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Niklas Levinsohn·26. September 2020

Wochenschau: In 2020 ist Mainz 05 der deutsche FC Barcelona

Artikelbild:Wochenschau: In 2020 ist Mainz 05 der deutsche FC Barcelona

Ein Mainzer Stürmer will nicht gehen, ein Barcelona-Stürmer muss gehen und irgendwie hängt alles mit allem zusammen. Vorhang auf, die Wochenschau.

Es gab mal eine Zeit, da wäre so ziemlich jeder Verein der Welt gerne mit dem FC Barcelona verglichen worden. Es gab allerdings auch mal eine Zeit, in der sich Kai Pflaume damit zufrieden gegeben hat, Fernsehformate für sedierte Senioren zu moderieren und C. G. Jungs Archetyp des perfekten Schwiegersohns zu verkörpern. Aber in 2020 ist alles anders. Niemand möchte mehr wie der FC Barcelona sein und Kai „Ehrenpflaume“ dominiert das Internet wie die Bayern den europäischen Fußball.


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Ob die Mainzer nun allerdings wollen oder nicht: Dem Vergleich mit dem spanischen Spitzenklub können sie sich seit den Ereignissen dieser Woche nicht mehr entziehen. Immerhin hat es auch hier ein Einzelspieler geschafft, einen gesamten Verein in eine tiefe Sinnkrise zu stürzen, noch dazu seine gesamte Führungsebene bloßzustellen. Natürlich sind die Dimensionen bei den Rheinhessen alle etwas kleiner, die Umstände ein wenig anders.

In Mainz ging es um die Versetzung Ádám Szalais in die zweite Mannschaft. In Barcelona um die potenzielle Auflösung eines Klub-Spieler-Bündnisses, von dem man dachte, es folge dem Motto: Bis dass das Karriereende euch scheidet. Während Messi unbedingt gehen wollte, will Szalai wiederum unbedingt bleiben. Der 32-Jährige weiß dabei offensichtlich seine Teamkollegen auf seiner Seite, die für den Stürmer sogar in den Trainingsstreik traten.

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Ganz so weit sind die Kollegen von Luis Suárez nicht gegangen. Doch wenn Lionel Messi spricht, wenn auch nur via Instagram, dann wiegt das womöglich vergleichbar schwer. Und Messi zeigte sich gar nicht begeistert über den unwürdigen Abschied seines kongenialen Offensivpartners. Denn der Uruguayer wurde mehr oder weniger aus dem Verein gedrängt, um Druck vom Gehaltskessel der Blaugrana zu nehmen.

„Du hast dir verdient, dass sie dich verabschieden, wie der, der du bist: Einer der wichtigsten Spieler in der Geschichte dieses Klubs, der mit der Mannschaft, aber auch individuell viele wichtige Dinge erreicht hat. Und nicht rausgeschmissen zu werden, wie sie es mit dir getan haben“, schrieb Messi auf der Social-Media-Plattform und legte in Richtung Führungsetage nach: „Aber ehrlich gesagt, an diesem Punkt überrascht mich nichts mehr.“

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Fairerweise ist an dieser Stelle wirklich Kopfschütteln angebracht. Barcelona hält Messi gegen dessen Willen und unter Inkaufnahme eines riesigen Imageschadens im Verein, um dann mit Suárez, der sein Freund und Nachbar ist, eine von Messis wichtigsten Bezugspersonen im Team vom Hof zu jagen. In psychologischen Fachkreisen nennt man sowas Selbstsabotage. Der FC Barcelona ist der erste autoaggressive Fußballklub.

Bleibt die Frage: Gibt es A.) einen roten Faden, der die Possen um Szalai und Messi bzw. Suárez miteinander verbindet? Oder sind das B.) alles unzusammenhängende Einzelfälle? Wir entscheiden uns für Antwort A. Schließlich ist das hier eine Fußball-App und nicht das deutsche Innenministerium. Als die Corona-Pandemie anfangs auch den Profifußball vorübergehend verschluckte, brach die Zeit der großen Propheten an.

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„Wenn wir die Krise überstanden haben sollten, muss sich im Fußball einiges ändern“, erklärte BVB-Boss Hans-Joachim Watzke Ende April bei Markus Lanz. Von Dortmund bis München war von einem Umdenken die Rede, das Einzug halten müsse – wieder eine Nummer kleiner, wieder näher dran am Fan. Ein gutes halbes Jahr später mögen die Prognose und Versprechen von damals vielen Anhängern wie leere Worthülsen vorkommen.

Spieler haben trotzdem für Unsummen die Vereine gewechselt, in Oligarchenhand befindliche Klubs wie der FC Chelsea unbehelligt eingekauft. Doch an einem Eisberg ist nicht die Spitze interessant, sondern das, was sich unter der Wasseroberfläche verbirgt. Wie das ‚CIES Football Observatory‘ vorgerechnet hat, lagen die Transferausgaben in diesem Sommer Stand 15. September satte 64 Prozent unter denen des Vorjahres.

Barcelonas jahrelanges Gehalts-Harakiri, das es überhaupt erst erlaubte, Spieler wie Messi, Neymar und Suárez gleichzeitig unter Vertrag zu haben, ist durch Corona an seine Grenzen gestoßen. Zwar widersprechen sich die Berichte, aber der ‚Bild‘ zufolge könnte auch der Mainzer Spielerstreik eine finanzielle Dimension haben. Angeblich ginge es um die Rückzahlung von infolge der Pandemie gestundeten Gehältern, für die Szalai sich eingesetzt hätte.

Wer nur genau genug hinschaut, sieht also, dass im Profifußball nicht alles beim Alten ist. Viel wurde in diesem Transferfenster kaschiert. Wohl genauso viel darauf gesetzt, dass das Gröbste in der Corona-Krise schon überstanden ist. Dass die Einschnitte nicht noch mal so tief sein werden. Genau das aber könnte ein Trugschluss sein, der erst der Gesellschaft vor die Füße fällt und dann auch dem System Profifußball. Ende offen.