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Maximilian von Stuckrad-Barre·17. November 2024
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Maximilian von Stuckrad-Barre·17. November 2024
Vieles, das früher ganz normal war, mutet heute ein wenig absurd an. In den 90er Jahren zum Beispiel wurde in Flugzeugen noch ganz selbstverständlich geraucht, in den 2000ern zahlte man einfach so bedenklich hohe Geldbeträge für scheußliche Handy-Klingeltöne und Anfang der 2010er Jahre wurde man nicht direkt in eine Irrenanstalt eingewiesen, wenn man laut überlegte, ob nun Ilkay Gündogan oder Mehmet Ekici die größere Karriere vor sich habe.
Letzteres wirkt eine Meisterschale, einen DFB-Pokal, fünf Premier-League-Pokale, zwei FA-Cups und einen Henkelpott in Ilkay Gündogans Trophäenschrank später besonders unvorstellbar. Doch im Sommer 2011 war das noch ganz normal.
Der 1. FC Nürnberg war unter Dieter Hecking gerade nach einem überraschend starken Jahr auf dem sechsten Platz gelandet und musste zum Saisonende zwei seiner besten Spieler abgeben: Gündogan wechselte für 5,5 Millionen zu Borussia Dortmund, Leihspieler Ekici kehrte zum FC Bayern zurück, der ihn nach Bremen verkaufte. Beide hatten in der Nürnberger Überraschungssaison überzeugt, andere Klubs auf sich aufmerksam gemacht und scheinbar eine große Zukunft vor sich.
Bewahrheiten sollte sich diese große Zukunft bekanntlich nur für einen der beiden. Wenn man heute in die Suchleiste nur das Wort “Ilkay” eingibt, bekommt man dort, bis auf einen Wikipedia-Eintrag über den Vornamen selbst, ausschließlich Einträge zu Ilkay Gündogan vorgeschlagen. Macht man das Gleiche mit “Mehmet”, wird einem zwischen dem osmanischen Sultan Mehmed II., Muhlis Aris Buch “Sie nannten mich Mehmet: Geschichte eines Ghettokindes” und Mehmet Scholls Instagram-Seite alles mögliche ausgespuckt. Nur eben nicht Mehmet Ekici.
Zwar muss man hier natürlich bedenken, dass der Name Mehmet deutlich häufiger vorkommt als Ilkay, aber es wird auch etwas damit zutun haben, dass Ilkay Gündogan heute noch bei Manchester City unter Vertrag steht, während Mehmet Ekicis aktive Karriere bereits vor vier Jahren ein relativ enttäuschendes Ende bei Fenerbahce fand.
Im Sommer 2011 war das so aber eben überhaupt nicht absehbar. Ganz im Gegenteil: Manch einer dürfte Ekici sogar die besseren Voraussetzungen für eine große Karriere zugestanden haben. In diesem einen gemeinsamen Jahr in Nürnberg war Ekici nämlich sogar der größere Leistungsträger. Beide waren entscheidende Kreativspieler in Heckings Überraschungsteam, doch während Gündogan in der Mitte der Saison einige Spiele verletzt verpasste, war Ekici mit zwölf Scorerpunkten in 32 Bundesligaspielen eine der ganz entscheidenden Figuren in der bis heute letzten Saison, in der der FC Nürnberg auf einem einstelligen Tabellenplatz in der ersten Liga landete.
📸 Alex Grimm - 2011 Getty Images
Der Wechsel an die Weser sah dann dem perfekten Schritt aus: Als technisch begabter Spielmacher, der nie über die Körperlichkeit funktionierte, sondern mit Timing, Übersicht und ruhe am Ball glänzte, schien Ekici wie gemacht für die Zehnerposition in Thomas Schaafs Raute. Als Nachfolger von Johan Micoud, Diego und Mesut Özil sollte Ekici der nächste entscheidende Mann in einer Mannschaft werden, die eigentlich immer so gut war, wie ihr Zehner. Werder wurde am Ende Neunter.
Und genau wie der neunte Platz für Werder war auch Ekicis individuelle Leistung: Nicht schlecht, aber eben auch alles andere als richtig gut. Dass er nur 21 Ligaspiele machte, hing vor allem mit einer Beckenverletzung zum Ende der der Saison hin zusammen, doch mit den Spielen, in denen er auf dem Platz stand, konnte er keinesfalls zufrieden sein. Permanent gefährliche Freistöße und Ecken, das Auge für den Mitspieler, die kreativen Einfälle: All das was ihn in dieser einen starken Nürnberg-Saison zum vermeintlichen perfekten Micoud-, Diego- und Özil-Erben prädestiniert hatte, war weg.
Auch in den folgenden zwei Saisons, bevor er in die Türkei ging, schaffte Ekici es nicht, der Zehner zu werden, den Werder sich erhofft hatte. Mehr noch: In Mehmet Ekicis Zeit bei Werder Bremen fällt auch Thomas Schaafs Abkehr von seiner geliebten Raute.
📸 PATRIK STOLLARZ - 2011 AFP
Während er zuvor jahrelang nie an der Formation experimentierte, mit der man 2004 das Double geholt hatte, probierte Schaaf 2012/13 in seiner letzten Werder-Saison ein 4-3-3 ohne Zehner aus. Er hatte schlicht keinen überragenden Mann mehr im Kader, der von dieser Position aus das Spiel bestimmen konnte.
Heute ist das alles kaum noch der Rede wert: In Flugzeugen kommt keiner auf die Idee, eine Zigarettenschachtel auszupacken, fast jeder hat sein Handy nur noch auf lautlos und kaum jemand fragt sich, was Mehmet Ekici eigentlich gerade macht. Doch jemand aus dem Jahr 2011 wäre sicherlich erstaunt, dass aus dem damals stärkeren Teil von Nürnbergs brillierendem Youngster-Duo nur derjenige werden sollte, der in Bremen die Zehn abgeschafft hat.
📸 Alex Grimm - 2011 Getty Images