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·19. Oktober 2023
Union Berlin: Sieben Niederlagen im Spagat zwischen Bundesliga und Königsklasse

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·19. Oktober 2023
Die letzten drei Jahre verliefen bei Union Berlin wie ein Traum. In der vergangenen Saison konnte man sich sogar für die Champions League qualifizieren. Nach sieben Niederlagen in Folge stellt sich nun allerdings die Frage, ob der Höhenflug ein jähes Ende gefunden hat.
Seit dem Aufstieg im Jahr 2019 schien Union Berlin alles zu gelingen. Im ersten Jahr sicherten sich die Köpenicker souverän den Klassenerhalt in der Bundesliga. In den Jahren darauf qualifizierte sich die Mannschaft von Urs Fischer erst für die Conference League und dann für die Europa League. Am Ende der Saison 2022/23 reichte ein Sieg am letzten Spieltag über Werder Bremen dafür, dass die Eisernen in dieser Spielzeit erstmals in der Champions League auflaufen dürfen.
Für die Fans, die 2006 noch durch die viertklassige Oberliga Nord reisen mussten, ein absolut surreales Erlebnis. Doch nach drei Jahren Höhenflug scheint die Realität die Köpenicker eingeholt zu haben. Zwar startete das Team mit zwei Siegen in die Saison, doch dann folgte der Knick. Sieben Pflichtspielniederlagen in Folge später und Union Berlin befindet sich in der ersten wirklichen Krise seit dem Aufstieg 2019. Besonders bitter waren die beiden Last-Minute-Niederlagen gegen Real Madrid und Sporting Braga in der Königsklasse. Doch was hat sich durch die Qualifikation für die Champions League verändert?
Das Image des Underdogs, welches die Köpenicker seit dem Aufstieg und trotz der beiden Qualifikationen für das europäische Geschäft begleitet hatte, wurde endgültig abgelegt. Erstmals konnte nicht mehr die 40-Punkte-Marke, die in den vergangenen Jahren sowas wie das Lieblingswort von Urs Fischer geworden war, das vom Verein vorgegebene Ziel sein. Dies spiegelte sich auch im Transfersommer wider.
In den vergangenen Transferperioden holte Union viele Spieler, die woanders nicht wirklich zum Zug kamen und verstärkte damit sukzessive den Kader. An der Alten Försterei blühten diese auf und trugen zu dem großen Erfolg des Berliner Vereins bei. Viele fragten sich, was das Geheimnis von Fischer war, dass Spieler, die in anderen Teams eine untergeordnete Rolle spielten, so stark wurden.
Mit der Qualifikation für die Champions League kamen dann erstmals die großen Namen zu Union Berlin. Mit Datro Fofana vom FC Chelsea und Brenden Aaronson von Leeds United fanden zwei enorm talentierte Spieler auf Leihbasis den Weg in den Osten der Hauptstadt. Zudem kamen die mehrfachen Nationalspieler Kevin Volland und Robin Gosens. Letzterer stand im vergangenen Jahr noch mit Inter im Finale der Champions League. Kurz vor Transferschluss verpflichtete Ruhnert die italienische Abwehrlegende Leonardo Bonucci.
(Photo by RONNY HARTMANN/AFP via Getty Images)
Dass man derartig von der erfolgreichen Transferpolitik der vergangenen Jahre abgewichen ist, war zwar notwendig, um sich weiterzuentwickeln, könnte allerdings auch eines der Probleme sein. Denn bis auf Gosens, der eine enorme Bereicherung für die Mannschaft ist, fremdeln die Neuzugänge aktuell allesamt mit der Spielweise von Union Berlin.
An der alten Försterei verlor Union Berlin nicht eines der 17 Spiele der vergangenen Saison. Diese Stärke vor den eigenen Fans war die Grundlage für die Qualifikation zur Königsklasse. Darüber hinaus war es auch ihre Qualität in der Verwaltung von Vorsprüngen. Insgesamt 22-mal ging die Mannschaft von Urs Fischer in der vergangenen Spielzeit in Führung. Keines dieser Spiele verloren die Eisernen.
