
Rund um den Brustring
·16. August 2025
Wieder im Brustring: Tiago Tomás

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·16. August 2025
Der VfB hat sich kurz vor Saisonbeginn noch einmal in der Offensive verstärkt — und bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr findet ein alter Bekannter den Weg nach Bad Cannstatt: Tiago Tomás kehrt nach zwei Jahren in Wolfsburg zurück zum VfB und tritt wohl die Nachfolge von El Bilal an. Wir haben uns in Wolfsburg umgehört wie er sich seit seinem Abschied entwickelt hat und was er uns in der kommenden Saison bringen kann.
Gebranntes Kind scheut das Feuer, könnte man meinen. Wobei die Verpflichtung von Jacob Bruun Larsen zu Jahresbeginn sich ja immerhin finanziell gelohnt hat. Sportlich knüpfte er nach seinem Tor gegen Leipzig häufig an seine erste Zeit in Stuttgart an, so dass diese Episode bereits nach einem halben Jahr wieder beendet war. Und nun schon wieder ein Rückkehrer: Tiago Tomás, der mit dem VfB zuerst gegen Köln und dann in der Relegation die Klasse hielt, schließt sich dem amtierenden DFB-Pokal-Sieger erneut an. 15 Millionen Euro wären 2023 fällig gewesen, um die mit seinem Stammverein Sporting ausgehandelte Kaufoption zu ziehen. Geld, dass der VfB damals — vor dem Weltmarkenbündnis, der Champions League-Teilnahme und dem Pokalsieg — schlicht nicht hatte. Jetzt bewegt sich die Ablöse dem Vernehmen nach in ähnlichen Regionen, Tomás reiht sich damit etwas zwischen Platz 5 und 3 der teuersten VfB-Zugänge der Geschichte ein — wie sich die Zeiten geändert haben. Acht Millionen zahlte 2023 stattdessen der VfL Wolfsburg für die Dienste des Offensivspielers und stattete ihn mit einem Vertrag bis 2027 aus. Warum er Wolfsburg nun wieder verlässt und wie seine Zeit dort war, darüber haben wir mit Michael Theuerkauf gesprochen, der für die Braunschweiger Zeitung über den Club aus der Autostadt berichtet.
Die Erwartungen an Tomás seien dort nach seinem Wechsel relativ hoch gewesen, erklärt Michael. Schließlich hatte man ihn in den vergangenen eineinhalb Jahren in Stuttgart gesehen, als er für den VfB in 47 Pflichtspielen acht Tore erzielte und weitere vier vorbereitete. Unvergessen sein Siegtreffer am 27. Spieltag 2021/22 gegen Augsburg:
Michael beschreibt Tomás, der übrigens immer noch erst 23 Jahre alt ist, als einen “hoch veranlagten Angreifer, der in seinen Leistungen nicht beständig genug ist”, was auch in Wolfsburg der Fall gewesen sei. Eine Beschreibung, die sich vertraut anhört, denn trotz der sehr sehenswerten Treffer und dem hohen Laufpensum wurde man damals schon das Gefühl nicht los, dass bei Tomás wesentlich mehr drin wäre, wenn er sich vor dem Tor zielstrebiger zeigen würde.
Aber zurück zu seiner Zeit in Wolfsburg. Der Club beendete die letzten beiden Spielzeiten auf den Plätzen 12 und 11, was man angesichts der finanziellen Möglichkeiten und auch der Investitionen in den Kader wohl nur als enttäuschend bezeichnen kann. Diese Bilanz kostete erst Niko Kovac und dann auch Ralph Hasenhüttl den Job. Auf die Frage, ob das trotz oder auch wegen Tomás der Fall war, antwortet Michael: “Weder noch. Er ist ein junger Spieler, der die Leistungsschwankungen im Team auch individuell abbekommen hat. Spielte die Mannschaft im Kollektiv gut und war erfolgreich, dann lief es auch für Tomas gut.” In der Hinrunde der vergangenen Saison habe er unter Hasenhüttl den Sprung vom Ergänzungs- zum Stammspieler geschafft, was sich aber in der Rückrunde relativierte. Das hielt ihn wiederum nicht davon ab, bei der bitteren Niederlage des VfB für seine Farben zu treffen. Vergangene Saison traf Tomás sechs Mal und lieferte zwei Assists in der Vorsaison waren es vier Tore und zwei Vorlagen — macht unterm Strich eine ähnliche Quote wie beim VfB. Die meisten Spiele absolvierte der Rechtsfuß in Wolfsburg als Linksaußen, wurde aber auch häufig als Mittelstürmer oder auf dem rechten Flügel eingesetzt.
