Wie geht’s nach dem Finale in Deutschland weiter? Übertragung, Marketing und die Falle des Erfolgs | OneFootball

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·1. August 2022

Wie geht’s nach dem Finale in Deutschland weiter? Übertragung, Marketing und die Falle des Erfolgs

Artikelbild:Wie geht’s nach dem Finale in Deutschland weiter? Übertragung, Marketing und die Falle des Erfolgs

In einem ausgeglichenen Finale hat Deutschland den EM-Sieg gegen England knapp verpasst. Angesichts des Finaleinzugs und der guten Quoten kann die EM trotzdem getrost als Erfolg gewertet werden: Beim Endspiel schauten 17,89 Millionen zu, die Aufmerksamkeit in den Medien, ob online, Print oder Social Media, nahm spürbar zu. Aber auch bei früheren Turnieren gab es ähnlich vielversprechende Zahlen – wie geht es jetzt weiter?

Wie nachhaltig ist der EM-Effekt?

Halb Deutschland schaut gerne zu, wenn Lena Oberdorf mal wieder mit dem perfekten Timing den Ball weggrätscht, Merle Frohms durch die Luft fliegt, Lina Magull es mit einem eleganten Hackentrick versucht, Giulia Gwinn eine butterweiche Flanke serviert oder Alex Popp wuchtig einköpft. Also, im Deutschland-Trikot. Wenn die Nationalspielerinnen das weiße DFB-Shirt gegen Wolfsburgs Grün, Bayerns Rot oder Frankfurts Schwarz eintauschen und der Ligaalltag beginnt, nimmt die Aufmerksamkeit schnell ab.


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So vielversprechend die Zahlen und Impressionen der EM sind, so ernüchternd sind manche Statistiken der letzten Saison. Bei einem Ligaspiel wie Bremen gegen Leverkusen kann man keine Zehntausende am Spielfeldrand oder Millionen vor dem Fernseher erwarten, aber trotzdem: Da ginge viel mehr, hat man den Eindruck, wenn man den Zuschauerschnitt mancher Vereine betrachtet. Zahlen über 1.000 waren letzte Saison eher Ausnahme als Regel.

Daran wird auch der EM-Hype voraussichtlich wenig ändern. In der kicker-Umfrage der Woche wurde die Frage gestellt, ob man vorhabe, nächste Saison mehr Spiele der Frauen-Bundesliga zu besuchen. Nur 16% antworteten mit Ja. Wie so oft stellt sich also die Frage, warum es so schwierig ist, Leute dauerhaft auch für den Ligabetrieb zu begeistern.

Übertragung ein Problem - Öffentlich-Rechtliche bisher zurückhaltend

Eins der größten Probleme ist die Übertragung – mit Magenta Sport überträgt ein Sender die Bundesliga, den nicht jeder Sport-Fan abonniert hat. Und für das gelegentliche Reinschauen sind den meisten 10 Euro pro Monat zu viel. Immerhin hat sich mit Magenta die Qualität der Übertragungen verbessert und jedes Spiel wird gezeigt, mit kleinen Interviews am Ende. Das war vor drei Jahren noch nicht selbstverständlich.

Für den nächsten Schritt wäre aber eine andere Übertragungsform besser, das hat auch der DFB erkannt. Sky soll für die Rechte der nächsten Jahre im Rennen sein, womit aber auch alle Spiele hinter einer Paywall wären. Warum nicht ein gemischtes Konzept mit Öffentlich-Rechtlichen und einem privaten Sender, so wie in England? Wenn in der letzten Saison Topspiele in der ARD gezeigt wurden, brachten sie in der Regel gute Quoten ein. ARD und ZDF scheinen sich aber zurückhaltend zu zeigen, auch bei den Spielen des Nationalteams fällt immer wieder negativ auf, dass sie ungünstige Zeiten auswählen. Vielleicht können die Quoten der EM immerhin dort zu ein bisschen mehr Optimismus führen.

Fanszenen wenig ausgeprägt

Ein anderer Punkt sind dann die Zuschauerzahlen im Stadion selbst – wobei die beiden Aspekte natürlich miteinander zusammenhängen, denn eine laute Fanszene macht auch das digitale Zuschauen zu einem größerem Spaß. Eben die gibt es aber bei vielen Vereinen noch nicht, was ein Kontrast zu der englischen Women’s Super League ist: Dort gibt es auch von abstiegsbedrohten Vereinen wie Leicester eine Supporter’s Group, oft auch einen Podcast oder einen Blog. Solche Fanszenen sind bei den deutschen Vereinen selten, dabei erleichtern sie es neuen Interessierten, sich mit dem Team zu identifizieren.

Ein Grund dafür ist auch das Marketing des DFB, das stark auf junge Mädchen und Familien ausgerichtet ist. Angesichts der sinkenden Zahlen im Mädchenfußball ist es wichtig, diese Gruppen anzusprechen, aber dabei sollte man auch andere Interessierte nicht aus den Augen verlieren. Fans, die sich anderswo schon engagiert haben und Stimmung machen, sind ein großer Pluspunkt – das war etwa bei Freiburgs Pokalspiel gegen Wolfsburg, als die Fanszene die ganzen 90 Minuten über Lärm machte, oder auch bei Bremen, als die Ultras zur Unterstützung kamen, zu sehen.

Es schauen nun mal mehr Männer Fußball, ob er von Frauen oder Männern gespielt wird. Dieses Potenzial könnte und müsste mehr genutzt werden, damit sich viele, die jetzt in den sozialen Netzwerken zu selbsterklärten Lena-Oberdorf-Ultras geworden sind, sich dann auch mal im Stadion einfinden. Letzte Saison waren die Highlight-Spiele in der Champions League von Wolfsburg und Bayern bereits sehr erfolgreich, darauf kann aufgebaut werden.

Die Falle des Erfolgs darf nicht wieder zuschnappen

Wichtig ist dafür, dass die Falle des Erfolgs nicht wieder zuschnappt. Lange waren die EM-Titel eine willkommene Bestätigung für den DFB, dass sie alles richtig machen – die Erklärung, andere Verbände machten eben noch mehr falsch, war verständlicherweise keine beliebte.

Mit der "Durststrecke" von neun Jahren ohne Titel bei EM oder WM, zusammen mit dem verpufften Effekt der WM 2011, ging dieses Argument etwas verloren. Andere Nationen hatten aufgeholt, der Druck auf den DFB stieg. Aber es gab immer noch den Olympiasieg 2016 und danach die Corona-Pandemie, die die Aufmerksamkeit etwas von den Versäumnissen des DFB weglenkte. Jetzt gibt es wieder einen Erfolg, Bierhoff & co. freut es.

Die ehemalige Nationaltrainerin Steffi Jones sieht die plötzliche Begeisterung des DFB auch kritisch: "Die Führungsebene sonnt sich jetzt im Erfolg des Teams. Dabei wünsche ich mir, dass der DFB schon vor dem Turnier Pläne für die Zeit danach gemacht hätte", sagte sie in der FAZ. Vielleicht hatte auch der Verband selbst nicht mit dem Ausmaß des Erfolgs gerechnet.

Bis zum Anstoß des ersten Spiels in der Bundesliga, die am ersten Spieltag direkt mit dem Kracher Frankfurt gegen Bayern im Deutsche-Bank-Park loslegt, sind es noch sechs Wochen. Höchste Zeit, jetzt das Pläneschmieden nachzuholen.

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