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·20. Mai 2020

Titel und Tränen #4: Als Paderborn zwei Wochen viertklassig war

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Es ist Mitte Mai. Eigentlich würde sich nun die Saison entscheiden – doch nicht im Jahr 2020, nicht im Jahr der Corona-Pandemie. Wir nutzen die Zeit und blicken in einer Serie auf die spannendsten und emotionalsten Saisonfinal-Momente der vergangenen Jahre zurück. Heute auf dem Präsentierteller: Die unglaubliche Geschichte des SC Paderborn, der heute vor drei Jahren unter Tränen abgestiegen war. Eigentlich.

Die turbulente Vergangenheit

Der 20. Mai 2017 ist ein schöner Frühsommertag. In der 3. Liga stehen einige lockere Trainingsspiele an am 38. Spieltag. Aber längst nicht überall: Jahn Regensburg und der 1. FC Magdeburg kämpfen noch im Fernduell um den Relegationsplatz. Und Rot-Weiß Erfurt, der SC Paderborn und Werder Bremen II müssen einen der drei verbliebenen Abstiegsplätze ausspielen – dass der in diesen Tagen insolvent gegangene FSV Frankfurt sowie auch die Zweitvertretung von Mainz 05 in die Südwest-Regionalliga absteigen, steht schon vor jenem 38. Spieltag fest. Besonders der SC Paderborn zittert, denn er hat einen in dieser Form einmaligen Absturz hinter sich: 2013/14 aufgestiegen in die Bundesliga, ging es 2014/15 als Tabellenletzter wieder in die Zweitklassigkeit. Dort gingen die Trainer-Experimente mit dem unerfahrenen Markus Gellhaus sowie allen voran dem schillernden Stefan Effenberg völlig schief, Paderborn wurde wieder Letzter und war vor der Spielzeit 2016/17 plötzlich nur noch Drittligist. Sollten die Ostwestfalen nun tatsächlich ein drittes Mal in Folge absteigen?


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Immerhin hatte der SCP viel zu spät aus seinen Fehlern gelernt. Der Kader für die Drittliga-Spielzeit scheint genauso seelenlos zusammengestellt wie der ein Jahr zuvor. Fähigkeiten, die mehrere Spieler später eindrucksvoll nachwiesen – in Christian Strohdiek, Sebastian Schonlau, Sven Michel und Ben Zolinski gehören vier Akteure von damals schließlich heute regelmäßig zum Erstliga-Aufgebot – gehen dem SC Paderborn während fast der gesamten Saison immer wieder abhanden. Nicht selten fallen die Paderstädter völlig auseinander: 0:3 in Magdeburg, 0:3 in Regensburg, 0:3 gegen Rostock, 0:3 in Frankfurt, 0:6 (!) in Lotte, 0:3 in Zwickau, 0:4 in Aalen. Der Klatsche in Lotte fällt Paderborns erster Coach der Saison, René Müller, zum Opfer, der Blamage in Aalen Stefan Emmerling. So beginnt der grandiose Erfolgszug des heutigen Trainers Steffen Baumgart an einem Dienstagabend im Landespokalspiel gegen die TSG Sprockhövel vor nicht einmal 1.000 Unentwegten. Paderborn gewinnt nach Verlängerung.

Paderborn braucht Schützenhilfe, aber kriegt sie nicht

Baumgarts impulsive Herangehensweise haucht den vermeintlichen satten, wenig motivierten, dem Abstieg entgegentaumelnden Profis schlagartig Leben ein. Zehn Punkte holt Paderborn an den folgenden vier Spieltagen und könnte sich mit einem Auswärtssieg beim Siebten VfL Osnabrück sportlich retten. Andernfalls bräuchte es Schützenhilfe vom VfR Aalen, der einen Sieg von Werder Bremen II verhindern muss. Aalen kennt die Situation aus dem Vorjahr – und scheitert erneut: Statt 2:1 für Bremen heißt es 1:0, Dominic Volkmer köpft das goldene Tor nach 85 Minuten. An der Bremer Brücke steht es 0:0, im rappelvollen Gästeblock des SCP fließen bereits die ersten Tränen, als sich der Liveticker aktualisiert. Paderborn rennt an, aber trifft nicht mehr.

