
Rund um den Brustring
·1. Januar 2021
Wollt Ihr uns verarschen?

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·1. Januar 2021
Noch ein offener Brief. An die Gremien des VfB Stuttgart 1893 e.V. und der VfB Stuttgart 1893 AG.
Sehr geehrte Dame und Herren,
Offene Briefe sind ja gerade en vogue beim VfB, also hab ich mir gedacht, schreib ich auch mal einen. Dabei hab ich eigentlich vor wenigen Monaten erst einen geschrieben. An Claus Vogt und Thomas Hitzlsperger, mit der Bitte, die Untersuchung zu Datenweitergabe mit Nachdruck zu verfolgen und dabei auch nicht außer Acht zu lassen, dass man beim VfB versucht hat, seine Mitglieder in einer so elementaren Frage wie der Ausgliederung mit “Guerilla-Marketing” zu verarschen. Welch Ironie. Jetzt muss ich schon wieder einen Brief schreiben. Weil ich das Gefühl nicht loswerde, mein Verein wolle mich verscheißern. Und wieder stehen Claus Vogt und Thomas Hitzlsperger im Mittelpunkt.
Aber der Reihe nach:
Ich weiß, daß hat sich damals alles so einfach angehört. Man hatte einen Präsidenten, der seinen Laden im Griff hatte, in allen Gremien wurde alles immer einstimmig beschlossen und in der AG lief auch alles nach dem Gusto des Aufsichtsratsvorsitzenden und seinem Königsmacher. Da hat man im Vorsitz des die Mitgliederrechte nach der Ausgliederung stärkenden Gremiums ein ruhiges Leben. Nur blöd, wenn den gleichen Mitgliedern, die einen in den Vereinsbeirat gewählt haben und deren Rechte man stärken soll, die Missachtung und Verarsche durch den Vereinspräsidenten irgendwann zu viel ist. Dann gibt man dem Kommunikationsprofi der AG (!) pflichtschuldigst ein Interview und spielt in der heißen Phase vor der Mitgliederversammlung den digitalen Doppelpass mit der vereinskontrollierten Facebook-Seite des Chefeinflüsterers.
Zum Strategen ist eben nicht jeder geboren. Und dazu gehört eben auch, reumütig das Haupt zu senken, wenn die alles umsonst war. Händeschüttelnd vorm Stadion beispielsweise. Zugegebenermaßen: Dass Ihr den Meisterschützen von 1992 und seine Bande von Facebook-Live-Performern und Nicht-Denken verhindert habt, rechne ich Euch hoch an. Aber wo Licht ist, da ist auch Schatten und der liegt schon allein darin begründet, dass ein Gremium satzungsgemäß, aber ohne große Transparenz entscheiden kann, welche zwei KandidatInnen wir für das oberste Amt im Verein zur Verfügung haben. Aber dazu später noch mehr. Ein neuer Präsident ist gewählt, alle sind glücklich, alle sind froh. Jetzt nur feste Daumen drücken, dass keiner mehr über früher redet. Wenn das dann doch einer tut und der neue Präsident die Sache gar nicht auf sich beruhen lassen will, dann heißt es: Schnell handeln und die Sache im Lenkungsausschuss in die richtige Richtung lenken. Verdammt da wird man auch ausgebootet? Naja, es ist ja nicht mehr lang bis zur nächsten Mitgliederversammlung und da hält man ja sowieso wieder alle Fäden in der Hand. Da führt man am Besten schon mal mehrstündigen Gespräche mit möglichen Gegenkandidaten. Ist grundsätzlich erstmal legitim, schließlich will ich als Mitglied auch bei dieser Mitgliederversammlung wenn möglich die Wahl zwischen mehreren Personen und nicht das “Friss oder stirb”, das der nicht mehr existente Aufsichtsrat des e.V. früher so gern praktizierte. Vielleicht redet man auch deshalb so gerne mit dem Kandidaten, weil der genauso unbedacht daherschwätzt wie jemand, den man selber in guter Erinnerung hat. Wenn der dann fröhlich in der Zeitung ausplaudert, dass es Leute beim VfB gebe, die wollen, dass er Präsident wird…na gut, das lief nicht so geplant, aber irgendwer sticht ja eh dauernd Interna über den ungeliebten Präsidenten an die Presse durch, da sollte es ein leichtes sein, dessen Nichtnominierung zu rechtfertigen. Erst recht, wenn der Vorstandsvorsitzende der AG die Kontrolle von durch die Mitglieder gewählten Vereinsvertretern über angestellte AG-Verantwortliche per Handstreich aushebeln will. Da bewahrt man natürlich aus Rücksicht auf den starken Mann Stillschweigen. Ehrensache. Mitgliederrechte stärken? Ja sicher, kommt gleich nach der Champions League Teilnahme 2022 und den regionalen Investoren.
