Wochenschau: Für wen will dieser Fußball eigentlich Vorbild sein? | OneFootball

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Jan Schultz·10. Oktober 2020

Wochenschau: Für wen will dieser Fußball eigentlich Vorbild sein?

Artikelbild:Wochenschau: Für wen will dieser Fußball eigentlich Vorbild sein?

Schluss, aus, vorbei! Die Zeit des ganz großen Wahnsinns endete in der Nacht von Montag auf Dienstag, als in den europäischen Top-Ligen endlich die Transferfenster schlossen. Gott sei Dank!

„Es ist nicht mehr gesund. Talente, die ein halbes Jahr gespielt haben, kosten zehn, 15 Millionen. Von Corona ist da nichts zu merken“, stöhnte Bruno Labbadia zuletzt mit Blick auf den selbst während der Pandemie komplett überhitzten Transfermarkt. Und das wohlgemerkt nur hinsichtlich der jüngsten Profis. Etablierte Kicker kosten wesentlich mehr.


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Denn Spieler wie Kai Havertz (mindestens 80 Millionen Euro), Victor Osimhen (72 Millionen Eur0) oder auch Rúben Dias (68 Millionen Euro) wechselten in diesem Sommer für das ganz große Geld. Andere Profis wie Álvaro Morata (bis zu 55 Millionen Euro) oder Federico Chiesa (bis zu 60 Millionen Euro) wechselten zunächst auf Leihbasis, aber mit teuren Kaufoptionen, die teilweise verpflichtend sind. Es finden sich auch im Jahr 2020 wieder Dutzende dieser Transfers.

Zwar gaben Europas Topligen insgesamt 40 Prozent weniger für Transfers aus, doch vor allem die üblichen Verdächtigen aus der Premier League machten weiter als wäre nichts gewesen. Zum Teil wurden derart überzogene Summen selbst für englische Zweitligaprofis ausgegeben. Die Briten haben dabei auch einmal mehr locker die Milliardenmarke geknackt.

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Allen voran waren es der FC Chelsea (171,2 Mio.) und Manchester City (101,65 Mio.), die netto jeweils über 100 Millionen Euro für Neuzugänge ausgaben. Letztere mussten dabei gerade vor den CAS ziehen, weil die Uefa ihnen Verstöße gegen das Financial Fairplay vorgeworfen hatte. Auch Tottenham schlug mit Nettoausgaben von 85 Millionen Euro kräftig zu, obwohl die Spurs gerade ein neues Stadion gebaut haben, das rund eine Milliarde Euro kostet.

Es ist fast so, als hätte es Corona, die erheblichen finanziellen Einschnitte und die eindringlichen Warnungen und Beteuerungen zahlreicher Fußballakteure nie gegeben.

Dieses Bild drängt sich allerdings nicht nur mit Blick auf den weiterhin überhitzten Markt auf, sondern auch beim Umgang mit neuen Erkrankungen. Ganz konkret denken wir dabei an einen Fall in Italien.

Abscheuliche Posse in der Serie A

Beim FC Genua wurden vor dem Duell mit Napoli zwei Spieler positiv auf Covid-19 getestet, einer erst kurz vor der Abreise. Nach dem Spiel schossen die Zahlen besorgniserregend weit nach oben. Erst waren es zehn, mittlerweile 22 positive Fälle.

Bei Gegner Napoli wurden in der Folge ebenfalls zwei infizierte Profis ausgemacht, weshalb das lokale Gesundheitsamt kurzfristig, aber verständlicherweise die Abreise gen Turin blockierte und Quarantäne anordnete. Eine länger werdende Kette an Infektionen sollte somit unterbunden werden. In Turin hätte der Tabellenführer indes zum Top-Spiel auf Meister Juve treffen sollen.

Was unter Anwendung gesunden Menschenverstands, grundlegender Empathie sowie dem Fairplay-Gedanken zu einer Spielverlegung hätte führen müssen, zog im Land des Calcio eine abscheuliche Posse nach sich.

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Denn mit dem Verweis auf eine in dieser Hinsicht völlig nebensächliche, aber eigens festgelegte Regelung, bestand die Liga darauf, dass die Partie dennoch stattfinde. Dass Napoli gar nicht anreisen konnte? Blöd gelaufen. Dass Italien lange Zeit wie kaum ein zweites Land unter COVID-19 litt und derzeit wieder steigende Zahlen verzeichnet? Na und! Dem Verband scheinen diese Fakten erstmal völlig egal zu sein. Der Fußball, so scheint es, ist vielen handelnden Personen offenbar weitaus wichtiger als das Eingrenzen einer Pandemie.

Die Neapolitaner baten daher Juventus um eine Spielverlegung, doch die Alte Dame zeigte ihre hässliche Fratze und lehnte ab. Wohlwissend, dass man so gegen einen Top-Gegner am grünen Tisch einen 3:0-Erfolg einfahren würde. Zumindest in erster Instanz.

Es folgte eine peinliche Inszenierung des Spieltags, der Meister reiste ganz normal zum Stadion, wärmte sich auf und veröffentlichte seine Aufstellung. In den sozialen Netzwerken präsentierte man sich wie immer voller Vorfreude auf eine anstehende Partie.

Dieses Schauspiel fand schließlich seinen absoluten Höhepunkt, als sich Juve-Boss Andrea Agnelli vor den Mikrofonen der natürlich ebenfalls anwesenden Journalisten aufbaute und behauptete, seine Mannschaft wäre an Napolis Stelle angereist. Warum auch Behörden haben, wenn man sie einfach ignorieren kann? Und Corona? Ja, schon, aber der Fußball ist ja nun mal seine eigene Welt.

„Es gibt Regeln und Juventus respektiert diese“, fuhr Andrea Agnelli zur Belustigung des gesamten Internets fort. Zur Erinnerung: Die Bianconeri mussten im Zuge des Calciopoli-Skandals vor 14 Jahren zwangsabsteigen. Regeln gibt es. Aber die Auslegungssache ist dann etwas anderes. Zumindest im Fußball.

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Auch in Deutschland steht ein Verein wegen seines Verhaltens in der Coronakrise in der Kritik. Union Berlin intensivierte seinen Ticketverkauf für das Testspiel gegen Hannover 96 und gab Karten in den freien Verkauf.

Die Gesundheitsämter mögen Zuschauer im Stadion noch nicht verboten haben, angesichts explodierender Infektionszahlen in der Hauptstadt stellt sich aber auch die Frage nach einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung.

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Doch es sind vor allem die großen Klubs, die, wissend um ihre Macht und Strahlkraft, mit ihrem Gebaren bereits im Oktober für eine gewisse Tristesse sorgen. Bei all jenen, die gehofft hatten, dass der Fußball endlich zur Besinnung kommt.

Ja, derzeit stinkt der Fisch gewaltig vom Kopf und man kann nur hoffen, dass die Akteure noch früh genug verstehen, dass die Fans längst nicht mehr alles essen, was man ihnen vorsetzt.