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·29. Juni 2025
Wer ist Joel Chima Fujita? – Ein Spielerprofil

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·29. Juni 2025
Mit Joel Chima Fujita hat der FC St. Pauli einen Sechser verpflichtet, der aufgrund seiner außerordentlichen Qualitäten direkt in die Startelf drängt.(Foto: FC St. Pauli)
Timing-technisch sind die letzten Transfers des FC St. Pauli für den MillernTon wirklich unglücklich verlaufen. Eine (logischerweise) lange geplante Hochzeit, ein ebenso lange geplanter mehrwöchiger Kanada-Urlaub, weitere familiäre Verpflichtungen an den Wochenenden der Sommerpause – aber die Begleitung eines Erstligisten ist eben kein Angelausflug. Da müssen wir durch und für Euch dauert es dann eben auch mal zwei-drei Tage länger, bis das Profil fertig ist.
Nun ist es aber soweit und in diesem Fall ist es vielleicht auch ganz gut gewesen, dass ein Wochenende zwischen Transfer-Verkündung und Erstellung des Profils von Joel Chima Fujita gelegen hat. Denn sonst wäre das womöglich (zu) euphorisch geworden. Denn Fujita, so viel kann ich vorwegnehmen, ist ein klarer Startelfspieler und dürfte dem FC St. Pauli etwas geben, was dem Team auf seiner Position bisher gefehlt hat.
Joel Chima Fujita (zur Aussprache des Namens empfehlen wir sein Vorstellungsvideo) wurde am 16. Februar 2002 in Tokyo geboren. Als Sohn einer Japanerin und eines Nigerianers begann er im Alter von sechs Jahren bei Machida Okura FC mit Fußballspielen, ehe er mit zwölf Jahren zum Traditionsverein Tokyo Verdy wechselte.
Bereits mit 17 Jahren feierte er sein Debüt im Profikader (damals noch in der J2-League, der 2. Liga Japans) und nahm mit Japan an der U17-WM in Brasilien teil, wo man nach dem Gruppensieg in der Vorrunde im Achtelfinale an Mexiko scheiterte. Fujita stand in allen Partien in der Startelf.
Die Saison 2020 (nach nur einem Spieltag für etwa vier Monate aufgrund der Pandemie unterbrochen) bedeutete bereits seinen Durchbruch im Herrenbereich: Er stand bei den 42 Spielen von Tokyo Verdy (J2) in 34 Spielen in der Startelf und kam insgesamt auf 41 Einsätze. Eine umso bemerkenswertere Quote, wenn man die häufig auftretenden Anpassungsprobleme (insbesondere auch muskulär) von Jugendspielern nach dem Wechsel in den Herrenbereich bedenkt. Auch drei Tore und vier Vorlagen sind für die erste richtige Profisaison nicht so schlecht. Für einen defensiven Mittelfeldspieler sind zudem nur zwei Gelbe Karten eine bemerkenswerte Quote bei über 3000 Spielminuten.
Zur Saison 2021 wechselte Joel Chima Fujita in die J-League zu Tokushima Vortis. Dort kam er auf immerhin 31 Einsätze, 16 davon in der Startelf. Auch hier bestritt Fujita den überwiegenden Teil der Spiele im defensiven Mittelfeld.Saison 2022, erneut ein Wechsel – erneut in ein deutlich höheres Regal. Vom 17. der Vorsaison ging es zu den Yokohama Marinos. Moment… da war doch was? Ja, genau, er hatte hier die Ehre und das Vergnügen, im gleichen Kader wie Ryō Miyaichi zu stehen! (Ryō spielt übrigens immer noch dort.) Auf 29 Einsätze kam er und gewann die japanische Meisterschaft – außerdem feierte er sein Debüt in der asiatischen Champions League und der U23 Japans. Nicht so schlecht für einen 20-Jährigen. Sogar zwei A-Länderspiele konnte er 2022 notieren.
Nächste Saison zusammen für den FC St. Pauli am Ball:
Connor Metcalfe und Joel Chima Fujita beim WM-Qualifikationsspiel zwischen Australien und Japan im Mai 2025.
// (c) Paul Kane/Getty Images via OneFootball
Bevor er weitere Titel in Japan hätte sammeln können, wechselte er im Sommer 2023 nach Belgien, zu Sint-Truiden VV. 27 Pflichtspiele bestritt er in seiner ersten Saison in Europa – doch das wahre Highlight wartete am Saisonende, als er Japans U23 als Kapitän bei den Olympischen Spielen in Paris auf das Feld führen durfte. Nach drei Siegen in den Gruppenspielen kam im Viertelfinale das Aus gegen Spanien.