Stimmt alles gar nicht? War alles ganz anders? Ja tut mir leid, ich bewerte nur, was ich sehe und was ich sehe, macht mich wütend. Nicht weil ich ein Fan von Claus Vogt bin, mir geht es nicht um seine Person. Sondern weil ich ein Fan und Mitglied des VfB bin und äußerst allergisch darauf reagiere, wenn ich das Gefühl habe verarscht zu werden.
Aber bitte, überzeugt mich: Warum stellt man sich blind hinter einen Präsidenten, der für alle ersichtlich den VfB mit Schmackes vor die Wand fährt? Warum entsendet man eine vorbelastete Person in ein Aufklärungsgremium? Warum spricht man aktiv andere Kandidaten an, anstatt die eingegangen Bewerbungen abzuwarten? Und warum verheimlicht man den Mitgliedern eine solch brisante weitere Kandidatur?
Ich freue mich auf Eure Antworten.
Noch eins: Diese Info mag vielleicht irgendwann in den letzten Jahren verloren gegangen sein, deswegen wiederhole ich sie noch einmal: Es sollte in der Hand der Mitglieder liegen, zu entscheiden, ob sich ein VfB-Präsident für eine weitere Amtszeit qualifiziert. Egal ob er Wolfgang Dietrich oder Claus Vogt heißt. Und es liegt auch in der Hand der Mitglieder, wer im Vereinsbeirat sitzt. Denkt dran, wenn ihr in den kommenden Wochen richtungsweisende Entscheidungen trefft.
Ihr seid ein ungleich besetztes Gremium. Zwei von Euch sind schon eine Weile beim VfB in Amt und Würden, einer von Euch erst seit einem Jahr. Zuerst zu den beiden Erstgenannten. Thomas Hitzlsperger sprach in seinem offenen Brief von vielen Gremien in AG und e.V., die mit Claus Vogt über Kreuz lägen. Zählt das Präsidium auch dazu? Falls nicht, warum wurde dann seitens des e.V. nicht wie von Claus Vogt gewünscht eine Stellungnahme zum Vorgehen von Thomas Hitzlsperger herausgegeben? Ist es vielleicht am Ende nicht nur die AG, die angeblich die Ermittlungen zum Datenskandal behindert, sondern auch Menschen, die während der ominösen Zusammenarbeit mit Andreas Schlittenhardt entweder als Präsidiumsmitglied oder als Ausgliederungsbeauftragter von den Vorgängen Kenntnis gehabt haben müssen? Und ich meine nicht nur die rechtlich relevanten Aspekte, sondern auch die gezielte Irreführung der Mitglieder in der Frage der Ausgliederung. Mitglieder, die Euch, den einen früher, den anderen später, ins Präsidium gewählt haben. Ich kann, wie gesagt, nur bewerten, was ich sehe und was ich sehe, macht mich nachdenklich. Und wie steht ihr als Präsidium zum Ansinnen Thomas Hitzlspergers, im Falle der Wahl zum Präsidenten weiterhin Vorstandsvorsitzender bleiben zu wollen. Wer vertritt dann den Hauptanteilseigner im Aufsichtsrat der AG? Ihr seid die einzigen demokratisch gewählten Vertreter des Vereins gegenüber der AG. Einer von Euch sitzt schon im Aufsichtsrat, der andere ist Angestellter der AG und müsste seine Arbeit im Nachwuchsleistungszentrums quasi selber kontrollieren. Wie soll das gehen?
