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·19. Dezember 2024
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Cola-Dose, Feuerzeug, Golfball, Bierbecher: Kleine Chronik der Wurfattacken im deutschen Fußball
Es war der Aufreger des vergangenen Wochenendes: der Feuerzeugwurf auf VfL Bochums Torhüter Patrick Drewes, der nun vor dem DFB-Sportgericht landet.
Ohne den Skandal von Berlin verharmlosen zu wollen: Es gab schon Schlimmeres im deutschen Fußball. Eine kleine Chronik der zehn Treffer, die im Fußball keiner sehen wollte.
Europapokal der Landesmeister am 23. Oktober 1971
Opfer: Roberto Boninsegna
Wurfgeschoss: Cola-Dose
Tathergang: In der 28. Minute flog eine leere Cola-Dose von den Rängen an den Kopf des Inter-Spielers Boninsegna. Der ging, für einige Beobachter viel zu theatralisch, zu Boden und wurde vom Platz getragen. Inter musste auswechseln, verlor mit 1:7 und legte Protest ein.
Urteil und Folgen: Die Uefa setzte ein Wiederholungsspiel in Berlin (0:0) an, Borussia schied aus. Die Polizei verhaftete einen 29jährigen Gabelstapler, der mangels Beweisen freigesprochen wurde, aber Jahre lang unter dem Vorfall litt und Magengeschwüre bekam. Boninsegna haftet auf ewig der Makel des Simulanten an. Noch 2020 beschwor er im Doppel-Interview mit Gladbachs Rainer Bonhof in der Bild am Sonntag: „Ich wurde ohnmächtig. Als ich meine Augen wieder öffnete, lag ich bereits auf der Trage. Ich hatte eine Riesenbeule am Hinterkopf, und der Uefa-Kommissar sagte mir: ‚Du bist kein Lügner.‘“ Die Erregung war in Deutschland auch deshalb so groß, weil die Borussia um einen grandiosen Sieg gebracht wurde. Für Günter Netzer war es „unser bestes Spiel überhaupt“.
Bundesliga am 27. November 1976
Opfer: keine
Wurfgeschoss: drei kleine Schnapsflaschen
Tathergang: In der 76. Minute flog beim Stand von 0:1 nach einem Foul des Düsseldorfers Dieter Brei eine Schnapsflasche an den Spielfeldrand. Schiedsrichter Rudolf Frickel ließ fünf Minuten unterbrechen und durchsagen, dass er beim nächsten Wurf abbrechen werde. Kaum wieder angepfiffen, musste er die Partie dann abbrechen, denn mindestens ein Fan wollte es so. Getroffen wurde niemand, aber Frickel hatte die Nase voll: „Ich bin doch kein Bauern-Schiedsrichter.“ Das brachte ihm eine Klageandrohung des Pfälzer Bauernverbands ein.
Urteil und Folgen: Der DFB wertete die Partie mit 0:2. Es war der erste Spielabbruch der Bundesliga, den Fans provozierten. Seither existiert in der Ewigen Tabelle ein Tor, das keinen Schützen hat.
Bundesliga am 19. November 1988
Opfer: Christian Hochstätter
Wurfgeschoss: ein Feuerzeug
Tathergang: Kurz vor der Pause wurde der Gladbacher am Auge getroffen, in der Halbzeit ausgewechselt. KSC-Trainer Winfried Schäfer unterstellte ihm „Schauspielerei“. Doch im Krankenhaus wurden eine Augapfelquetschung und ein Bluterguss an der Netzhaut festgestellt. In der folgenden Woche nahm er täglich „fünf, sechs Kopfschmerztabletten“ ein, konnte „nach rechts kaum sehen“. Borussia drängte schon zur Pause auf Spielabbruch, Schiedsrichter Markus Merk lehnte ab. Also legte sie Protest gegen das 1:3 verlorene Spiel ein.
Urteil und Folgen: Der DFB setzte das erste Wiederholungsspiel der Bundesligageschichte an: auf neutralem Boden in Heilbronn (2:2). Außerdem gab es eine Platzsperre für ein KSC-Heimspiel nach §43 der Satzung der Rechts- und Verfahrensordnung. Täter und Tatwerkzeug wurden nie ermittelt.
DFB-Pokal am 11. September 1993
Opfer: Oliver Kahn
Wurfgeschoss: Kastanie
Tathergang: In der Verlängerung des rasanten Spieles traf eine Kastanie KSC-Torwart Kahn am Kopf. Kurz danach beging er ein Foul („Notbremse“) und flog vom Platz, Feldspieler Rainer Schütterle musste ins Tor. Borussia nutzte den Vorteil aus und gewann mit 5:3 – vorläufig. Der KSC legte Protest ein, weil Kahn nach dem Kopftreffer „nicht mehr im Vollbesitz seiner Kräfte“ gewesen sei – und nahm so Revanche für den Fall Hochstätter.
Urteil und Folgen: Wiederholungsspiel in Düsseldorf am 26. Oktober 1993, wieder gewann Borussia (1:0).
2. Liga am 9. Mai 1994
Opfer: Andreas Wessels
Wurfgeschoss: ein Stück Trockeneis
Tathergang: Im Montagabendspiel der Aufstiegskandidaten mischt sich in Minute 48 ein 16jähriger ein. Er wirft mit einem Stück Trockeneis nach Bochums Torwart Wessels und trifft den am Hinterkopf – eine 3 Zentimeter lange Wunde wird festgestellt. Auswechslung. Bochum verspielt die Führung noch, Uerdingen gewinnt mit 3:1. Doch der VfL Bochum legt Protest ein.