Womit wir in der Gegenwart angekommen wären, der Saison 2024/25. Nach den Olympischen Spielen verpasste er in der belgischen Liga nur noch ein Spiel aufgrund einer Gelbsperre und stand bei allen(!) anderen Partien in der Startelf. Der Blick auf die bisherige Karriere zeigte also: Verletzungsanfälligkeit ist bisher ein Fremdwort für Fujita – das darf nun gerne so bleiben. Außerdem durfte er (erstmals nach den zwei Länderspielen 2022) im Mai 2025 wieder für die japanische A-Nationalmannschaft spielen, bestritt das WM-Quali-Spiel gegen Australien und traf dort auf Connor Metcalfe.
Die 1,75m Körpergröße mögen nicht sonderlich imponierend sein, aber wenn ich Joel Chima Fujita mit drei Adjektiven beschreiben müsste, dann wäre eines davon „hart“. Fujita ist ein Sechser, der kompromisslos gegen den Ball agiert. Zweikämpfe werden sehr körperlich und mutig geführt, gerne auch an der Grenze der Legalität. Das Adjektiv „klug“ verdient er sich, weil er in seiner Entscheidungsfindung auffällig ist. Sowohl die taktische Positionierung ist gut, er erkennt Räume defensiv wie offensiv zuverlässig, aber auch die Entscheidung, wann er in einen Zweikampf gehen sollte und wann eher nicht, ist zumeist richtig. „Mutig“, das dritte Adjektiv, ist er in der Art der Verteidigung, die Alexander Blessin gut gefallen dürfte, weil er oft und gerne aus seiner Position heraus den Gegenspieler hart attackiert, also vorwärts verteidigt. Mutig ist auch das, was auf Ballgewinne folgt: Fujita spielt extrem viele vertikale Pässe. Seine größte Stärke ist aber die Arbeit gegen den Ball, wie auch der Blick in die Statistiken zeigt:
Kern-Statistiken von Joel Chima Fujita der Saison 24/25, dargestellt als Perzentile im Vergleich zu allen zentralen Mittelfeldspieler der Jupiler League in Belgien. (Erklärung: Die Länge des dunkel gefärbten Teils des Pizzastücks zeigt, wie viele Prozent der anderen Spieler auf dieser Position schlechtere Werte oder oder maximal den gleichen Wert haben. Komplett dunkel heißt: Keiner ist besser. Zudem sind die Absolutwerte in Zahlen angegeben.)
Nur ein einziger zentraler Mittelfeldspieler der belgischen Jupiler League hat in der letzten Saison mehr erfolgreiche Defensivaktionen pro Spiel gehabt als Joel Chima Fujita. Dieser gute Wert setzt sich aus einer überdurchschnittlich erfolgreichen Zweikampfquote, einer (für 1,75m bemerkenswerten) Kopfballquote und vor allem vielen abgefangenen Pässen zusammen. Gerade Letzteres ist oft ein Ausdruck einer mutigen und klugen Spielweise, weil es zeigt, dass Spieler gegnerische Pässe gut antizipieren können und auch den Mut haben, das Risiko einzugehen, die Pässe abzufangen.
Mit dem Ball agiert der sehr laufstarke Fujita zwar oft ebenfalls mutig, spielt oft vertikal (deshalb auch viele lange Pässe). Aber das zeigt sich nicht in den Statistiken. Denn die Vertikalität zeigt Fujita zumeist direkt nach Ballgewinnen, also in Umschaltmomenten. Hier ist er besonders stark, weil er nicht nur viele Bälle gewinnt, sondern auch sehr dynamisch in seinen Bewegungen auf den ersten Metern sein kann. In ruhigeren Ballbesitzphasen ist er viel ins Kurzpassspiel eingebunden, dort spielt er weit weniger oft vertikal. Die Zahlen zeigen aber auf jeden Fall, dass er überdurchschnittlich oft Pässe nach vorne spielt, diese aber (aufgrund des Risikos der Pässe) eher unterdurchschnittlich oft beim Mitspieler ankommen. Das würde ich auch tatsächlich als den Bereich benennen, in dem sich Fujita verbessern muss, um noch mehr Impact auf ein Spiel zu haben.
Was Joel Chima Fujita kann, so zumindest mein visueller Eindruck, aber (zu) dosiert einsetzt, ist sein Verhalten in der Offensive. Hier zeigen die Zahlen klar an, dass er nur sehr selten in Torraumnähe auftaucht und entsprechend auch wenig Torgefahr durch Abschlüsse und Pässe erzeugt. Das hängt oft aber eher mit seiner Positionierung zusammen, weniger damit, dass er das nicht kann. Die meisten seiner Abschlüsse hatte er vergangene Saison von außerhalb des Strafraums, er ist kein Spieler, der oft mit Druck in die gegnerische Box vorrückt. Aber wenn er sich einschaltet ins Offensivspiel, dann findet er auch Lösungen. Fujita kann sich auch im letzten Drittel gut in den Räumen bewegen, dürfte auch auf engem Raum eine Hilfe für viele Bundesligisten sein.