Lieber Claus Vogt, Du hast es gerade nicht leicht. Wieviel davon Du Dir selber zuzuschreiben hast, vermag ich von außen nicht zu beurteilen. Nicht nur im Sinne der Transparenz gegenüber den Mitgliedern sondern auch im Sinne des VfB gibt es ein paar Fragen zu klären: Selbst wenn der e.V., wie Du schreibst, versichert ist (gegen was eigentlich genau?), stimmt es, dass die Bezahlung der Esecon den Verein an den Rand der Zahlungsunfähigkeit bringt und wenn ja, wie kann das sein? Welche Rolle spielt der Expertenrat, von dem man nie wieder etwas gehört hat, im Vergleich zu den demokratisch legitimierten Vereinsgremien? Wie ist der Stand bei Themen wie der Gründung einer Fanabteilung? Wessen Aufgabe ist eigentlich die Akquise eines zweiten Investors? Kurz: Alle zur Sprache gebrachten Kritikpunkte müssen, soweit persönlichkeitsrechtlich, juristisch und wirtschaftlich vertretbar, vor der Mitgliederversammlung transparent thematisiert werden, damit sich Mitglieder eine eigene Meinung bilden können, sollte der Vereinsbeirat wider Erwarten die Entscheidung darüber in unsere Hände legen. Das ist auch Deine Verantwortung als Präsident.
Ihr wisst wie man Drohkulissen aufbaut. Ihr wart 2016 die einzigen Aufsichtsratsmitglieder, als es vom mittlerweile ausgeschiedenen Aufsichtsratsvorsitzenden Martin Schäfer hieß, wer Wolfgang Dietrich nicht wähle und den Aufsichtsrat abberufen wolle, lege den Verein “in Schutt und Asche”. Hat dann ja doch irgendwie ganz knapp geklappt ohne Gegenkandidaten mit etwas über 50 Prozent für “den Präsident, den wir wollten”, wie es einer von Euch beiden mal in einem Interview formuliert hat. Und wenn wir grad beim Vertreter des “Ankerinvestors” im Aufsichtsrat sind, reden wir doch mal über die Einmischung des Minderheiten-Anteilseigner in e.V.-Belange. War die Schützenhilfe für Wolfgang Dietrich im firmeneigenen Intranet das Sahnehäubchen auf den 40 Millionen, für die man beim VfB sicherlich ähnlich hart mit dem Nachbar in der Mercedesstraße verhandeln müsste wie Leipzig mit der Zweigstelle in Salzburg? Immerhin hat man sich durch die vom Wunschpräsidenten mit Drohkulissen und der Aussicht auf sportlichen Erfolg durchgepeitschten Ausgliederung dieser lästigen Mitglieder entledigt, die einen ständig für die eigene Amtsführung zur Rechenschaft ziehen wollen. Apropos Rechenschaft: In diesem ominösen Präsidialrat – hallo, Hermann Ohlicher! -, waren da Guerilla-Marketing und Mitgliederdaten nie ein Thema? Würde mich wundern.