Weil parallel Rot-Weiß Erfurt nicht hoch verliert, sondern ganz im Gegenteil Großaspach selbst mit 4:1 in die Schranken weist, steht der dritte Abstieg in Serie fest. Keiner weiß, ob der Klub dies finanziell überleben kann. Und zu allem Überfluss gießt der VfL Osnabrück ein Fass voller Hohn und Spott über den Gebeutelten aus. "Absteiger, Absteiger!", tönt es nach der Bekanntgabe des Ergebnisses aus Bremen durch die Arena, gefolgt von einem boshaften "Oh, wie ist das schön." Steffen Baumgarts Mission scheint unterdessen gescheitert, obwohl er – inklusive des Landespokal-Finals gegen Lotte wenige Tage darauf – fünf seiner sieben Pflichtspiele gewonnen und Paderborn in den DFB-Pokal befördert hat.

Ismaiks Streit mit 1860 bringt den Klassenverbleib

Nur: Die Geschichte endet hier bekanntlich nicht. 13 Tage darauf jubelt der SC Paderborn am grünen Tisch. Zu danken hatte er 1860 München und seinem Investor Hasan Ismaik. Nach dem unrühmlichen Absturz in die 3. Liga – Sechzig hatte die Relegation gegen Jahn Regensburg verloren, das Rückspiel hätte fast abgebrochen werden müssen – verweigert der Jordanier eine Millionenzahlung, die als Liquiditätsnachweis für die tiefere Spielklasse hätte hinterlegt werden müssen. Ein erbitterter Zwist zwischen dem Hauptgesellschafter der Profiabteilung und dem starken eingetragenen Verein bringt den Löwen den direkten Absturz in die Regionalliga Bayern. Zeitgleich ist klar: Statt drei Vereinen steigen nur zwei sportlich ab. Unverhofft jubelt doch noch der SC Paderborn. Doch damit ist das beeindruckende Comeback der Blau-Schwarzen erst eingeleitet.

Rechnerisch wäre am 21. Mai 2017, am Tag nach dem Osnabrück-Spiel, nicht möglich gewesen, dass der SC Paderborn im August 2019 wieder ein Bundesligaspiel bestreiten würde. Und doch kommt es so: 2017/18 erweist sich der SCP früh als dominante Mannschaft, weil Baumgart als Coach und allen voran Markus Krösche als Sportlicher Leiter sich als absolute Glücksfälle für den Verein entpuppen. Binnen weniger Monate zieht sich eine neue, klare Linie durch den Paderborner Fußball, der mit blitzschnellem, mutigem Vertikalfußball den attraktivsten Ball der 3. Liga spielte und als Zweiter hinter dem 1. FC Magdeburg wieder aufstieg. Unter anderem hatte man unter großer Genugtuung den nun seinerseits arg schwächelnden Fast-Absteiger Osnabrück mit 5:0 aus dessen eigenem Stadion geschossen. Als Zweitliga-Neuling spielt Paderborn den selbstbewussten Stiefel einfach weiter – und wird nochmals Zweiter, steigt wieder in die Bundesliga auf. Sechs Jahre in Folge wird ein Klub stets Vizemeister oder Achtzehnter in seiner Liga, drückt im Fahrstuhl wie wild auf die Etagenknöpfe. Ob es das jemals wieder geben wird?

Das siebte Jahr im Fahrstuhl droht

Wer dieser Tage auf die Bundesliga-Tabelle schaut, der ahnt: Es könnte einmal mehr auf Platz 18 hinauslaufen. Kontinuität, dessen ist sich der Verein bewusst, wird er wenn, dann in der 2. Bundesliga schaffen können. Dort gehört der SC Paderborn hin. Ob er irgendwann nach so vielen turbulenten Jahren die Kurve kriegen wird, hängt auch an seinen Personalentscheidungen. Jüngst wirkte die abrupte Entlassung von Sportchef Martin Przondziono wie ein Rückfall in alte Zeiten. Auch ist fraglich, was nach einem möglichen Abgang von Steffen Baumgart passieren wird. Mit dem knurrigen wie charismatischen Ex-Profi steht und fällt der Erfolg des Vereins. Doch führt er sein Werk unnachgiebig weiter fort, wird er zwangsläufig attraktive Angebote bekommen.

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