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·11. April 2025

Trauerrede für Doris Fitschen: "Lasst uns auf das Leben anstoßen"

Artikelbild: Trauerrede für Doris Fitschen: "Lasst uns auf das Leben anstoßen"

In Gedenken an die 144-malige Nationalspielerin Doris Fitschen, die am 15. März 2025 nach schwerer Krankheit im Alter von 56 Jahren verstorben war, hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) heute im Frankfurter Stadion am Brentanobad eine öffentliche Trauerfeier ausgerichtet. Dabei hielt DFB-Generalsekretärin Heike Ullrich eine sehr persönliche, sehr bewegende Rede. DFB.de gibt sie im Wortlaut wieder.

Liebe Andrea, lieber Leo,


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liebe Familie Fitschen,

liebe Freundinnen und Freunde von Doris,

liebe Trauergemeinde,

hier und heute eine Trauerrede für Doris Fitschen zu halten, das fällt mir nicht leicht. Und doch ist es mir eine Ehre – denn es ist für Doris, und für Doris stehe ich sehr gerne hier und teile mit Ihnen und euch meine Gedanken und Empfindungen.

Genauso wie Sie, wie wir alle, bin ich unendlich traurig. Noch immer tut es unendlich weh, dass Doris nicht mehr bei uns ist und nicht mehr bei uns sein darf.

So oft fiel in meinen Gedanken der vergangenen Tage noch der Satz: "Müssen wir mal mit Doris besprechen" – um dann die Leere zu fühlen, dass wir die Dinge eben nicht mehr mit Doris besprechen können. Wir alle müssen also lernen, damit umzugehen, dass Doris, dieser besondere Mensch, nicht mehr bei uns ist. Ich bin traurig - Mein Herz ist aber erfüllt von großer Dankbarkeit. Viele Erinnerungen an Doris, an diesen großartigen Menschen, sind als Bilder tief in meinem Herzen verankert, sie sind ein Schatz, den ich in mir trage und den ich immer hüten werde.

Ich kenne Doris seit fast 30 Jahren persönlich, zuvor kannte ich sie nur aus dem Fernsehen. In drei Jahrzehnten haben sich unsere Wege immer wieder gekreuzt, häufig sind sie parallel verlaufen, weite Teile der Strecke haben wir gemeinsam absolviert. Der rote Faden unserer Wege war immer der Fußball – der Fußball von, mit und für Frauen und die weitere Entwicklung dieses Fußballs für Frauen.

Liebe Trauergemeinde: Die Zahlen und Fakten ihres öffentlichen Fußballerinnen-Lebens und ihrer Karriere nicht nur im DFB-Dress, sondern auch bei ihren so erfolgreichen Vereinen haben wir gerade eben schon gehört. Ich möchte einige von diesen Momenten mit den Bildern in meinem Herzen verknüpfen und mit Ihnen teilen, denn in allen Ihren Erfolgen ist Doris auch immer Mensch geblieben.

Das erste ihrer 144 Länderspiele bestritt sie bereits mit 17 Jahren, vier Europameistertitel folgten, bei ihrem letzten EM-Titel 2001 reckte sie den Pokal in Ulm als Kapitänin in den Himmel. Zu einem weiteren für sie wertvollen Erfolg zählt auch ein dritter Platz: die Bronzemedaille als Spielerin bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney. Denn Doris war Olympionikin durch und durch, der Geist und der Gedanke der Olympischen Spiele als Treffen der Menschen der Welt haben sie immer begeistert. Wenn ich an dieses Turnier und an Doris denke, sehe ich einerseits den Jubel und die Freude von Doris nach dem 2:0 im Bronzespiel über Brasilien. Ich sehe aber auch Bilder von innigen Momenten im Olympischen Dorf und vom Leben als Olympionikin in den Tagen nach dem Bronzematch.

Zu diesen Bildern in meinem Herzen gehört auch unser Trikottausch mit den deutschen Ringern im Innenhof unseres kleinen Häuschens im Olympischen Dorf. Sehr lustige Szenen spielten sich ab – und ich bin froh, dass es damals noch nicht so verbreitet war, mit Mobiltelefonen sämtliche Taten und Untaten festzuhalten und in die Welt zu senden. Die Bilder davon habe ich im Kopf – und in meinem Herzen.

Bei den Philadelphia Charges in den USA beendete sie ihre aktive Karriere. Ihre ersten Schritte als Fußballerin kennen jedoch nur sehr wenige. Ich möchte Sie also mitnehmen nach Osenhorst, einen winzigen Ort in Niedersachsen, ein Hof, mal 15, mal 17 Einwohner, mitnehmen in die frühen 70er-Jahre. Doris war damals schon verrückt nach dem Ball, kickte unaufhörlich gegen das Scheunentor, genau genommen den elterlichen Stall.

