
Textilvergehen
·8. August 2022
Unions Transfer-Strategie wird zum Meme, aber es steckt auch mehr dahinter

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·8. August 2022
Das Schöne an diesem Derbysieg gegen Hertha am ersten Spieltag ist die sehr unterschiedliche Schwerpunktsetzung danach in den Berliner Medien. Die Saison ist noch so jung, dass wirklich in jeder Personalie ein Versprechen für eine herausragende Saison steckt. Dabei wissen wir natürlich alle, dass bei noch weit über 30 Spielern auch viel Spielraum für Enttäuschungen im Kader sein wird. Aber bleiben wir bei lieber beim positiven Ausblick, den so ein Sieg am ersten Spieltag ermöglicht.
Jordan jubelt nach seinem Tor zum 1:0, Foto: Sebastian Räppold / Matthias Koch
Der Kicker vergleicht in seiner Montagsausgabe auf zwei Seiten den neuen Mittelstürmer Jordan mit Taiwo Awoniyi. Der Kicker ist allerdings der Kicker. Wer also plötzlich Angst vor überbordender Euphorie des Fachmagazins hat, kann sich wieder beruhigen. Wir lesen, dass Jordan eher auf Zuspiele angewiesen ist, während Awoniyi sich schon auch die Bälle selbst geholt hat. Über das exzellente Kopfballspiel des neuen Angreifers müssen wir nicht mehr viele Worte verlieren. 9 gewonnene Duelle in der Luft sind ein herausragender Wert.
Ich gebe uns noch zwei Wochen und dann sind die Vergleiche mit Awoniyi auch passé. Denn sie bringen uns ganz ehrlich nicht weiter. Denn der eine Stürmer ist weg und der andere nicht. Ich finde solche Vergleiche deshalb wenig konstruktiv. Interessant sind sie, wenn Spieler verglichen werden, die tatsächlich eine Option sind, um so die Wahloptionen des Trainers nachzuempfinden. So können wir nur sagen, dass Union sich mit der Verpflichtung von Jordan auch für eine Option auf eine etwas andere Spielweise entschieden hat.
Das bedeutet allerdings nicht, dass plötzlich alles anders ist. Das sieht auch Unions Kapitän Christopher Trimmel so, der dazu in der Berliner Zeitung wie folgt zitiert wird: „Jordan sichert die Bälle genauso gut wie Taiwo, in der Box ist er sehr direkt, sehr zielstrebig – von daher haben wir unser Spiel durch ihn nicht sehr verändert.“
Der Tagesspiegel legt den Fokus auf den Spieler, den der Kicker in seine Elf des Tages berufen hat und der im Derby mit 1 Tor und 1 Vorlage glänzte: Sheraldo Becker. Er zeichnet die Entwicklung des Spielers nach, der in der vergangenen Saison eine wirklich interessante Wandlung durchgemacht hat. Vom schlecht gelaunten Becker, der wegen mangelnder Einsatzzeiten öffentlich über den Abschied nachdenkt, bis hin zum unverzichtbaren Sheraldo in nie gesehener Top-Form nach dem Max-Kruse-Weggang.
Sheraldo Becker zeigt sich nicht nur als Vorlagengeber, sondern auch als Vollstrecker, Foto: Sebastian Räppold / Matthias Koch
Interessant dürfte sein, dass Becker laut Tagesspiegel bis 2025 an Union gebunden ist. Sollte er allerdings nur ansatzweise die Leistung der zweiten Rückrundenhälfte bestätigen, dürfte er kaum über den Sommer 2023 zu halten sein. Und sei es, dass eine exorbitante Ausstiegsklausel (wenn es denn eine gibt) von einem Premier-League-Aufsteiger bezahlt wird. Da wir selbst keinen Einfluss auf solche Entwicklungen haben, empfehle ich einfach, den momentanen Becker zu genießen.
