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Justus Pludra·5. Mai 2025
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Justus Pludra·5. Mai 2025
Sie sind selten geworden im modernen Fußball: Die viel beschworenen "Typen". Fußballer, die sagen, was sie denken, und sich von keinem taktischen Korsett einsperren lassen. Bevor sie von strengen Trainern aussortiert werden, hat die Boulevardpresse sie oft bei einem Skandälchen zu viel erwischt. Umso schöner eigentlich, dass Marko Arnautovic noch immer auf höchstem Niveau mitmischen darf.
Das hat viel damit zutun, dass das vermeintliche "Enfant terrible" längst geläutert ist. Schon vor Jahren schwor der unfreiwillige Hobby-Philosoph: "Ich habe halt immer das gemacht, was in meinem Kopf war, und das war natürlich der Fehler."
📸 Alex Grimm - 2011 Getty Images
Einen dieser geistigen Fehltritte leistet sich der damalige Jungprofi direkt an seinem ersten Tag bei Werder Bremen. Frisch von Inter Mailand verpflichtet, sucht sich der selbstbewusste Flügelstürmer seinen Kabinenplatz kurzerhand selber aus. Als ihn SVW-Kapitän Thorsten Frings darauf aufmerksam macht, dass er auch weiterhin gedenkt seinen Platz für sich zu beanspruchen, entgegnet ihm Arnautovic trotzig: "Habe ich die Champions League gewonnen oder du?"
Der Haken an der Frage: Zwar sackte der Österreicher kurz zuvor den Henkelpott mit den Nerazzurri ein. Gespielt hatte er in der Königsklasse aber keine einzige Sekunde. Ein denkbar schlechter Start, den der begnadete Techniker umgehend wieder wett machte. Bei seiner Startelfpremiere im Weserstadion traf er direkt doppelt und legte ein weiteres Tor auf. Während die Fans ihn ins Herz schlossen, trieb Arnautovic den personifizierten Ruhepol, Coach Thomas Schaaf, zunehmend in den Wahnsinn.
Am Ende seiner ersten Spielzeit suspendierte er seinen Schützling erstmals wegen einer unerlaubten Partynacht. Im Sommer 2012 drehte der damals 23-Jährige dann komplett frei. Bei einer Verkehrskontrolle fühlte sich der Nati-Star ungerecht behandelt und ließ den Polizisten wissen: "Du hast mir gar nichts zu sagen. Ich verdiene so viel, ich kann dein Leben kaufen. Wenn du mich anzeigst, dann wirst du schon sehen. Ich bin etwas Höheres als du!"
📸 Joern Pollex - 2010 Getty Images
Der Pöbler zeigte sich später reumütig, wollte dem Beamten VIP-Tickets für ein Spiel der österreichischen Nationalmannschaft schenken. Dort avancierte "Arnie" im Laufe der Jahre zum Rekordspieler. 126 Einsätze sind es bisher, auch unter dem aktuellen Übungsleiter Ralf Rangnick ist der 36-Jährige noch eine feste Größe.
Verrückte Zitate oder Eskapaden liefert Arnautovic kaum noch. Als seine erste Tochter auf die Welt kam, dämmerte dem Lebemann: "Wenn sie all das liest, was man über dich sagt, wird sie denken, dass ihr Vater verrückt ist." Medial ruhiger um ihn wird es zudem auch dadurch, dass er sich 2012 von Werder zu Stoke City transferieren ließ.
Mario Balotelli dachte da noch, dass sein Ex-Mitspieler richtig Action in die verschlafenen Midlands bringt. "Ich verspreche euch, dass Marko mich zum langweiligsten Typen der Welt machen wird. In einigen Monaten werdet ihr Journalisten euch fragen: 'Mario wer?"
Für Erstaunen sorgte sein früherer Party-Kumpane dann aber ausschließlich mit sportlichen Leistungen. Vier Jahre lang lieb Arnautovic ein "Töpfer", legte das Image des Bad Boy nach und nach ab. Mit seinen 54 Scorern in 145 Spielen half er dabei den heutigen Zweitligisten stets in der Premiere League zu halten. Negative Schlagzeilen rankten sich seitdem nur um ihn, wenn mit ihm der sportliche Ehrgeiz durchging.
📸 Alex Livesey - 2017 Getty Images
Wie im Juni 2021, als er nach eigenem Treffer seinem nordmazedonischen Gegenspieler Ezgjan Alioski zurief, er habe mit dessen Mutter den Beischlaf vollzogen. Seine Freude am Fußball und die Gier zu gewinnen, ist wohl auch der Hauptgrund weshalb die Eskapaden ihm nie das sportliche Genick brachen. Bei Fans, Mitspielern und Trainer baute er so immer wieder einen Kredit auf, den er nie vollständig verspielte. Erst vor wenigen Wochen lobte Simone Inzaghi, sein aktueller Trainer bei Inter: "Er atmet Fußball."
Genau deshalb macht es auch, nach wie vor, so viel Freude ihm bei der Arbeit zuzusehen. Sein unerschütterliches Selbstbewusstsein ("In meiner Altersklasse war ich immer der Beste. Mit Abstand.") lassen ihn die besonderen Dinge auf dem Feld versuchen. Die daraus resultierende Coolness und das seismographische Gefühl für Ball und Raum führen die Aktionen regelmäßig zum Erfolg. Marko Arnautovic ist einer dieser Spieler - so pathetisch das klingen mag - für die Stadiongänger Eintritt zahlen, Fernsehzuschauer einschalten und Vereine Ablösesummen hinblättern. Ein Unterschiedsspieler.
Über 70 Millionen Euro Transfererlöse wurden im Laufe seiner Karriere mit dem gebürtigen Wiener erzielt. Sportlich hat Arnautovic die Investitionen zumeist gerechtfertigt. Trotz fast 20 Jahren im Profifußball und Engagements bei sieben Klubs, lassen sich seine Spielzeiten mit weniger als zehn Scorern locker an einer Hand abzählen. Zu Beginn ein temporeicher Flügelstürmer, operiert er mittlerweile zumeist als Edelreservist in der Angriffsmitte. „Er ist immer noch schnell genug fürs Zentrum und hat alle Qualitäten, die ein Stürmer dort braucht“, attestierte während der EM 2024 auch ÖFB-Coach Rangnick.
Viel Zeit wird dem Routinier in der Kicker-Beletage trotzdem nicht mehr bleiben. Und auch wenn wir ihn gerne noch lange auf dem grünen Rasen sehen wollen, hoffen wir, dass er seine Prophezeiung nicht wahr macht: "Bis ich nicht tot bin, werde ich spielen."
📸 Marco Luzzani - 2025 Getty Images