Schon im Alter von fünf Jahren sah sie in jedem neuen Lehrling, der eine Stelle auf dem elterlichen Hof antrat, einen möglichen Fußballpartner. "Kannst du Fußball spielen?", war die erste Frage, die Doris damals den Azubis entgegenwarf. Als sie neun Jahre alt war, hatte sie Glück. Lehrling Hans-Hermann beantwortete die Frage "Kannst du Fußball spielen" mit einem überzeugenden: "Ja!" Er mochte und konnte Fußball spielen und kickte mit ihr, wann immer dies möglich war. Und so sah er auch, wie gut Doris bereits als kleines Mädchen war. Zur glücklichen Fügung gehört, dass Hans-Hermann eine Schwester hatte, die im nahegelegenen Hesedorf im Verein Fußball spielte. Dorthin ist er eines Tages gefahren und hat dem Trainer gesagt: "Wenn ihr eine Gute haben wollt, dann müsst ihr nach Osenhorst kommen."

Und so trat Fritz Rathjen in ihr Leben und wurde zu ihrem ersten und vielleicht wichtigsten Trainer. Liebe Lisa Fitschen – bei der Erinnerung daran haben Sie gelacht, daher erlaube ich mir, hier auch davon zu berichten, wie wenig begeistert Sie anfangs von den Ambitionen Ihrer Tochter waren. Nicht einmal einen Stuhl haben Sie Trainer Rathjen damals angeboten, als er in der Tür stand und Sie zu überzeugen versuchte, Doris das Fußballspielen zu erlauben.

Wer Doris näher kannte, der weiß, wie überzeugungsstark sie sein konnte, wenn sie etwas wirklich wollte. Und so war der elterliche Widerstand letztlich zum Scheitern verurteilt und bald gebrochen – Doris durfte Fußball spielen. Und wie sie spielte! Als zehnjähriges Mädchen lief sie den 15-jährigen Jungs davon und spielte sie reihenweise schwindelig. Und so begann eine Karriere, die aus der kleinen Doris eine der besten Fußballerinnen aller Zeiten und eine der prägendsten Figuren des Fußballs in Deutschland werden ließ.

Ich habe es vorhin gesagt: Doris hat 144 Länderspiele absolviert, 144 Medaillen für die Teilnahme an einem Länderspiel wurden ihr überreicht. Eine davon habe ich bei mir zuhause. Die Geschichte dazu spielt irgendwann im Jahr 1996. Ich war neu beim DFB und neu in der Rolle, als Teammanagerin der Frauen-Nationalmannschaft. In dieser Funktion habe ich auch deren Länderspiele organisiert. Als dann am Ende einer Maßnahme die Erinnerungsmedaillen an die Spielerinnen verteilt wurden, kam Doris auf mich zu und legte mir ihre Medaille in die Hand. "Das hast du gut gemacht", sagte sie, "diese Medaille hast du dir verdient."

Schon damals war mir bewusst, wie groß diese Geste war. Heute zeigt sie mir vor allem, wie groß Doris war. Weil sie zeigt, wie sehr dieser Mensch an andere Menschen dachte und wie sehr sie die Leistungen anderer wahrnahm und wertschätzte. Früher als andere hat Doris verstanden, dass das "Team" mehr ist als die Mannschaft und aus mehr Personen besteht als aus den Spielerinnen auf dem Feld und auf der Bank.

In ihrer Rolle als Führungsspielerin hat Doris viele solcher Zeichen gesetzt. Sie war ausgleichend, oft hat sie vermittelt, wenn es in hitzigen Diskussionen im Team oder auch mal mit der Trainerin darum ging, wie man die Mannschaft noch stärker machen kann. So war es etwa auch, als es um die Frage ging, ob das Team schon die spielerische Reife habe, von der Abwehr mit klassischer Libera zur Abwehrkette umzustellen. Hier hat sie sich auch entscheidend eingemischt. Insider wissen genau, von welchem Jahr und welcher Maßnahme ich spreche…

So war Doris. Sie ist für ihre Überzeugungen eingestanden und hat an das große Ganze gedacht. Damit war sie prädestiniert für die Aufgaben, die sie in ihrer zweiten Karriere im DFB übernahm. Den Übergang schaffte sie vor allem aber wegen ihrer fachlichen Kompetenz und ihrer menschlichen Stärken. Doris konnte zuhören, hat immer das Gemeinsame gesucht, den Austausch und wollte immer Neues und von Anderen Lernen.