Auch Ihr müsst Euch keiner Wahl oder Entlastung mehr durch die Mitglieder stellen. Was ein Segen. Zumindest zwei von Euch nicht. Ich will jetzt gar nicht fragen, wer den ganzen Marketing-Quatsch zu verantworten hat, den wir die letzten Jahre ertragen mussten, wie eigentlich die fußballerische Schützenhilfe für die deutsch-chinesische Wirtschaftspolitik so läuft und wie unser angebautes Häusle nach dem Abstieg und vor Corona eigentlich so finanziell ausgestattet war. Nein, mich interessiert viel mehr Folgendes:
Nun gehört es zu den bereits beschriebenen Nettigkeiten der Ausgliederung, dass man als Vorstand einer AG nur den Anteilseignern Rechenschaft schuldig ist und nicht den Mitgliedern. Und wenn die Anteilseigner, nun, wie soll ich das formulieren, kein gesteigertes Interesse mehr an den Tag legen, wenn es um Rechenschaft für Vorgänge zwischen 2016 und 2019 geht, dann wäre das ja auch nicht schlimm, oder?
Aber es gibt ja noch einen in Eure Mitte und dem nehme ich ein Interesse an der Aufklärung sogar ab. Will es ihm abnehmen. Frage mich aber, ob es dafür dieser Maßnahmen bedarf. Ein offener Brief mit massiver Sprengkraft, der mit Drohszenarien und der Aussicht auf anhaltenden sportlichen Erfolg hantiert? Kommt mir bekannt vor, nur in anderer Kommunikationsform.
Mal ganz abgesehen von den Umfangsformen und den Vorwürfen, die in meinem Kopf nicht vollumfänglich zum Gründer eines Vereins für Integrität im Profifußball passen: Es gibt einen gewichtigen Grund, warum demokratisch gewählte Vereinsrepräsentanten die Arbeit der durch Ernennung zu ihrem Posten gekommenen AG-Angestellten beaufsichtigen sollten: Es gibt sonst keine Kontrollfunktion mehr.
Sollte die Mannschaft so weiterspielen, wie sie es derzeit tut und sollte im Wahlkampf noch ein paar Mal der Begriff “Cottbus 2007” fallen, dann haben wir ab März diese Kontrolle nicht mehr oder nur noch eingeschränkt. Denn wenn der ehrenamtliche Vereinspräsident sich nicht selber in seiner anderen Funktion als Vorstandsvorsitzender der AG beaufsichtigen kann, wer tut es dann? Die beiden anderen Präsidiumsmitglieder, vom denen einer sowieso schon im Aufsichtsrat ist und der andere Angestellter der AG (s.o.)? Und wer übernimmt den Vorsitz des Aufsichtsrates? Einer der beiden oder gar der Vertreter des anderen Anteilseigner, der eine äußerst zweifelhafte Reputation hat, wenn es um Mitglieder geht, aber immerhin laut kicker Dein enger Vertrauter ist? Wie soll das alles funktionieren?
Liebe VfB-Gremien, ich kann mir die in der Überschrift gestellte Frage mittlerweile selber beantworten. Ich komme mir verarscht vor, vom einen mehr, vom anderen weniger. Über ein Jahr lang war man nicht in der Lage, Konflikte zum Wohl des VfB zu lösen, sondern hielt sie nur so gut es ging unter Verschluss. Als man es nicht mehr aufschieben konnte, weil eine Entscheidung der Mitglieder unausweichlich wurde, verfiel man wieder in alte Muster: Indiskretionen an die Presse, öffentlicher Streit mit gegenseitigen Vorwürfen, die das Ansehen des VfB schädigen. Als ich den VfB während des Wahlkampfs 2019, als auch über die Presse interveniert wurde, den VfB einen Klepperles-Verein schimpfte, wurde mir von Thomas Hitzlsperger erst vehement auf Twitter und dann auf der Mitgliederversammlung widersprochen. Ein Jahr später sehe ich keinen Grund, meine Einschätzung zu korrigieren.
Aber: Ich bin nicht mehr bereit, das hinzunehmen. Wie man im Englischen sagt: fool me once, shame on me you, fool me twice, shame on you me.
Titelbild: © Imago