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·27. Januar 2022

Weniger Diamantenfieber, mehr SOKO Soforthilfe

Artikelbild:Weniger Diamantenfieber, mehr SOKO Soforthilfe

Die Transferstrategie von Sven Mislintat wird gerne verkürzt dargestellt mit: jung, talentiert, französisch-sprechend, notfalls japanisch. Das ist natürlich weniger als die halbe Wahrheit, denn der Sport-Direktor holte auch Spieler wie zum Beispiel Pascal Stenzel, Florian Müller, Hamadi Al Ghaddoui, Fabian Bredlow, Waldemar Anton, Atakan Karazor, Philipp Klement und Philipp Förster. Aber es ist schon richtig: Vieler seiner Transfers sind Wetten auf die Zukunft, auf dass sich die Spieler weiter entwickeln und im besten Fall Transfererlöse erzielen.

Mislintat stellt dieses Vorgehen gerne als alternativlos dar und erklärt dies mit der finanziellen Situation des VfB. Diese finanzielle Situation erlaubt es aber offensichtlich, für sechs Millionen Wahid Faghir und Enzo Millot zu verpflichten, die dem VfB eher langfristig helfen können als eine wichtige Rolle in der derzeitigen Situation zu spielen. Das ist an sich kein Problem, schließlich sollte man den jungen Spielern Zeit für deren Entwicklung einräumen, wie beispielsweise auch Ömer Beyaz oder Naouirou Ahamada. Aber diese Zeit hat der VfB aktuell nicht. Der Klassenerhalt muss nicht irgendwann geschafft werden, sondern allerspätestens bis zum 14. Mai 2022. Was nützt es da, wenn die genannten Spieler in 2023 abgehen wie Schmidts Katze, womöglich bei einem anderen Verein, während der VfB in der zweiten Liga spielt?


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Der VfB benötigt jetzt Spieler, bei denen der Trainer weiß, was er auf dem Feld bekommt. Wie Marc-Oliver Kempf. Einer, der nicht immer überragend spielt, gerne auch mal (Stellungs- und technische) Fehler einstreut, der sich aber immer reingehauen hat und der in der Regel (gehobenes) Bundesliga-Niveau anbietet. Kempf geht nun nach Berlin, zu einem direkten Konkurrenten, wohl nicht unbedingt der smarteste Move von Mislintat. Sicher, er entspannt ein wenig die Finanzen und Kempf soll nicht immer einfach gewesen sein (zum Beispiel auch in der Frage von Gehaltskürzungen aufgrund von Corona), aber es geht ein gestandener Bundesligaspieler. Bei einer Dreierkette heißen nun die Kandidaten Hiroki Ito und Clinton Mola, bei einer Vierkerkette (die zuletzt heiß diskutiert wurde) sieht es kaum anders aus.

Wie sieht denn generell die Transferbilanz von Mislintat aus? Verloren hat der VfB Gregor Kobel, Nicolas Gonzalez, Gonzalo Castro, Marcin Kaminski und jetzt eben Kempf, ebenso Klement und Ali G. (die zusammen übrigens 6 Tore erzielt haben). Schauen wir uns einmal die Neuzugänge der Saison 2021/2022 an (Bildergalerie dazu denken).

Bewertungen: + Verbesserung gegenüber der letzten Saison – Verschlechterung gegenüber der letzten Saison (mit einbezogen auch Vertragsverlängerungen und erneute Leihen)

Florian Müller ( – ) Sympathisch, solide, mit einer Vorliebe zum Fausten und mit Schwächen bei langen Bällen. Punkte hat er noch keine festgehalten. Ein Kobel in der Form der letzten Saison ist dagegen ein ganz anderes Kaliber.

Dinos Mavropanos ( + ) Definitiv die bessere Version seines Vorgängers aus dem letzten Jahr. Mavropanos hat einen deutlichen Entwicklungsschritt gemacht und kann an guten Tagen ein Entscheidungsspieler sein.

Hiroki Ito ( + ) Bis jetzt der Spieler und die Überraschung der Saison. Ungerührt spielt er seinen japanischen Stiefel runter. Hatte Kempf zuetzt auch sportlich überholt.

Ömer Beyaz (ohne Wertung) Bekam viele Vorschusslorbeeren in der Saisonvorbereitung, braucht aber definitiv noch Zeit (was man ihm in seinem Alter zugestehen sollte). Kann er ein Faktor im Abstiegskampf sein?

