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·6. Mai 2025
Zu den Sitten im Jugendfußball

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·6. Mai 2025
„Je besser wir arbeiten, desto größer ist am Saisonende der Frust!“ Diesen Satz sagt ein erfahrener Funktionär eines seriös arbeitenden Vereins über seine Jugendabteilung. Denn die erfolgreiche Ausbildung bleibt auch den vielen Scouts anderer Clubs nicht verborgen. Ein Bekannter nennt diese übrigens „Wegelagerer“.
Zwar ist die Saison noch längst nicht zu Ende, viele Vereine spielen noch um Auf- und Abstieg. Aber die selbst ernannten Experten haben längst Witterung aufgenommen, um zu sehen, welches Frischfleisch in diesem Jahr für ihren Club zu reißen ist, natürlich nicht unentgeltlich. Zu harter Tobak?
Wohl kaum, denn diese Typen machen den Fußball kaputt, insbesondere den der Jugend. Und scheinbar hält sie niemand auf. Schon gar nicht die Vorstände der abwerbenden Vereine, denn die halten ihren Klub auch dann noch für etwas Besseres, wenn dieser kurz vor der Insolvenzverschleppung steht. Die Landesverbände reagieren ohnehin nicht, dort sitzen ewige Schulterzucker. „Was soll man denn machen?“ ist die Lieblingsausrede der Jugendverantwortlichen. Diese werden selbst dann noch als Mantra vorgetragen, wenn die Fakten per Kurznachricht vorliegen.
Mir würde eine Menge einfallen. Warum nicht klare Regeln in die Jugendordnung einziehen und allen, die nur das Beste wollen – nämlich Geld verdienen oder ihre Eitelkeit stillen – Platzverbot erteilen und – sofern vorhanden – die Trainerlizenz aberkennen? Warum nicht Vereine sanktionieren, die sich nicht an ein Mindestmaß von Anstand halten? Aber dazu müsste man erst einmal Einigkeit über Regeln haben.
In Berlin habe ich vor einigen Jahren einen Antrag gestellt, in die Jugendordnung eine Präambel aufzunehmen, in der klar geregelt ist, dass Kindern und Jugendlichen kein Geld gezahlt werden darf. Diese bekam eine deutliche Mehrheit. Dieser Passus soll nun wieder gestrichen werden. Das heißt im Klartext: Minderjährige werden mit Geld gelockt. Ich frage mich, was ist los mit den Leuten, die auf so eine Idee kommen? Ist denen noch irgendetwas heilig?
Aus meinem Herkunftsdorf höre ich Geschichten, dass Trainer bei Eltern von C-Jugendlichen in der Küche sitzen und diese von einem Wechsel zu ihrem Verein überzeugen wollen. Wohlgemerkt: Wir reden hier von Kreis- und Bezirksliga, nicht von Nachwuchsleistungszentren der Profivereine. Die Eltern fühlen sich auch noch gebauchpinselt, auch wenn es sich um den Posten des vierten Torhüters handelt. Wissen die eigentlich, dass sie ihren Filius aus der vertrauten Umgebung rausreißen, seine Entwicklung nachhaltig stören, nur damit ein Ehrgeizling eines Nachbarvereins sein Mütchen kühlen und einen weiteren Spieler verpflichten kann. In einem meist viel zu großen Kader.
Kinder und Jugendliche müssen spielen und nicht bei vermeintlich besseren Vereinen „den nächsten Schritt“ machen, der oft auf der Ersatzbank endet. Wie sagte mein Freund Michi Franke im Hartplatzhelden-Podcast? Der nächste Schritt ist der vor dem übernächsten. Soll heißen: Es nimmt kein Ende. Es gibt 14-Jährige, die haben schon sechs Vereine hinter sich. Was soll der Nonsens? In der Regel hören die Kids irgendwann auf, was dazu führt, dass brauchbare Kicker dem Fußball entzogen werden.
In Ballungsräumen ist das alles noch viel schlimmer. Selbst die erfahrensten Trainer legen sich ob der Abwerbeexzesse die Karten. Ich kenne Fälle, da stellen vermeintliche Fußballexperten in höheren Jugendligen Kader 35 Spielern zusammen. Mit der Folge, dass die Hälfte kaum spielt. Welche Kompetenz haben diese Typen? Eine soziale auf jeden Fall nicht. Selbst Lehrer und Sozialpädagogen beteiligen sich am Kinderhandel und lassen Mittelsmänner Termine mit 16-Jährigen zum Gespräch im einschlägigen Café auszumachen.
Ihre Zielsetzung: „Ich möchte dir gern unser attraktives Angebot vorstellen.“ Es versteht sich, dass spätestens in der A-Jugend, in einigen Vereinen schon früher, Prämien und Handgelder gezahlt werden. Das ist mindestens halbseiden, zumal es in der Regel als Schwarzgeld ausgezahlt wird. Da ist es wieder das böse Wort.
Letztens hörte ich von einem Fall, bei dem der Vater eines D-Jugendlichen 1.000, — bar für den Verbleib seines Kindes im Verein erhielt. Hirngespinste oder Wild-West-Geschichten? Wohl kaum. Für viele Trainer scheint Geld keine Rolle zu spielen, sie haben genug davon, denn die Präsidenten oder Sponsoren sind großzügig. Dafür darf deren Filius im Team gemeinsam mit begabteren Mitspielern auflaufen. Dass Kinder der Gönner sogar öfter als andere spielen, ist sicher nur ein böses Gerücht.
