90PLUS
·12. April 2025
Wird Gladbachs Europa-Traum wahr? Das spricht dafür – und dagegen

In partnership with
Yahoo sports90PLUS
·12. April 2025
28 Spieltage, 44 Punkte, Rang 6. Die Borussia aus Mönchengladbach ist voll auf Kurs, ihr vor der Spielzeit gestecktes Saisonziel, den einstelligen Tabellenplatz, zu erreichen. Doch mit der aktuellen Platzierung, die für eine UEFA-Conference-League-Teilnahme berechtigen würde, ist der europäische Fohlen-Traum nicht mehr wegzureden – bei den Fans und bei den Spielern.
„Erste Runde Bukarest, zweite Runde Rom, in Kopenhagen schellt das Telefon…“. Diese berüchtigten Liedzeilen hallen seit Wochen immer wieder durch die Gladbacher Kurve. Der Fangesang, längst Kult unter den Fans, beschwört den Traum vom Europapokal – und spiegelt damit die wachsende Sehnsucht nach internationalen Nächten wider. Und auch die Spieler von Borussia Mönchengladbach betonen seit Wochen: „Träumen darf man immer“. Gladbach nach Europa? Was einst wie ein Wunschdenken klang, bekommt Woche für Woche mehr Realitätsnähe. Sechs Partien verbleiben, dann könnte der große Europacoup gelingen. Was spricht dafür – und was spricht dagegen?
Der Abend des 4. Oktobers 2024 stellt bei den Fohlen wohl einen der großen Knackpunkte in der laufenden Saison dar. Damals verlor das Team von Gerardo Seoane (46) an einem kalten Herbstabend in Augsburg mit 1:2, war zudem anderthalb Wochen zuvor gegen Eintracht Frankfurt trotz fast 80-minütiger Überzahl aus dem DFB-Pokal ausgeschieden. Der Trainer war angezählt – sowohl Fans als auch die Medienlandschaft diskutierten intensiv über eine Entlassung des Schweizers. Aber: Seoane durfte weitermachen, trotzte aller Kritik und blieb infolgedessen fünf Spiele ungeschlagen. So stand die Elf vom Niederrhein am elften Spieltag auf Platz 6 in der Tabelle. Wie sich heute zeigt, war diese Platzierung mehr als nur eine „Momentaufnahme“, wie sie Borussias Sportdirektor Roland Virkus (58) damals kommentierte.
Gute fünf Monate später stehen die Fohlen noch immer auf dem besagten sechsten Rang, auch und gerade weil sie nach Rückschlägen wie den Niederlagen gegen Leverkusen, Wolfsburg, Augsburg und Co. immer wieder zurückkamen und punkteten. Eine Resilienz, die in den vergangenen Jahren bei den Gladbachern schmerzlich vermisst wurde und auch im Kampf um Europa von Vorteil sein kann. Die neue Widerstandsfähigkeit zeigt sich auch in der Tatsache, dass die Borussia nach Führung bis dato kein einziges Spiel in dieser Saison verloren hat. Seoanes Fohlen präsentieren sich vorne meist effizient und stehen hinten sicher. Sie kassierten nur 41 Gegentore in der laufenden Spielzeit, dem stehen 54 Gegentore in der vergangenen Saison zum gleichen Zeitpunkt gegenüber. Die Mannschaft rund um Gerardo Seoane scheint also an ihren Problemen gewachsen zu sein – einer der Gründe, warum es jetzt so viel besser um die Borussia steht.
Zudem konnten Ausfälle von Schlüsselspielern stets kompensiert werden. Nach der längeren Verletzungspause des französischen Flügelflitzers Franck Honorat (28) konnte dessen Landsmann Nathan Ngoumou (25) mit anderen Qualitäten glänzen und drei Scorerpunkte liefern. Die Zwangspause des deutschen U21-Nationalspielers Rocco Reitz (22) nutzte Neuzugang Philipp Sander (27), um sich mit zuverlässigem und defensivstarkem Spiel in der Startelf festzusetzen. Und nicht zuletzt auf der Torwartposition kompensierte der erst 18-jährige Tiago Pereira Cardoso die Ausfälle von Moritz Nicolas (27) und Kapitän Jonas Omlin (31), als wäre er ein jahrelanger Bundesligaroutinier.
Seoane kann sich auf seinen Kader und dessen Variabilität verlassen. Schon in den vergangenen Monaten haben mehrere Spieler, die aktuell meist auf der Bank Platz nehmen müssen, in entscheidenden Phasen überzeugt und Verantwortung übernommen (siehe Kevin Stöger, Marvin Friedrich oder Stefan Lainer). Der Schweizer Trainer schafft es so, seinen gesamten Kader eingebunden und motiviert zu halten. Ein Vorteil gegenüber einigen Konkurrenten aus der Bundesliga, deren Kaderstrukturen deutlich festgefahrener wirken.
(Photo by Pau Barrena/Getty Images)
Nicht kleinzureden ist dabei aber natürlich die zentrale Rolle des mittlerweile 6-fachen deutschen Nationalspielers Tim Kleindienst (29). Der gebürtige Brandenburger, der im vergangenen Sommer aus Heidenheim an den Niederrhein kam, war ziemlich offensichtlich ein absoluter Glücksgriff für den VfL. Und das nicht nur wegen seiner insgesamt 15 Bundesliga-Tore und sechs Vorlagen – auch abseits des Scoring-Outputs ist der 29-Jährige aus dem Team von Gerardo Seoane gar nicht mehr wegzudenken. Mit seiner enormen Intensität und Galligkeit mit und vor allem auch gegen den Ball gehört Kleindienst zu den 20 laufstärksten Spielern der Liga, absolvierte zudem die drittmeisten Sprints. Außerdem führt er die Statistik mit den meisten Fouls an Gegenspielern an – sicherlich auch ein Hinweis auf das körperbetonte Spiel des Gladbachers.