Urteil und Folgen: Spielwiederholung am 31. Mai 1994, nun gewinnt Uerdingen 3:0. Eine Platzsperre gibt es nicht, dem Ordnungsdienst war kein Fehler nachzuweisen.
Bundesliga am 7. Februar 1998
Opfer: Oliver Reck
Wurfgeschoss: Schokoriegel
Tathergang: In der 61. Minute ging plötzlich der Werder-Torhüter zu Boden. Er spürte einen „stechenden Schmerz am Hals“. Der sich hinter dem Tor warm laufende Reservist Uwe Harttgen fand das Wurfobjekt: ein Schokoriegel der Marke Snickers. Nach kurzer Unterbrechung ging es weiter, aber für Reck gab es kein Happy-End. Er zog (wie 1993 Kahn) die Notbremse und flog vom Platz. Werder verlor 1:3
Urteil und Folgen: Wo kein Kläger, da kein Richter. Allerdings bekam Reck eine große Packung „Snickers“ vom Hersteller „Mars“ nach Hause geschickt, verbunden mit dem Bedauern, dass das Produkt ihm Schmerzen bereitet hat.
Bundesliga am 12. April 2000
Opfer: Oliver Kahn
Wurfgeschoss: Golfball
Tathergang: Nach einem Elfmeter für Bayern drei Minuten vor Schluss kochte die Fan-Seele hoch. Ein 16jähriger aus dem SC-Block hinter dem Tor von Oliver Kahn schleuderte einen Golfball und traf Deutschlands Nummer 1 an der Schläfe, das Blut floss in Strömen. Kahn übergab das Corpus delicti Schiedsrichter Kemmling. Trainer Ottmar Hitzfeld: „Wenn er nur etwas tiefer getroffen worden wäre, dann könnte er jetzt blind sein.“ Weil Bayern führte, beantragten sie keinen Abbruch. Die Wunde wird mit zwei Stichen genäht.
Urteil und Folgen: Der SC Freiburg wird zu 65.000 DM Strafe verdonnert. Weitere 500 DM zahlt er für die Ermittlung des Täters. Nach zwei Tagen kommt der entscheidende Hinweis. Der Verein stellte auch eine Strafanzeige, die Richterin verurteilte den Teenager zu 30 Stunden gemeinnütziger Arbeit.
2. Liga am 24. November 2003
Opfer: Wolfgang Wolf
Wurfgeschoss: Münze
Tathergang: Nach dem Platzverweis für Alemannias Erik Meijer tobte der Tivoli, Gegenstände flogen von der Haupttribüne auf den Platz. Eine Münze traf Gästetrainer Wolfgang Wolf am Kopf, zunächst war von einem Bierbecher die Rede. Wolf erlitt einen Kreislaufkollaps, die letzten 20 Minuten musste der Club ohne seinen Trainer auskommen und verlor mit 0:1. Folgerichtig legte er Protest ein.
Urteil und Folgen: Alemannia entschuldigte sich per Annonce im Kicker bei Wolf. Schon dreimal war sie mit Geldstrafen wegen einer „Minderheit von Idioten“ (Trainer Jörg Berger) bedacht worden. Im Januar gab ein Wiederholungsspiel ohne Zuschauer – das erste Geisterspiel im deutschen Profifußball. Aachen gewann wieder (3:2).
Bundesliga am 1. April 2011
Opfer: Thorsten Schiffner
Wurfgeschoss: Bierbecher
Tathergang: Drei Minuten vor Schluss fand dieses Freitagabendspiel ein jähes Ende. Erbost über zwei Platzverweise gegen die eigene Mannschaft und eine Niederlage vor Augen, reagiert sich der Mob ab. Ein Bierbecher, der vielleicht Schiedsrichter Deniz Aytekin galt, trifft seinen Assistenten Schiffner am Hinterkopf. Der sackt kurz zusammen, lang genug für Aytekin, um beim Stand von 0:2 abzubrechen.
Urteil und Folgen: Der DFB wertet die Partie, wie sie stand – mit 0:2. Außerdem musste St. Pauli das erste Heimspiel der neuen Saison (2. Liga) mindestens 50 Kilometer vom Millerntor entfernt austragen. Man wich nach Lübeck aus, was einen Einnahmeverlust von rund 400.000 Euro bedeutete. Der ermittelte Täter, ein 46jähriger, wurde zu einer Geldstrafe von 12.000 Euro verdonnert. Schiffner litt noch monatelang an Nackenschmerzen.
Bundesliga am 19. März 2022
Opfer: Christian Gittelmann
Wurfgeschoss: Bierbecher
Tathergang: In der 69. Minute wurde der Linienrichter Gittelmann von der Haupttribüne aus von einem „zumindest halbgefüllten Bierbecher“ am Hinterkopf getroffen. Nach mehrminütiger Unterbrechung brach Schiedsrichter Daniel Cortus beim Stand von 0:2 die Partie.
Urteil und Folgen: Da das klassische Ergebnis für eine Spielwertung dem Spielstand entsprach, blieb es es auch hier bei einem 0:2 – drei Punkte für die Gäste. Der Täter wurde dank Videoaufnahmen ermittelt und zur Kasse gebeten. Er musste sich an den 100.000 Euro, die der VfL Bochum an den DFB zahlen musste, beteiligen.