Sein Problem scheint nach wie vor die Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor zu sein, auch das Passspiel sei noch “ausbaufähig”, meint Michael. Unter Ralph Hasenhüttl habe er nach dem Abgang von Ridle Baku nach Leipzig teilweise als Außenverteidiger aushelfen müssen, was ihm als offensiver Mittelfeldspieler gar nicht gelegen habe. Seine Stärken sind weiterhin das Tempo mit Ball, die Dribblings und die tiefen Läufe. Womit er ziemlich gut das Profil ausfüllt, welches El Bilal in der vergangenen Saison bei uns hatte, auch wenn man beide Spieler natürlich nicht komplett vergleichen kann. Auf jeden Fall wird er dessen Kaderplatz als vierten Stürmer neben Deniz Undav, Ermedin Demirovic und (vielleicht) Nick Woltemade übernehmen. Michael sieht auch angesichts der Dreifachbelastung genügend Gelegenheiten für Tomás, um auf seine Einsätze zu kommen. Michaels Fazit der letzten zwei Jahre: “Tiago hat sich weiterentwickelt in Wolfsburg.”
Interessant ist dabei auch der Blick in die Daten von fbref.com im Vergleich zu anderen Stürmern (obere Grafik)und offensiven Mittelfeldspielern (untere Grafik):
Natürlich ergeben sich hier positionsbedingt Unterschiede: Stürmer müssen mitunter weniger gegen den Ball arbeiten als andere Mannschaftsteile, Mittelfeldspieler sind nicht so torgefährlich wie Stürmer. Auffällig sind die schwachen Offensivwerte, gerade im Vergleich zu anderen offensiven Mittelfeldspielern. Für einen Stürmer ist er sowohl mit, als auch gegen den Ball relativ stark, was sich im Vergleich zu anderen Mittelfeldspielern wieder relativiert. Am ehesten kann man noch seine Aktionen gegen den Ball hervorheben, die als Offensivkraft auf jeden Fall für viel Einsatz stehen. Dass sich Tomás für die Mannschaft aufreiben kann, wissen wir noch gut genug. Aus sportlicher Sicht könne er den Wechsel nachvollziehen, so Michael, denn der neue Trainer Paul Simonis setze nicht unbedingt auf das Umschaltspiel seines Vorgängers, sondern auf lange Ballbesitzphasen.
Womit wir zur Bewertung dieser Rückholaktion kommen. Nie unterschätzen darf man, dass sich Spieler unter anderen Umständen und Rahmenbedingungen wieder ganz anders entwickeln können — oder auch nicht. Auch Bruun Larsen trainierte in Hoffenheim unter Hoeneß und konnte ihn in der Rückrunde nicht überzeugen. Tomás bestritt elf Spiele für unseren Cheftrainer, der also weiß, was er von ihm zu erwarten hat — und Ballbesitzfußball und sei er auch noch so offensiv ausgerichtet, zählt nicht dazu. Dass sich Ablösen mittlerweile in Höhen geschraubt haben, die für uns lange unvorstellbar waren, ist auch nichts Neues und im Zweifelsfall hat man das vorhandene Transferbudget gut in die offensive Tiefe des Kaders investiert. Andererseits sind über zehn Millionen für einen potentiellen Einwechselspieler — denn irgendwann sind es ja vermutlich nicht mehr drei Wettbewerbe, es sei denn, Jamie Leweling behält Recht — immer noch eine ganz schöne Stange Geld.
Für Tomás spricht, dass er zum einen erst 23 ist und beispielsweise auch bei der U21- Europameisterschaft im Sommer für Portugal auflief. Auch vergangene Saison konnte Sebastian Hoeneß beweisen, dass er Spieler auf ein neues Niveau heben kann. Im Falle von Tomás wäre das jetzt der Europapokal und hoffentlich die vordere Tabellenhälfte. Ein bisschen Bauchschmerzen habe ich sportlich immer noch, weil wir es uns eigentlich nicht leisten können, Spieler mitzuschleppen, die ihr Potenzial nicht voll ausschöpfen können. Auch in der kommenden Saison werden wir uns strecken müssen, um unsere Ziele zu erreichen und die Krise der Rückrunde hatte auch mit dem mangelnden Killerinstinkt vor dem Tor zu tun. Persönlich, wenn man darauf überhaupt nach dem Woltemade-Theater überhaupt was geben will, freue ich mich aber auf Tomás und hoffe, dass wir ihn in ferner Zukunft nicht wegen des mit ihm erwirtschafteten Transfergewinns in Erinnerung behalten.
Titelbild: © Selim Sudheimer/Getty Images
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