Höhepunkt ihrer Zeit als Managerin der Frauen-Nationalmannschaft war aus meiner Sicht der Gewinn der Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro. Es war ein kompliziertes Turnier für das Team und das Team hinter den Team. Aber dann in Maracana, zwei Jahre nach dem WM-Titel unserer Männer, an selber Wirkungsstätte Olympisches Gold zu holen, das war magisch, ein absoluter Traum! Und Doris war eine der Architektinnen dieses riesigen Erfolges.

Doris hat überall und in allen Funktionen ihren Weg gemacht, und wie gesagt: Teile des Weges habe ich gemeinsam mit ihr absolviert. Dazu gehört, dass Doris und ich irgendwann "FIFA Global Expert" für Frauenfußball wurden. Sehr gerne erinnere ich mich an eine Reise, die wir in dieser Funktion als Teil einer internationalen Gruppe nach Neuseeland absolvierten. Doris sollte aus Marketingperspektive den Frauenfußball vor Ort ankurbeln. Und Doris hat auch hier überzeugt. Mit präzisen Hinweisen, mit klaren Worten, mit Authentizität. Sie wusste, wovon sie sprach, die Teilnehmer*innen hingen an ihren Lippen. Wenn Sie darüber redete, dass wir Vorbilder für den Frauenfußball benötigen, während sie selbst als Vorbild vor der lauschenden Gruppe saß, dann waren das wohlgewählte Worte. Damit hat sie 110-prozentig überzeugt.

Durch Termine und Auftritte wie diesen wuchs Doris‘ internationales Netzwerk, sie lernte immer mehr Menschen in wichtigen Positionen kennen. Menschen, die ihre Arbeit, aber insbesondere ihr Menschsein als Geschenk wahrnahmen. Auch damals in Neuseeland hat sie Spuren bei den anderen Teilnehmer*innen hinterlassen. Wie sehr und wie nachhaltig wurde mir nach ihrem Tod noch einmal vor Augen geführt. Alex Stone, ein Kollege und Wegbegleiter aus England , der in Neuseeland dabei war, hat auf Facebook einen Nachruf auf Doris gepostet: sehr rührend und lesenswert. Einen Satz möchte ich hier zitieren: "Her achievements on and off the field will stand the test of time" - also: "Ihre großartigen Leistungen auf und neben dem Feld werden die Zeit überdauern."

Und in der Tat, liebe Doris, du hast große Spuren hinterlassen. Spuren, an denen wir uns auch in Zukunft weiter orientieren können. Die wir uns zum Vorbild nehmen können.

Liebe Trauergemeinde, als die Ticker die Meldung ihres Todes in die Welt trugen, bekam ich über die DFB-Netzwerke zahlreiche Kondolenznotizen. Nachrichten aus Australien, aus Neuseeland, aus Südafrika, aus Brasilien, aus Skandinavien, England und auch aus den USA erreichten mich. Nachrichten aus der ganzen Welt. Doris hat die Welt gesehen, das kleine Mädchen aus Osenhorst wurde immer mehr zur Weltbürgerin. Von einem Beispiel, wie populär Doris natürlich auch in Deutschland war, könnte Ihnen Silvia Neid erzählen. Silv, erinnerst Du Dich? Diese Szene spielt in Berlin: Ich saß mit der großen Silvia Neid in einem Café. Da kam ein Fan auf Silv zu und sagte voller Überzeugung: "Ich kenne Sie doch, Sie sind die Doris Fitschen!"

Liebe Trauergemeinde, die Spielerin Doris Fitschen hat mich fasziniert, die DFB-Funktionärin Doris Fitschen hat mich beindruckt, am meisten begeistert bin ich vom Menschen Doris Fitschen. Von ihrer vielschichtigen Persönlichkeit, von den vermeintlichen Gegensätzen, die sich bei ihr nicht ausschlossen.

Doris war auch echte Niedersächsin. Das heißt, sie brauchte nicht viele Worte. Viel reden war also nicht ihre Sache, aber wenn sie gesprochen hat, dann hatte sie auch etwas zu sagen.

Doris war ein unglaublich positiver Mensch. Zugleich war sie nachdenklich und reflektiert. Doris konnte seriös und sachlich sein, und ihr gelang es dabei, Spaß zu haben und Spaß zu verbreiten. Man konnte mit ihr ernsthaft und intensiv reden, man konnte mit ihr feiern und albern sein, und sie trug den Schalk im Nacken.

