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Vertikalpass

·14. August 2022

Zu früh gefreut

Artikelbild:Zu früh gefreut

Ich stehe Werder Bremen schon immer wohlwollend gegenüber, Völler, Le Chef Micoud, Diego, Klose und mein Opa kam aus der Nähe, aus der Sarah Connor-Stadt Delmenhorst. Er auch ein Werder-Fan, aber gelassen, unaufgeregt, so wie heute der Trainer Ole Werner wirkt. Und mit Werder gab’s immer Spektakel und Drama. Muss ich hier nicht ausführen, kennt Ihr alles von 1984, über das Einwurfeigentor von Borna Sosa und Ron-Robert Zieler 2018 bis zum Trödeltor von Silas 2020. Vor dem Spiel dachte ich: Macht’s wie früher, das war viel geiler, mit vielen Toren, Spannung und so weiter. So wie früher, das war so krass. Am Ende hat’s halt nicht sollen sein, kann nicht immer die Sonne scheinen.

Ich wollte es Vintage, ich wollte es Retro, den Anfang find’ ich dann eher „geht so“: Der VfB kaum im Spiel, ziemlich lahmarschig das alles und das nicht zum ersten Mal unter Pellegrino Matarazzo. Wataru Endo verliert den Ball, wie so oft an diesem Nachmittag in Bremen, Josh Vagnoman leistet lieber Begleitschutz als die Flanke von Anthony Jung zu verhindern und in der Mitte wuchtet Niklas Füllkrug den Ball fast genau so energisch ins Tor wie Alexandra Popp gegen Frankreich. Wenige Minuten später donnert ein Schuss des Bremer Stürmers an die Latte und ich muss das Schlimmste befürchten. Gegen einen euphorisierten und sich pushenden Aufsteiger gleich mal hoch verlieren. Toller Auftakt. Aber der VfB beweist wie so oft unter Matarazzo Comebackqualitäten und wir ärgern uns über einen in letzter Sekunde vergebenen Auswärtssieg. Zwischen Füllkrugs Lattenschuss und dem Ausgleich von Oliver Burke ist einiges passiert.


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Nachdem sich Bremen ausgetobt hat, Füllkrug und Mitchell Weiser pumpten sichtlich bereits nach 20 Minuten, erobert sich der VfB die Spielkontrolle. Es funktioniert zwar noch nicht, das Spiel über links und Silas laufen zu lassen, aber die Cannstatter holen sich Sicherheit durch sauberes Kombinationsspiel. Nicht immer mit dem letzten Zug zum Tor zwar, aber immer so, dass es dem Aufsteiger ein bisschen den Spaß am ersten Bundesliga-Heimspiel seit 15 Monaten nimmt. Eine dieser unspektakulären Passfolgen führt dann zum 1:1 durch Endo. Sasa Kalajdzic hatte aufgelegt, Chris Führich zuvor den Ball erkämpft und an Naouirou Ahamada weiter geleitet.

Sowieso wieder ein starker Auftritt von Ahamada. In der zweiten Halbzeit dreht er immer wieder auf, hat einige dynamische Momente und gibt dem VfB-Spiel Tiefe. Ähnlich gut habe ich Li Egloff nach seiner Einwechslung gesehen: Spritzig, griffig in den Zweikämpfen, sicheres Passpiel und sogar die Chance zum 1:3. Das 1:2 schießt zuvor Silas nach einem herrlichen Vertikalpass von Kalajdzic (schon seine dritte Vorlage in dieser Saison) – und das Lachen und die Freude von Silas: unbezahlbar!. Ein perfekter Nachmittag wäre es für Silas und für mich und viele andere gewesen, wenn er wenige Minuten später eine fast identische Szene genutzt hätte, aber dieses Mal hält Jiri Pavlenka. Da hat bei Silas die letzte Konzentration gefehlt, wie bei allen in der Szene, die zum 2:2 durch Burke in der 95. Minute führt. „Dass am Ende so ein Ball irgendwie durchrutscht, kann immer passieren“, sagte Waldemar Anton nach dem Spiel ganz lapidar. Das ist mir zu wenig, als ob es nicht zu verhindern gewesen wäre. Dinos Mavropanos, der Meister Proper in der VfB-Abwehr, hält meistens die Defensive sauber und wäre er doch am Ende nur in der Nähe der langen Flanke gewesen. Er hätte den Ball aus dem Stadion geköpft. So ist der Sieg wisch und weg.

Unsichtbar blieb leider Tiago Tomas. Kaum ins Spiel eingebunden und wenn er mal den Ball hatte, dann verlor er ihn. Wegen technischer Unsauberkeiten, wegen falscher Entscheidungen und wegen mangelnder Durchsetzungsfähigkeit im Zweikampf. Vielleicht liegt ihm die Rolle als zweite Spitze (noch) nicht. Matarazzo sollte darüber nachdenken, wie er die Stärken von Tomas wieder zur Geltung bringt.

Sollen wir jetzt den zwei entgangenen Punkten hinterher weinen? Kann man machen, aber genauso hätte der VfB nach dem fulminanten Bremer Beginn auch verlieren können. Stimmt schon, es nervt, vor allem nachdem Bremen in der zweiten Halbzeit extrem harmlos ist. Aber es sollte Mut machen, dass der VfB insgesamt recht souverän zurück gekommen ist, wobei die Verantwortlichen schon genau drauf schauen und eine Fehleranalyse betreiben müssen, warum der VfB so schlafmützig in die Partie ging. Ist schon in anderen Spielen passiert, auch nach Wiederbeginn braucht der VfB nicht selten einige Minuten, bis er im Spiel ist.

Es wird gegen Freiburg sicher schwieriger, den ersten Saisonsieg einzufahren. Aber immerhin ist der VfB saisonübergreifend seit sechs Pflichtspielen ungeschlagen.

Sasa Kalajdzic ist genervt, dabei liegt alles an ihm

Foto: Martin Rose/Getty Images

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