Warum dominiert Spanien im Frauenfußball? Nachwuchs, Barcelona und ein Brief | OneFootball

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·8. April 2024

Warum dominiert Spanien im Frauenfußball? Nachwuchs, Barcelona und ein Brief

Artikelbild:Warum dominiert Spanien im Frauenfußball? Nachwuchs, Barcelona und ein Brief

Das Jubeln ist zur Routine geworden. Ein leichtes Lächeln, Abklatschen, weiter geht's. War doch nicht schwer, oder? Das ist inzwischen ein gewohntes Bild beim spanischen Nationalteam, zuletzt zu sehen beim Kantersieg gegen Belgien in der Nations League. Belgien war nur das jüngste Opfer der Spanierinnen, die den Frauenfußball in jüngster Zeit dominieren. WM-Titel, Nations-League-Sieg, Favoritinnen bei Olympia 2024: Wer soll sie stoppen?

Geschichte: Spanien lange kein "Powerhouse"

Fast schon natürlich scheint die Dominanz, mit den vielen Siegen ist auch ein neues Selbstverständnis einhergegangen. Da vergisst man schnell, dass das Jubeln vor nicht allzu langer Zeit alles andere als natürlich für Spanien war. Vor acht Jahren standen viele bekannte Spielerinnen bereits in der Startelf: Panos, Ouahabi, Paredes, Alexia Putellas und Jenni Hermoso etwa.


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Sie alle standen im Kader der Freundschaftsspiele im März 2016. Die Resultate: Ein Unentschieden gegen Rumänien, eins gegen Schottland. Wie konnte das Land binnen kurzer Zeit von einem Neuling im Frauenfußball zur Nummer Eins werden? Traditionell dominierten die USA, Deutschland, dazu noch Norwegen und Schweden, im Frauenfußball.

Spanien war lange ein weißer Fleck. Erst 2015 qualifizierten sie sich für ihre erste WM. Steile Lernkurve: Zunächst in der Vorrunde herausgeflogen, 2019 das Achtelfinale, 2023 der Titel. Die allererste Trophäe, den Algarve-Cup, holte La Roja erst 2017.

Der Wendepunkt: Ein Brief nach der WM 2015

Es scheint einen offensichtlichen Bruch zu geben. Der Moment, in dem sich vieles veränderte, ist laut vielen Spielerinnen und Experten die WM 2015. Was für die Spielerinnen eine Chance sein sollte, sich auf der internationalen Bühne zu zeigen, wurde zum totalen Fiasko. Spanien reiste nur zwei Tage vor der WM an, und hatte zuvor zwei Monate kein Spiel bestritten. Mit nur einem Punkt in der Vorrunde schied Spanien krachend aus.

Danach wäre wohl alles weitergegangen wie zuvor - wenn die Spielerinnen sich nicht in einem offenen Brief an den Verband gewendet hätten. Der Tenor: Wir machen seit Jahren viel zu wenig aus unseren Möglichkeiten, haben schlechte Spielbedingungen, einen inkompetenten Trainer, hatten wegen der mangelnden Vorbereitung nicht den Hauch einer Chance.

Mit dem Brief wurden mindestens angestaubte Strukturen aufgebrochen - Trainer Ignacio Quereda, dem später auch Sexismus und Homophobie vorgeworfen wurden, war bereits seit 1988 (!), seit 27 Jahren, im Amt gewesen. Trotz der mangelnden Erfolge sah der Verband keine Notwendigkeit, ihn zu entlassen. Oder wenigstens für einen angemessen großen Trainerstab, vernünftige Plätze und Professionalität zu sorgen.

"Alles hat sich damit verändert", sagte die Ex-Nationalspielerin Vero Boquete, eine der lautesten Kritikerinnen, gegenüber GOAL: "Ein neuer Trainer, ein neuer Sportdirektor, bessere Bedingungen bei den Flügen und der Vorbereitung, bessere Kenntnisse. Es war ein bisschen von allem, aber es war eine große Veränderung."

Nachwuchs: Spanien dominiert alles

Perfekt wurde nicht direkt alles, aber es spross ein zwartes Pflänzchen der Erkenntnis: Vielleicht liegt ja doch nicht alles an den Spielerinnen, vielleicht ist nicht alles Geldverschwendung, vielleicht - welch irrsinniger Gedanke - lag es auch einfach an der jahrelangen Vernachlässigung. Wie fruchtbar der Boden für Frauenfußball in Spanien eigentlich war, zeigte sich schon schnell danach: Bei der WM 2019 hatte Spanien noch Pech, gegen die USA antreten zu müssen, aber schlug sich respektabel.

Vier Jahre später war die große Stunde gekommen. Wie breit der Talentpool in Spanien ist, zeigt sich auch daran, dass die Elf auch nach dem Rücktritt von 15 der besten Spielerinnen mehr als konkurrenzfähig blieb. Und daran, dass nicht nur das A-Nationalteam dominiert: Spanien ist aktuell in allen drei Altersklassen - U17, U21 und Erwachsene - Weltmeister. Die nächsten Talente wie Barcelonas Vicky Lopez, die mit 17 schon einige Einsätze sammeln konnte, stehen in den Startlöchern.