Denn wenn Union Berlin in Führung ging, dann konnten sie ihr Spiel durchziehen. Sie überließen dem Gegner den Ball und konzentrierten sich auf das Verteidigen und das schnelle Umschalten nach vorne. Durch das disziplinierte Arbeiten im Kollektiv waren sie nur schwer aus der Fassung zu bringen und konnten ihre Vorsprünge verwalten. Doch derzeit fällt das sehr schwer.
(Photo by Maja Hitij/Getty Images)
In dieser Saison ging Union Berlin in der Bundesliga in drei Spielen in Führung. Dies war an den ersten beiden Spieltagen, als man Mainz und Darmstadt schlagen konnte und direkt vor der Länderspielpause, als Bonucci und Co. ohne Punkte aus Dortmund abreisen mussten. Gegen Braga verloren die Eisernen trotz eines 2:0-Vorsprungs noch die Partie. Union gelingt es derzeit nicht mehr, die eigenen Stärken konsequent auszuspielen.
Bei Rückstand lässt sich nicht das für Union so typische Spiel durchziehen, sondern sie sind selbst gefragt und müssen den aktiven Part im Spiel übernehmen. Derzeit wirkt die Mannschaft bei Rückständen überfordert und es gelingt ihr nicht, Partien mit ihren Mitteln zu drehen. Dies muss sich schleunigst ändern.
Ein weiterer wichtiger Punkt, warum ist bei Union Berlin derzeit nicht läuft, ist das mangelnde Spielglück. Es scheint so, als hätten die Eisernen in der vergangenen Saison Fortuna herausgefordert und das Glück für die nächste Zeit erst einmal aufgebraucht. Denn was man zum Höhenflug der Köpenicker auch erwähnen muss, ist, dass sie extrem überperformt haben. Nach dem xG-Modell von understat hätten sie eigentlich auf Platz 13 statt Platz vier landen müssen und waren 20 Punkte besser als im Modell errechnet.
Zwar sagte Hermann Gerland einst, dass immer Glück Können wäre, allerdings scheint es aktuell auf die Berliner zurückzufallen. Offensiv verbesserte Trainer Fischer seine Mannschaft. Im Schnitt gibt seine Offensive derweil 14 Schüsse pro Partie ab. Im vergangenen Jahr waren es noch elf, was gleichbedeutend mit dem drittschlechtesten Wert der Liga war. Während im vergangenen Jahr 30 Prozent der Abschlüsse auf das Tor gingen, wurde dieser Wert in der aktuellen Spielzeit auf 36 Prozent gesteigert.
In der vergangenen Saison häuften sich auf Social Media Bilder, bei denen Union Berlin trotz eines deutlich geringeren xG-Wertes die Spiele gewonnen hat. Höhepunkt war wohl die Partie beim FC Schalke als die Schalker 1,71 xG hatte und Union die Partie mit 1,6 xG 6:1 gewinnen konnte. In dieser Spielzeit liegt man ganz leicht über diesem Wert. In der vergangenen Saison hingegen erzielte die Offensive um Neu-Nationalspieler Kevin Behrens 16 Tore mehr als die Statistik es vorgesehen hat.
(Photo by Luciano Lima/Getty Images)
Auch in der Defensive hat sich das Glück verschoben. Aktuell liegt die Abwehr der Köpenicker 2,53 xGA über dem erwarteten Wert. Im Jahr davor war man knapp vier Tore besser. Union muss sich im spielerischen Bereich verbessern, um auch nach Rückständen wieder in die Partie zu finden. Zudem sollte man in den kommenden Partien aktiv auf das erste Tor gehen, um so das Glück wieder auf die eigene Seite zu holen.
Das Programm nach der Länderspielpause hat es auf jeden Fall in sich. Zunächst kommt am Samstag der Tabellenführer aus Stuttgart in die Hauptstadt, bevor am Dienstag in der Königsklasse der amtierende italienische Meister aus Neapel zum Duell im Olympiastadion herausgefordert wird. Union muss sich schnell in allen Bereichen steigern, auch wenn nicht viel fehlt, um zumindest in der Bundesliga wieder regelmäßig Punkte einzufahren. Dass eine krisengebeutelte Mannschaft auch mal das Glück erzwingen muss, ist normal. Wie eine Mannschaft damit umgeht, die – zumindest laut Statistik – sich genau um diesen Aspekt vorher nie kümmern musste, dürfte in den nächsten Wochen äußerst spannend zu verfolgen sein.
(Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images)