Enzo Millot (ohne Wertung) Wahrscheinlich einer, der sich zusammen mit Li Egloff, Ahamada und Beyaz die Einsatzzeiten von Gonzo Castro teilen sollte. Das hat bei ihm – bedingt auch durch diverse Blessuren – so noch überhaupt nicht geklappt.

Chris Führich ( – ) Viele tolle Ansätze, aber zu wenig Vollgas-Einsätze. Dennoch ist unübersehbar, welches Potential Führich hat. Aber: Auch verletzungsbedingt (Schlüsselbeinbruch, Sprungelenksverletzung und Corona-Infektion)  überhaupt (noch) kein Ersatz von Nicolas Gonzalez.

Daniel Didavi ( – ) Es kommt bei ihm vieles zusammen, dass man mit ihm in dieser Saison überhaupt nicht rechnen kann.

Wahid Faghir (ohne Wertung) Bisher 6 Millionen für einen magischen Moment gegen Union. Fitness- und Anpassungsprobleme. Der Prototyp eines Mislintat-Transfers: Ein Spieler, der in der Zukunft helfen wird. Aber leider im hier und heute noch nicht performt.

Omar Marmoush ( + ) Die Soforthilfe war sofort online, lange Zeit der einzige torgefährliche Akteur – außer Kempf und Mavropanos. Könnte mit Sasa Kalajdzic eine ähnliche Rolle wie einst Cacau im Zusammenspiel mit Mario Gomez einnehmen. Steht jetzt allerdings mit Ägypten im Viertelfinale des Afrika-Cups.

Mein Fazit: Sven Milsintat spielt mir zu sehr Casino Royale. Lieber weniger Diamantenfieber, mehr SOKO Soforthilfe. Es geht dabei nicht um Erfahrung und Alter, das ist völlig zweitrangig und eine oberflächliche Diskussion, Ü18 oder Ü25 oder Ü30, das ist ü-berhaupt nicht wichtig, sondern die Frage: Kann der Spieler zeitnah einen Mehrwert auf dem Spielfeld darstellen?

Mehr Marmoush (22 Jahre übrigens) und weniger Waghir wären also gut gewesen, was ich nur retrospektiv so locker sagen kann. Mislintat sollte dennoch mehr Gegenwart wagen, ohne die Zukunft aus dem Blick zu verlieren. Ebenso wichtig ist auch die Frage: Welche (notwendigen) Transfers hat Mislintat nicht gemacht? Logisch, rufen alle: Die Verlängerung mit Castro, mit dem wir mindestens zehn Punkte mehr hätten, aber die Umstände der Vertragsgespräche waren ein bisschen dubios. Und sonst? Das lässt sich heute leicht sagen: Es war eine Fehleinschätzung, den Ausfall von Silas intern kompensieren zu wollen. Tanguy Coulibaly stagniert, Roberto Massimo hat sich entwickelt, keine Frage, aber man muss auch schauen, von welchem Niveau er kommt.

Mislintat ist gut darin, seine Strategie zu verkaufen, die er unabhängig vom sportlichen Erfolg umsetzen will. Da frage ich mich: Ist es eine gute Strategie, wenn der sportliche Erfolg ausbleibt? Er führt an, jetzt könnten die Spieler wachsen, nun sei der Moment gekommen, in dem Führungsfiguren geboren werden. Ganz so, als ob so ein Platz 17 dem VfB durchaus gut tun würde. Ich kann für mich sprechen: meinen Nerven tut es nicht gut.

Nach den Abgängen ist ein bisschen Budget frei geworden, Mislintat meint, „wenn, dann verstärken wir uns noch in der Offensive“, was angesichts der schmalen Besetzung in der Abwehr erstaunt (s. o., auch für schmales Geld geht da was, siehe Köln). Hoffentlich ist es dann aber eine Verstärkung (oder gar mehrere?) für die Rückrunde und nicht für die nächste oder übernächste Saison wie z.B. ein 19-jähriger irischer Nationalspieler mit nigerianischen Wurzeln, der in der zweiten englischen Liga spielt.

Zum Weiterlesen: “Gimme hope, VfB“ mit sehr interessanten Diskussionen in den Kommentaren.

Zum Weiterhören: Einfach Fußball: Der WDR-Kommentator Sven Pistor im Gespräch mit Gonzalo Castro. In seinem Podcast sprach Pistor auch schon mit Thomas Hitzlsperger.

Noch ein Hörtipp: Pistor hat mit seinem Hörfunk-Kollegen Burkhard Hupe einen herausragenden Podcast namens „Jogo Bonito“. In der ersten Folge geht es unter anderem um VfB-Legende Robert Schlienz.

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