Dass Seoane in den verbleibenden sechs Saisonspielen auf den 1,94-Meter-Mann setzen kann, dürfte die Chancen auf eine Europapokal-Qualifikation deutlich steigern – wenngleich die Mannschaft in dieser Saison bereits bewiesen hat, auch ohne den 29-Jährigen gewinnen zu können. Dennoch kann man nicht oft genug betonen: Kleindienst hat einen enormen Anteil am Aufschwung des VfL, der indes auch über diese Saison hinaus bestehen bleiben soll.
Doch klar ist auch: Mit einem Sieg am Millerntor vergangenes Wochenende hätten sich die Fohlen eine noch bessere Ausgangsposition für den Saison-Endspurt verschaffen können. Stattdessen kam die Seoane-Elf nicht über ein 1:1 beim FC St. Pauli hinaus – wohlbemerkt, dass es neben der 1:5-Pleite in Wolfsburg die wohl schlechteste Saisonleistung war. Erneut ein Ausrutscher oder steckt mehr hinter dem offensivschwachen Auftritt? Ein kleiner Dämpfer für das positive Momentum nach den Leistungen der letzten Wochen war das jedenfalls schon. Dennoch sollte das schlechte Spiel in Hamburg nicht überbewertet werden, zumal die Mannschaft immerhin einen Punkt mitgenommen hat, der am Ende noch entscheidend sein könnte.
Wichtiger ist eher, die kommenden Aufgaben wieder mit mehr Entschlossenheit und Offensivdrang anzugehen. Gerade dem Spiel am Samstag gegen den direkten Konkurrenten SC Freiburg (Anstoß 15:30) kommt eine immense Bedeutung zu. Mit einem Sieg könnten die Fohlen sogar auf einen Champions-League-Platz springen, bei einer Niederlage hingegen würden sie aus den internationalen Plätzen herausfallen. Ein wegweisendes Spiel also im Kampf um Europa – die Gladbacher haben es selbst in der Hand, das Momentum zu ihren Gunsten auszurichten.
Doch die unmittelbaren Verfolger der Borussia erschweren die Mission Europa. Gerade der eben genannte SC Freiburg, aber auch Borussia Dortmund und der VfB Stuttgart sind den Gladbachern dicht auf den Fersen. Besonders der BVB und der VfB scheinen rechtzeitig zum Saison-Endspurt wieder in die Spur gefunden zu haben. So zogen die Schwaben im DFB-Pokal gegen RB Leipzig mit einem souveränen 3:1-Erfolg ins Finale ein und beendeten damit ihre sechsfache Sieglos-Serie. Am vergangenen Samstag folgte zudem ein klarer 4:0-Erfolg in Bochum. Mit der entfachten Pokal-Euphorie könnten die Stuttgarter durchaus noch eine Gefahr für die Europa-Träume der Gladbacher darstellen – zumal in den verbleibenden Partien fast nur Gegner aus der unteren Tabellenhälfte auf den VfB warten.
Auch der BVB scheint unter Niko Kovac (53) so langsam aber sicher in die „Erfolgsspur“ zurückzufinden – trotz Startschwierigkeiten und der zuletzt bitteren 0:4-Pleite im CL-Hinspiel gegen den FC Barcelona. Doch das 3:1 gegen den Tabellenvierten FSV Mainz 05 und der anschließende 4:1-Erfolg in Freiburg machen Hoffnung, der BVB-Trend in der Bundesliga zeigt nach oben. Und der Verein wird alles daran setzen, eine völlig verkorkste Saison abzuwenden – und sich doch noch in Richtung internationale Plätze zu retten. Und auch Werder Bremen, FC Augsburg und VfL Wolfsburg dürfen sich zumindest noch kleine Hoffnungen auf einen Platz in den Top 6 machen.
Nicht zu unterschätzen ist bei den wachsenden Europa-Hoffnungen in Mönchengladbach aber auch die gestiegene Erwartungshaltung. Natürlich tun Verantwortliche und Spieler der Borussia gut daran, „von Spiel zu Spiel zu denken“ und die Erwartungen herunterzuschrauben. Dennoch ist der Blick nach oben längst unausweichlich – gerade für die sich nach europäischen Nächten sehnenden Fans des Traditionsvereins. Zumal die Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb durchaus entscheidend für die mittelfristige Entwicklung des Clubs sein kann. Leistungsträger wie Kleindienst, Itakura, Reitz und Co. könnten deutlich leichter am Niederrhein gehalten werden, und auch finanziell wäre eine Qualifikation logischerweise von Vorteil. Es darf also spannend abgewartet werden, ob die Fohlen diesem Druck standhalten können.
Trotz aller Unwägbarkeiten bleibt festzuhalten: Borussia Mönchengladbach hat sich durch eine enorme Leistungssteigerung unter Coach Seoane verdientermaßen in die Top 6 der Liga gespielt. So ist die Ausgangslage für den VfL im großen Europa-Endspurt durchaus vielversprechend. Für das Team von Seoane gilt nun, die letzten Partien der Liga konsequent und mutig anzugehen und dabei gerade gegen die direkten Konkurrenten aus Freiburg und Dortmund Big Points einzufahren. Wenn das gelingt, stehen die Chancen nicht schlecht, dass es gemäß dem Fangesang der Borussia-Fans in der nächsten Saison „vielleicht nach Rotterdam, vielleicht nach Mailand“ geht.
(Photo by Frederic Scheidemann/Getty Images)