noch niedriger. Gewinn hat der Verein damit wohl nicht gemacht, aber die niedrigen Preise tragen sicher dazu bei, dass die Fans wiederkommen. Auch für diese Saison wurden die Preise nur sehr moderat erhöht - anders als bei Chelsea, wo Fans für einen guten Sitz beim Auftaktspiel 50 Pfund blechen mussten. Diese drastische Erhöhung ging ihnen wohl zu schnell.
Auch bei Arsenal werden die Preise irgendwann wohl erhöht, noch will man aber vor allem die Zuschauerzahlen hoch halten. Die Geduld hat sich bereits mit Kulissen wie der gegen Wolfsburg ausgezahlt. Und in Nordlondon wird sogar noch mehr geträumt: Trainer Jonas Eidevall erklärte bereits, dass langfristig alle Spiele im großen Stadion ausgetragen werden sollen.
Sportlicher Erfolg, aber vor allem die Bindung der Fans durch Social Media, Verbindungen zum Männer-Team und günstige Preise zum Einstieg haben bei Arsenal zu hohen Zuschauerzahlen geführt. Wichtig war dabei aber auch eine ordentliche Portion Optimismus und Geduld. Auch viele deutsche Klubs könnten sich daran ein Beispiel nehmen.