Für die gute Nachwuchsarbeit ist Spanien auch bei den Männern bekannt: Das Netz für die Talentförderung ist sehr engmaschig, wie U17-Coach Kenio Gonzalo der Hindustan Times sagte. "Wir haben in Spanien sehr starke regionale Wettbewerbe eingeführt, in denen wir junge Talente ausfindig machen und sie in unser nationales System einbinden", erklärt er. Auch die technische Ausbildung spielt eine Rolle: Während in Deutschland mit der Reform des Nachwuchsfußballs erst jetzt mit kleineren Spielfeldern experimentiert wird, ist das in Spanien schon lange Usus.

Das sorgt für eine schnellere Reaktionsfähigkeit und saubere Ballannahmen - was sich auch auf dem höchsten Niveau zeigt. Aktuell ist es auch bei den Top-Nationalteams nicht selbstverständlich, sich souverän unter Druck befreien zu können und sich auf engem Raum durchzusetzen. Genau das macht Spanien, ob bei den Nachwuchsteams oder ganz oben, aus - und da diese Ballsicherheit und Technik im Frauenfußball noch nicht selbstverständlich sind, profitieren sie mehr als bei den Männern von dieser Grundausbildung.

Spanien profitiert auch von Barcelonas Erfolg

Seit drei Jahren können auch Mädchen in Barcelonas berühmter Fußballakademie La Masia das Handwerk ihres Sports lernen - ein ebenso symbolischer wie wichtiger Schritt. Barcelona ist nicht nur in der Nachwuchsarbeit, sondern auch durch die jüngsten Erfolge, ein wichtiger Faktor für Spaniens Siegeszugs.

Die Geschichte vom Frauenfußball bei Barcelona liest sich fast parallel zu der vom Nationalteam in Spanien: Lange schlechte Bedingungen, bei Barça waren Trainingseinheiten auf dem Parkplatz noch 2013 gang und gäbe. Weltfußballerin Aitana Bonmatí war schon drauf und dran, den Klub in Richtung amerikanisches College zu verlassen, als doch noch die Kursänderung kam. Ähnlich wie bei Spanien begann der Erfolg mit scheinbar kleinen Stellschrauben - besseren Plätzen, Trainings nicht mehr bloß abends -, die erstaunlich schnell zum Erfolg führten.

2021 siegte Barcelona das erste Mal in der Champions League, seitdem standen sie stets im Finale, haben die mit Abstand beste Spielanlage. Natürlich profitiert Spanien davon stark, denn das Grundgerüst um Mapi Leon, Patri Guijarro, Aitana und Alexia, ist bei beiden Teams gleich. Das große Problem vieler Nationalteams ist gerade, dass sie sich aufgrund der beschränkten Zeit zusammen schlecht einspielen können. Bei Spanien fällt das quasi weg, die Achse kennt die Laufwege und Ideen der anderen in- und auswendig, und die Spielerinnen bleiben Barcelona außergewöhnlich treu.

Barça hat auch geholfen, die guten Anlagen - starke Breite, die Talentförderung, bessere Bedingungen - in tatsächliche Erfolge, in mehr Aufmerksamkeit und dadurch noch mehr Professionalisierung, zu verwandeln. Die Zuschauerrekorde im Camp Nou, das Marketing, die sensationellen Verkaufszahlen von Alexia-Trikots - all das half, den Frauenfußball in Spanien trotz des Rückstands von etwa 15 Jahren sehr schnell in das öffentliche Bewusstsein zu katapultieren.

Dominanz trotz oder wegen des Verbands?

Mit den ersten Erfolgen schien sich eine fast unaufhaltbare Dynamik zu entwickeln, die Erfolge wurden zum Selbstläufer. Nicht nur wegen der Änderungen, die der Verband vornahm - sondern auch trotz ihm, denn 2015 hörten die Konflikte ja nicht auf. Das Festhalten an Jorge Vilda, die zögerliche Reaktion auf Luis Rubiales' Übergriff auf Jenni Hermoso: Die RFEF gab weiterhin kein gutes Bild ab.

Nach der WM 2023 folgten erneut tiefgreifende Veränderungen - wenn diese auch nur halb so erfolgreich sind wie die Maßnahmen nach der WM 2015, muss die Konkurrenz Schlimmes befürchten. Dass Spanien auf ewig dominiert, ist dagegen unwahrscheinlich: Wie eben der eigene Aufstieg beweist, können Teams aktuell noch sehr schnell in die Weltspitze aufsteigen. Spanien hatte dank der exzellenten technischen Ausbildung der Spielerinnen einen natürlichen Vorsprung. Aber so, wie sich das Niveau aktuell verbessert, könnte das schon bald kein Alleinstellungsmerkmal sein.

Der Verband wird wissen, dass Stagnieren aktuell quasi einen Rückschritt bedeutet, alle sind aktuell auf der Verfolgungsjagd auf Spanien. Die Olympischen Spiele könnten zeigen, ob es ihnen gelingt, sich ständig zu verbessern. Dabei helfen wird die Lektion, die Spaniens Aufstieg gezeigt hat: Letztendlich waren es die Spielerinnen, die mit ihrem Brief die 180-Grad-Wendung eingeleitet hatten - wenn die RFEF weiter auf ihre Impulse eingeht, könnte die Hochphase noch andauern. Und das Jubeln noch routinierter werden.

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