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·23. Februar 2020

Wie Bayern und der BVB Löw im Stich lassen

Artikelbild:Wie Bayern und der BVB Löw im Stich lassen

Von fussball.news-Reporter Christopher Michel

Als Deutschland den WM-Pokal im Sommer 2014 holte, da stellten der FC Bayern München und Borussia Dortmund zahlreiche Nationalspieler. Beim Umbruch der DFB-Auswahl nun lassen ausgerechnet die beiden deutschen Spitzenvereine Bundestrainer Joachim Löw im Stich.


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Als Deutschland und die Niederlande in Hamburg um die Qualifikation für die Europameisterschaft 2020 kämpften, standen bei der 2:4-Niederlage zwar insgesamt sechs Akteure vom FC Bayern München und Borussia Dortmund in der Startelf der Deutschen. Die Altstars Manuel Neuer, Toni Kroos und Marco Reus aber ausgeklammert, kamen die weiteren acht Feldspieler wie Matthias Ginter, Jonathan Tah, Niklas Süle oder Timo Werner auf insgesamt nur 127 Partien an Erfahrung in der Champions League. Das sah bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien noch ganz anders aus. Doch seitdem hat sich einiges verändert. Als sich der FC Bayern München und Borussia Dortmund im Champions-League-Finale 2013 duellierten, standen insgesamt zwölf deutsche Akteure zum Start auf dem Spielfeld. Die Münchner boten mit Philipp Lahm, Thomas Müller und Bastian Schweinsteiger sogar drei Eigengewächse auf, der BVB holte sich in den Jahren zuvor noch ungeschliffene Rohdiamten wie Marco Reus, Sven Bender oder Mats Hummels und brachte sie in Person von Trainer Jürgen Klopp auf das nächste Level.

Mangel an deutschen Talenten

Das Vertrauen in die deutschen Talente ist aber offenbar in den vergangenen Jahren gesunken – gerade bei den deutschen Vorzeigeklubs FC Bayern und Borussia Dortmund. Joshua Zirkzee und Sarpreet Singh holte der FC Bayern aus dem Ausland, das aktuelle Dortmunder Toptalent Giovanni Reyna ist US-Amerikaner. Aus den Jugendabteilungen kommen kaum noch hochbegabte Spieler hervor, der Blick richtet sich stattdessen nach Frankreich oder England. Würden sich der BVB und der FC Bayern mit ihren Startmannschaften vom 22. Spieltag der aktuellen Bundesligasaison gegenüberstehen, wären nur noch sieben Akteure mit deutschem Pass unterwegs – der jüngste von ihnen Serge Gnabry mit 24 Jahren. Statt Eigengewächse zu fördern, auf Toplevel zu bringen und dann für viel Geld zu verkaufen, muss zunächst viel Geld ausgegeben und gehofft werden, dass diese Investitionen Früchte tragen.

Internationale Erfahrung fehlt

Bundestrainer Joachim Löw dürfte mit sorgenvoller Miene darauf blicken, wie ausländische Talente a la Jadon Sancho, Erling Haaland, Alphonso Davies oder Achraf Hakimi somit auch für ihre jeweiligen Nationalmannschaften gefördert und geformt werden. Durch die fehlende Talentförderung ergeben sich für Löw aber nicht nur Probleme bei der Personalauswahl – auch die aktuell besten deutschen Spieler wirken teilweise für die Kategorien Weltklasse und „Titelhamster“ noch nicht ausgereift. Den jetzigen deutschen Feldspielern aus Dortmund und München fehlt vor allem die internationale Erfahrung. Hatten Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger, die 2014 noch Gesichter des WM-Titels in Brasilien waren, zu diesem Zeitpunkt schon über 200 Länderspiele und rund 160 Champions-League-Partien im Gepäck, sucht man diese Erfahrung inzwischen vergeblich. Leon Goretzka (14 CL-Spiele/25 A-Länderspiele), Serge Gnabry (15/13), Julian Brandt (27/31), Nico Schulz (11/10) oder Niklas Süle (17/24) – allesamt Hoffnungsträger und meist Stammspieler der deutschen Nationalmannschaft auf ihren jeweiligen Positionen – kommen insgesamt auf 84 Königsklassenpartien und 103 A-Länderspiele. Wuchsen Lahm oder Schweinsteiger in den K.o.-Spielen erst so richtig über sich hinaus, stand das aufgeführte Quintett Goretzka/Gnabry/Brandt/Schulz/Süle erst in insgesamt 17 solcher Duelle auf dem Feld.