Die Bild nennt in ihrem Text nach dem Derby-Sieg gleich vier Spieler, die den Unterschied gemacht haben. Neben Sheraldo Becker und Jordan sind das der in meinen Augen überragende Julian Ryerson und Christopher Trimmel, dem nach einer Saison ohne Assist wieder eine Torvorlage gelang.
So ein bisschen werden die Bundesliga-Transferperioden von Union zu einem eigenen Meme. Sei es der Truthahn-Tweet eines Sport-Journalisten aus dem Frühjahr oder der Spiegel, der Union als Hydra bezeichnet (ein Text, den dieser Kurier-Artikel aufnimmt), der die Stammkräfte abhanden kommen, aber immer wieder nachwachsen wie die abgeschlagenen Köpfe der griechischen Sagen-Gestalt. Oder der 11Freunde-Text aus der vergangenen Woche, der in Manager Oliver Ruhnert einen Nerd vermutet, der heimlich Football Manager gespielt hat.
Ich kann die Faszination für die Massentransfers von Union einerseits nachvollziehen, aber die Spielerverpflichtungen haben andererseits je nach Transferperiode unterschiedliche Schwerpunkte. Es sind keine Massenverpflichtungen im Magath-Style. In der jetzigen Phase ging es laut Oliver Ruhnert um den Zuwachs an Qualität im Kader. Und wir können sicherlich alle spüren, dass das gelungen ist. Richtig werden wir es erst merken, wenn es in die endlosen Englischen Wochen geht.
Aber davon abgesehen wurden auch Spieler geholt, die mit Union auf eine neue Stufe kommen können. Spieler, die möglicherweise Transfer-Erlöse für den Verein erzielen. Union ist kein Ausbildungsverein und hat das kurzfristig auch nicht als Ziel. Aber Union kann Spieler weiterentwickeln und deren Wert steigern. Das ist von Vorteil für Union (Stichwort Ablöse) und die Spieler selbst auch (Stichwort Gehaltssteigerung).
Höhere Spieler-Qualität bedeutet auch höhere Gehälter. Ich kann allen nur empfehlen, bei den Zahlen auf der nächsten Mitgliederversammlung einen Blick auf die Kosten der Lizenzspielerabteilung zu werfen. Ich bin gespannt darauf, welcher Aufwand tatsächlich in der vergangenen Saison hineingesteckt wurde und womit für die laufende Spielzeit geplant wird.
Noch einmal zu den vielen Verpflichtungen. Die sind sehr gut durch die nachholende Entwicklung von Union in der Bundesliga erklärbar. Und das Tempo liegt schlicht an den Besonderheiten, die die Corona-Pandemie und ihre Gegenmaßnahmen mit sich brachten. Ohne diese Pandemie würde Union wahrscheinlich deutlich länger gebraucht haben, um auf dieses Niveau wie jetzt zu kommen.
Ich gehe allerdings auch davon aus, dass wir so viele Neuverpflichtungen nicht so schnell wieder erleben, wenn nicht wieder mehrere Leistungsträger den Club verlassen. Sportlich dürfte Union eines der von Präsident Dirk Zingler vielzitierten Plateaus erreicht haben. Zwischen Platz 6 und 16 ist da alles drin. Das ist eben der spannende Teil der Bundesliga.
Wer die Überlegenheit von Union im Derby nicht nur sehen, sondern auch in Zahlen jenseits vom Ergebnis (es war ein 3:1, falls das jemand vergessen hat) bestätigt wissen möchte, kann sich diese Statistiken mal anschauen:
Während wir unsere Episode erst heute Abend um 20 Uhr aufnehmen (ihr könnt ihr live zuhören und euch hier für den Chat anmelden, um live mitzudiskutieren), waren die anderen Union-Podcasts schneller.