Das Global Soccer Network bezeichnet Joel Chima Fujita als „Prototyp des modernen Balleroberers“ und ich finde, dass das eine sehr passende Beschreibung ist, weil es seine größte Stärke ausdrückt. Fujita ist gegen den Ball vor allem dank guter Antizipation sehr hilfreich, so GSN: Er attackiert die ballführenden Gegenspieler aggressiv, erkennt gegnerische Passwege früh und hat zeitgleich ein gutes Gefühl für die Positionierung in der Defensive. Im Passpiel wird er als „schnörkellos“ beschrieben, aber auch als jemand, der besonders nach Ballgewinnen „sofort den vertikalen Pass“ spiele.
Als Entwicklungsfelder von Joel Chima Fujita hat das Global Soccer Network seinen ersten Kontakt identifiziert. Besonders unter Gegnerdruck ist dieser nicht immer sauber, auch sind seine Pässe dann nicht immer präzise genug. Zudem ist er offensiv eher selten präsent und kein, was für seine Position sehr hilfreich wäre, lautstarker Leader und auch niemand, der im zentralen Mittelfeld den Rhythmus der eigenen Offensive bestimmt (ob er das grundsätzlich kann, ist auch nicht ganz klar). Sollte er sich in diesen Bereichen noch verbessern können, so sieht das Global Soccer Network die Möglichkeit, dass Fujita als Spieler in der internationalen Klasse zu verorten ist (möglicher GSN-Index: 70,9). Aktuell liegt sein GSN-Index bereits bei 64,6 (solider Bundesligaspieler).
Zwar sind Zweifel an den umherschwirrenden Zahlen zur Ablösesumme angebracht, die der FC St. Pauli für die Dienste von Joel Chima Fujita an Sint-Truiden gezahlt haben soll (und ggf. noch könnte). Trotzdem ist das Wort „Königstransfer“ im Zusammenhang mit dieser Verpflichtung absolut angebracht. Und ich lehne mich hier aus dem Fenster, aber bin davon auch überzeugt: Fujita ist ein Spieler, der den FCSP besser machen wird. Sofort. Grund hierfür ist seine überragende Arbeit gegen den Ball, zusammen mit dem mutigen Spiel nach vorne. Er ist technisch nicht überragend, aber auf jeden Fall im oberen Bereich des FCSP-Kaders einzuordnen, zudem ist seine Spielintelligenz herausragend. Er vereint damit Eigenschaften, die andere Spieler auf seiner Position eher vereinzelt mitbringen.
Nun ist Euphorie ein schlechter Ratgeber, wenn ein Neuzugang objektiv bewertet werden soll. Zumal der liga-übergreifende Vergleich auch immer schwierig ist und es nicht ganz klar ist, wie gut ein Spieler in einer anderen Liga zurechtkommt. Aber Joel Chima Fujita dürfte dem FC St. Pauli besonders für das Umschaltspiel Qualitäten bringen, die auf der Position im zentralen Mittelfeld bisher gefehlt hat. Das aber nicht mit dem Nachteil, dass der FCSP auf andere Fähigkeiten verzichten muss. Ich habe nur wenige Spieler gesehen, die sich so klug im Raum vor der eigenen Kette bewegen und dann noch körperlich so agieren können. Fujita gibt seinen Teams damit viel Stabilität und sorgt gleichzeitig für Dynamik nach den Ballgewinnen. Diese Kombination ist total interessant und vielversprechend. Sollte er im Offensivbereich noch zulegen können, besonders bei der Genauigkeit seiner Zuspiele nach Ballgewinnen, dann ist der Weg nach oben offen.
Genau der Ausblick auf die Startelf dürfte auch einer der Gründe sein, warum Joel Chima Fujita zum FC St. Pauli gewechselt ist. Er möchte sicher kommenden Sommer mit Japan zur Weltmeisterschaft fahren. Dazu benötigt er Spielzeit (die er womöglich in Stuttgart nicht bekommen hätte), die er bestenfalls in einer Top5-Liga sammelt (und nicht in der Türkei). Dass der FCSP dem Vernehmen nach andere Clubs ausstechen konnte, bedeutet im Umkehrschluss: Fujita ist nicht zum FC St. Pauli gekommen, um erst einmal in zweiter Reihe zu lernen. James Sands, Eric Smith und (auch wenn er noch länger verletzt ist) Jackson Irvine haben also in Person Fujita ernsthafte Konkurrenz auf ihrer Position bekommen. So starke Konkurrenz, dass man sich im Herbst vielleicht nicht mehr fragt, wer neben Smith, Sands oder Irvine spielt, sondern wer neben Fujita spielen wird.
Herzlich willkommen am Millerntor, Joel Chima Fujita!// Tim
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