Kaum Titelgewinne

Auch die berühmte und viel geforderte Titel-DNA ist bei den Spielern der aktuellen Generation noch kaum zu finden. Schweinsteiger hatte bis zum Erfolg 2014 bereits 17, Lahm auch schon deren 13 Titel mit dem FC Bayern gewonnen. Sie waren Titelhamster und krönten mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft ihre grandiosen Karrieren. Als Kontrast sei wieder das Qunitett aus Goretzka, Gnabry, Brandt, Schulz und Süle aufgeführt: Sie kommen bringen es zusammengerechnet auf insgesamt sieben nationale Meisterschaften und Pokalsiege. Das verdient Anerkennung, hat aber noch nichts mit international gereiften Führungsspielern zu tun. Natürlich stehen Löw mit Manuel Neuer, Marco Reus oder Joshua Kimmich routinierte Akteure zur Verfügung. Insgesamt aber stellen Borussia Dortmund und der FC Bayern verhältnismäßig wenige Spieler mit internationaler Erfahrung sowie nationalen und internationalen Erfolgen Joachim Löw zur Verfügung. Es ist in jedem Fall kein Vergleich zu den großen Jahren zwischen 2012 und 2016. Nominell stellten die Münchner und Dortmunder zwar im Länderspiel von Deutschland gegen die Niederlande zuletzt sechs Akteure – beim WM-Finale 2014 waren es sieben Spieler. Zahlenmäßig ist das kein großer Unterschied, doch es war 2014 eine ganz andere Qualität, auf die Löw zurückgreifen konnte.

Das 2014er-Dilemma

Der Umbruch nach der verkorkst verlaufenden WM 2018 in Russland gestaltet sich auch deshalb so schwierig, weil dem deutschen Team genau diese Spielerqualität fehlt. Jerome Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller wurden 2019 aussortiert, da sie ihr Leistungsniveau von 2014 nicht mehr erreichen konnten. Das Problem: Es gibt nahezu keine Nachfolger, die ein vergleichbares Niveau an Qualität, Erfahrung und Erfolgen wie die Spieler des DFB-Teams von 2014 besitzen. Nicht umsonst schwankt in den Diskussionen ganz Fußball-Deutschland hin und her, ob Löw nicht doch noch einmal zurückrudern sollte und Spieler wie Müller und Hummels eine neue Chance verdient haben. Die „alten Recken“ sind nicht mehr so gut wie 2014 – die neuen Talente brauchen noch Zeit, um die Spieler der 2014er-Generation zu beerben.

EM-Titel 2020 als Ziel

Der FC Bayern und Borussia Dortmund waren die Wegbereiter des deutschen WM-Titels 2014, davon kann nun eigentlich keine Rede mehr sein mit Blick auf die EM 2020. Beim BVB jubeln die Fans besonders Erling Haaland (Norwegen) und Giovanni Reyna (USA) zu, in München kommt Jann-Fiete Arp – der beim 2001er-Jahrgang als die Sturmhoffnung galt – kaum mal in der zweiten Mannschaft zum Einsatz. Legionäre und Routiniers führen die Teams in Dortmund und München an – für Löw gibt es wenig Auswahl. Immerhin hat die Borussia noch Nationalspieler Emre Can zurück nach Deutschland geholt. Allerdings: Wäre dieser nicht bei Juventus Turin aussortiert worden, dann hätte er diesen Schritt zum BVB wohl nicht gewählt. So bleibt es zwar dabei, dass Bayern und Dortmund um Titel kämpfen, Joachim Löw aber für seine Titeljagd mit der Nationalmannschaft auf ein deutlich schwächeres Spielermaterial zurückgreifen muss als in den vergangenen Jahren.

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