Liebe Trauergemeinde, Sie wissen: Doris kämpfte schon seit mehreren Jahren mit dem Krebs, sie ließ Operationen und Chemotherapien über sich ergehen, sie hat Hoffnung, Mut und Kraft geschöpft und alles getan, um gesund zu werden. Ihr Kampf war beeindruckend, und selbst während dieses Kampfes, hat sie nie aufgehört, das Gute zu sehen und wahrzunehmen. An ihrer Krankheit war nichts gut, aber Doris ist es gelungen, das Beste aus ihr zu ziehen. Mein Eindruck war, dass ihre Lebenseinstellung sogar immer positiver wurde. Ihr wurde bewusst, dass das Leben endlich ist, und sie hat es geschafft, die schönen Momente umso intensiver zu erleben und zu genießen, nichts mehr aufzuschieben, sondern die Welt so gut es geht weiter zu entdecken.

Der Abschied von Doris war sehr besonders. Mein letztes Bild von ihr ist eine lächelnde Doris. Wie schön das ist – dieses Bild bekommt einen Ehrenplatz in meiner Schatzkammer. Sie ging mit einem Lächeln – so habe ich es wirklich erlebt. Wie tröstend das war, auch wie tröstend es war zu spüren, wie wichtig es ihr war, uns noch einmal zu sehen. Im Krankenhaus, am Sterbebett, hat sie es geschafft, uns zu trösten, uns ein letztes Mal eine gute Zeit zu schenken. Ich finde das groß, ich finde das riesig. Denn: Müsste es nicht umgekehrt sein?

Das Positive, das Bejahende hat sie auch im Sterben nicht verlassen. Als bekennende Niedersächsin konnte Doris auch stur sein, sie hat Bräuche und Traditionen gepflegt. Als wir bei ihr am Sterbebett saßen, waren wir uns nicht nur nah beim Nacherzählen so vieler gemeinsamer Erlebnisse, wir haben auch ein über die Jahre und Jahrzehnte liebgewonnenes Ritual ein letztes Mal gepflegt. Als ein Abschiedsgeschenk hatten wir einen guten Tropfen dabei. Bevor wir gingen, haben wir symbolisch mit Doris noch einmal angestoßen. Und es war Doris, die den Toast mit dann schon deutlich geschwächter Stimme ausgesprochen hat: "Lasst uns auf das Leben anstoßen", hat sie gesagt und dabei gelächelt, "lasst uns auf das Leben anstoßen." Ein unglaublich berührender Moment, der ebenfalls einen Ehrenplatz in meiner Schatzkammer einnehmen wird.

Liebe Trauergemeinde, bevor ich zum Ende komme, möchte einige Menschen besonders erwähnen. Zuerst natürlich Leo, ihren Sohn. Lieber Leo, Du warst ihre Energiequelle und Fixstern, Doris' Leben und Doris' Gedanken haben sich immer zuerst um Dich gedreht. Gern hätte sie noch so viel mehr Zeit mit dir verbracht und gemeinsam mit dir die Welt entdeckt oder einfach nur über Fußball philosophiert. Sie war unglaublich stolz auf Dich.

Liebe Andrea, liebe Silke, liebe Silvia, liebe Frau Dr. Scholten, liebe Familie und Freund*innen, die sich in den vergangenen Jahren und insbesondere in den letzten Wochen so liebevoll um sie gekümmert haben. Insbesondere dann, wenn es hart wurde für Doris und die Krankheit auch Doris an ihre Grenzen brachte. Ihnen und euch allen möchte ich ein riesengroßes Dankeschön schicken. Danke dafür, dass ihr Doris in diesen so herausfordernden Phasen ihres Kampfes mit der Krankheit so ehrlich, so nah, so klar und Hilfe gebend unterstützt habt.

Liebe Fußballgemeinschaft, liebe Mitstreiter*innen, lasst uns die Herzensprojekte von Doris gemeinsam weiter gestalten. Vor allem den Frauenfußball und das Projekt Frauen im Fußball, das zuletzt so etwas wie eine Lebensaufgabe für Doris war. Lasst uns diese Aufgabe im Sinne von Doris gemeinsam weiterleben und weiterentwickeln. Das haben wir ihr versprochen – und das werden wir auch tun.

Liebe Doris, die Fußballfamilie, wir alle verneigen uns in Demut, Hochachtung und in Respekt vor einem großartigen Menschen. Ich behalte dich mit einem Lächeln im Herzen in Erinnerung. Mach's gut, Doris. Und vielen Dank für alles!

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