In einigen Großstädten machen sich mehr und mehr eine Art Fußballschulen breit. Tatsächlich zahlen Eltern für das Training dort dreistellige Beträge. Im Monat. Bei den meisten normalen Sportvereinen protestieren viele schon, dass sie den gleichen Betrag jährlich zahlen müssen. Verkehrte Welt, denn die Fußballschmieden können die Gemeinschaft und den Zusammenhalt eines klassischen Sportvereins nicht bieten, schon gar beim noch teureren „Individualtraining“. Dafür vermitteln sie den zahlenden Eltern und den bemitleidenswerten Kindern den Traum vom Profi.
Letzte Woche haben wir einen der Vereine geschlagen, die sich in Berlin für die dritte Kraft halten. Mit der Folge, dass nun nahezu alle unsere Spieler angesprochen werden!“ Was natürlich verneint wird, dadurch aber nicht mehr Wahrheitsgehalt erfährt. Zur Einordnung: es handelt sich um 13-Jährige, zu denen übermotivierte Trainer und Jugendleiter direkt Kontakt aufnehmen. Wie das geht? Social Media ist überall. Zur Not werden die Jungs einfach angesprochen, was kaum durch das Gesetz gedeckt sein dürfte.
Ist erst einmal ein Objekte der Begierde beim Probetraining im besseren Verein, der ja gerade gegen den vermeintlich schlechteren verloren hat, wird dieser nach den Telefonnummern der anderen Mitspieler gefragt. Das klappt fast immer, und schon werden die die Nächsten angerufen. Der Verband weiß von diesen Machenschaften, „aber was soll man bloß machen?“
Man könnte sehr viel machen. Zum Beispiel alle involvierten Vereine zusammenholen und Spielregeln vereinbaren. Wer die nicht unterschreibt, wird geächtet. Das könnte funktionieren. Leider sind alle Vorstöße dieser Art in den letzten Jahren gescheitert. So richtig ambitioniert ist man da auch nicht. Nun, wenn schon bei den Kreisauswahlen oder DFB-Stützpunkten die Geier, äh „Diamantenaugen“, rumstehen und für ihre Auftraggeber sichten und dieses von den Verbänden nicht geahndet wird, kann man die Bemühungen auch gleich vergessen.
Einige verdienen mit Jugendfußballern ganz ohne Karriereaspekte viel Geld, nämlich mit Sportkleidung. Ich kenne inzwischen Vereine, die verpflichten die Eltern der Kids, für mehr als 400,– Euro pro Saison Trainingsanzüge, Aufwärmshirts, Regenjacken und sogar Rollkoffer zu kaufen. Natürlich wird alles mit hohen Nachlässen bei Sportartikelläden eingekauft, in der Regel mindestens 50 % Rabatt. Verkauft wird das an die Eltern aber zum Katalogpreis, der eben doppelt so teuer ist. Wohin das restliche Geld wandert? Die Finanzwege des Fußballgotts sind unergründlich, nur den Weg in die Vereinskassen finden sie oft nicht.
Was kann man gegen die Umtriebe unternehmen, wenn schon die Verbände die Hände in den Schoß legen? Es bleibt die Möglichkeit, Ausbildungsentschädigungen für die jungen Spieler aufzurufen, die sind geregelt, wenn auch verhandelbar. Oder man kann die Spieler für mehrere Monate sperren, auch das ist eine Option, sofern der abwerbende Verein nicht die inzwischen deftige Summe aus der Ausbildungsentschädigungsliste vollständig zahlt.
Aber mal ehrlich, wollen wir jungen Menschen den Fußball wirklich verbieten? Zumal die Verantwortung am Ende auf die abgebenden Vereine, die ihr Recht auf Sperre wahrnehmen, abgewälzt wird. Im Zweifel zahlen die Eltern an den abgebenden Verein, denn das Wunderkind darf auf dem Weg zur Profilaufbahn ja auf keinen Fall aufgehalten werden. Die Helikoptereltern werden zu Spekulanten. Ein Freund meinte: „Die nennt man jetzt Rasenmäher-Eltern, denn sie räumen jedes Hindernis für ihre Kinder aus dem Weg, damit bloß keine Widerstände auftreten.“
Es gäbe noch vieles zu berichten, wir werden dazu sicher demnächst einen Hartplatzhelden-Podcast machen. Zur Verbesserung der Verhältnisse bräuchte es einen belastbaren Solidarpakt, aber wie realistisch ist der? Bei mir ist das Glas eigentlich immer halb voll, egal was der Amateurfußball an Herausforderungen bietet. Aber beim Thema Jugendfußball bin ich froh, dass ich seit Langem kein Jugendleiter mehr bin.
Kalt lässt mich das Thema dennoch nicht. Ganz ehrlich, wir müssen uns nicht über die Methoden der Nachwuchsleistungszentren aufregen, wenn wir jenseits aller Regeln agieren. Dennoch habe ich immer noch den Wunsch, eines Tages eine wertschätzende und solidarische Fußballwelt zu haben. Im Sinne der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. Nur ist der Trend gerade nicht unser Friend.