Hier gibt es die Episode von Kiek an zum Derby, aus der ich für mich tatsächlich die Erkenntnis mitgenommen habe, dass das gestreifte Heimtrikot ohne Flock nicht gut aussieht. Und nun frage ich mich, was ich darauf flocken lassen würde. Und ja, ich weiß, dass ich eigentlich kein Trikotkäufer bin. Doch die verschiedenen Versionen dieser Saison sehen wirklich gut aus, allen voran die Heim-Variante. Und wer auch immer den Sponsor davon überzeugt hat, nicht das violette Logo auf die Brust zu packen, sondern es in rot-weiß zu setzen, verdient ein extra Lob.
Und hier gibt es die Episode von Taktik&Suff, die dieses Mal voneinander getrennt aufgenommen haben. Deshalb liefern sie mehr Signalstörungen als die Berliner S-Bahn am Montagmorgen. Aber mit guter Derbylaune und Siegermolle ist auch das kein Problem.
Wer Lust auf die Gegnerperspektive hat, kann sich die Episode von Hertha-Base anhören. Der von mir gerne gehörte Damenwahl-Podcast wird leider eine längere Pause einlegen und auf absehbare Zeit keine neuen Episoden veröffentlichen. Warum das so ist, schreiben sie hier.
Die Wolfsburger Polizei steht nach einem Einsatz gegen Fans des SV Werder Bremen massiv in der Kritik. Grund ist die anlasslose Kontrolle und erkennungsdienstliche Behandlung der Bremer Fans, wenn sie den Bahnhof in Wolfsburg verlassen wollten. Details hat die Grün-Weiße Hilfe aufgeschrieben. Denn die Polizei erteilte pauschal allen Werder-Fans ein Betretungsverbot für die Stadt, es sei denn sie würden sich in Polizeibegleitung begeben. Beim Lesen packt mich echt die kalte Wut.
Zumindest reagieren sowohl die Verantwortlichen von Wolfsburg und Bremen (hier ein deutliches Interview des Werder-Präsidenten zum Thema) mit Unverständnis und Entsetzen.
Die Polizei selbst brauchte fast 24 Stunden für eine peinlich überspezifische Pressemitteilung. Ich gebe den darin aufgestellten Behauptungen keine lange Halbwertszeit. Beispiel: Während die Vereine davon sprechen, dass die Begegnung als unbedenklich (grün) eingestuft wurde, spricht die Polizei davon, dass sie die Partie als (rot) eingestuft habe, weil sie die Fangruppen als rivalisierend wahrnimmt. Wer auch immer Wolfsburg als Rivalen wahrnimmt …
Was den bisherigen Berichten komplett widerspricht ist diese Polizei-Behauptung: „Personen, die nicht den Risikogruppen zugeordnet werden konnten, konnten den Bahnhof sofort nach ihrer Ankunft ohne weitere polizeiliche Maßnahmen verlassen und ihren Weg in Richtung Volkswagen-Arena oder in das sonstige Stadtgebiet fortsetzen. Dies betraf ausdrücklich auch deutlich erkennbare Fans des SV Werder Bremen, die ohne polizeiliche Kontrolle und teilweise völlig ohne polizeiliche Begleitung die Volkswagen-Arena erreichten.“
Ich bin tatsächlich gespannt, ob dieses Verhalten der Einsatzleitung Folgen haben wird. Allerdings gehe ich davon aus, dass höchstens irgendein Gericht im Nachhinein die Unrechtmäßigkeit der Kontrolle feststellen wird. Konsequenzen erwachsen daraus keine, da die Polizei mit irgendeiner herbeifantasierten Gefahr jede operative Maßnahme rechtfertigen kann und es für die Betroffenen vor Ort keine Möglichkeit der rechtlichen Gegenwehr gibt.
In dem Zusammenhang: Falls Ihr Zeit habt, füllt doch die Umfrage der FUMA-AG Faninteressen zum letzten Heimspiel aus. Das gibt den Personen im Verein die Möglichkeit, bestimmte Entwicklungen zu sehen und darauf zu reagieren.
Vielleicht noch etwas Schönes zum Schluss. Wer sich für Berliner Fußball jenseits der Profiteams interessiert, kann sich das aktuelle Fuwo-Sonderheft holen, das jetzt erhältlich ist: