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·3. September 2024

So läuft ein Medizincheck für einen Neuzugang

Artikelbild:So läuft ein Medizincheck für einen Neuzugang

In João Palhinha, Michael Olise und Hiroki Ito hat der FC Bayern in der Sommertransferperiode drei neue Spieler verpflichtet. Bevor ein Neuzugang seinen Vertrag beim deutschen Rekordmeister unterschreibt, muss er den obligatorischen Medizincheck durchlaufen. Was passiert da genau? Worauf achten die Clubärzte? Ein Autor unseres Mitgliedermagazins „51", ein ambitionierter AH-Fußballer, hat den Check gemacht.

Ich bin zum Medizincheck nach München gereist, wirklich wahr. Und durchlaufe die normalerweise streng vertraulichen Untersuchungen, die jeder Neuzugang über sich ergehen lassen muss, bevor er einen Vertrag beim FC Bayern unterschreibt. Was passiert da genau? Welche körperlichen Grundvoraussetzungen muss ein Profifußballer heute erfüllen? Und wie weit ist man als Freizeitsportler, der kaum ein Training ohne Bier und Wehwehchen beendet, von ihnen entfernt?


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Ein Mittwochnachmittag in der Klinik Barmherzige Brüder in Nymphenburg. Ein normaler Praxisraum. Wäre da nicht das gerahmte Foto an der Wand, auf dem David Alaba den Champions League-Pokal in die Höhe reckt. Er zeige gern auf das Bild, erzählt Professor Roland Schmidt, und sage dann zu den Neu-Bayern: „Next year you’ll be the one.“ Das lockere die Atmosphäre auf. Der Medizincheck ist für viele Neuzugänge der erste Termin in München. Oft kommen sie direkt vom Flughafen hierher und seien ein wenig aufgeregt. Roland Schmidt ist Kardiologe, Chefarzt für Innere Medizin und seit 2012 Teil des medizinischen Teams beim FC Bayern. Er ist regelmäßig beim Training und bei jedem Spiel dabei, er betreut die Spieler des aktuellen Kaders – und jeden potenziellen Neuzugang.

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Professor Roland Schmidt ist Kardiologe, Chefarzt für Innere Medizin und seit 2012 Teil des medizinischen Teams beim FC Bayern.

Schmidt beginnt mit vielen Fragen: Gab es in der Kindheit besondere Vorkommnisse, einen Körperkrampf vielleicht? Welche Impfungen liegen vor? „Ich will so viel wie möglich wissen“, sagt er. Manchmal seien Neuzugänge etwa nicht gegen die Frühsommer-Meningoenzephalitis geimpft, die von Zecken übertragen wird. Das wird dann nachgeholt. Bayern ist ein Zecken-Risikogebiet, und darum gehe es beim Medizincheck: Risiken zu erkennen und ihnen vorzubeugen. Weil bei einem Transfer heute viel Geld im Spiel ist. Aber auch aus Fürsorgepflicht: Der FC Bayern will sichergehen, dass niemand für den Club seine Gesundheit riskiert.

Danach horcht Schmidt mein Herz und meine Lunge ab, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. „Du machst aber schon regelmäßig Sport, oder?“, sagt der Kardiologe, während er mein Herz schlagen hört. Und als ich antworte, dass ich einmal die Woche trainiere und ab und zu am Wochenende ein Punktspiel habe, meint er tatsächlich, das merke man. Die Herzfrequenz sei recht niedrig, das deute auf eine gute Grundausdauer hin. Schmidt schlussfolgert, dass ich auf einer laufintensiveren Position spiele, vermutlich im Mittelfeld, und liegt damit richtig. Na bitte, so kann’s weitergehen. Für ein EKG bekomme ich zehn Elektroden auf verschiedene Stellen meines Körpers geklebt und lege mich seitlich auf eine Liege. Ein Profi kommt im Schnitt auf einen Ruhepuls zwischen 35 und 45, meiner liegt bei 50. Für jemanden wie mich ist das aber normal. Dann macht der FCB-Internist einen Ultraschall von Herz- und Bauchraum. Roland Schmidt fährt mit einem schmierigen Schallkopf über Brust und Bauch und begutachtet meine inneren Organe auf einem Bildschirm. „Sieht alles gut aus“, sagt er mit seiner angenehm ruhigen Stimme – und ich bin ehrlich erleichtert. Anders als die Fußballprofis werde ich ja nicht standardmäßig durchgecheckt.

Blackout bei der Bodyplethysmografie

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Bei der Bodyplethysmografie wird die Funktionsfähigkeit der Lunge überprüft.

Dramatisch wird es dafür beim nächsten Untersuchungsschritt. Ich sitze in einem telefonzellengroßen geschlossenen Glaskasten, meine Nase ist mit einer Klammer zugeklemmt, und mit meinen Lippen umschließe ich ein kleines Plastikrohr. Von draußen dringen gedämpft Befehle wie „ganz ruhig ein- und ausatmen“ und „jetzt die ganze Luft raus, weiter, weiter, weiter“ zu mir herein. Und zwischendrin geht immer wieder plötzlich eine Klappe herunter und sorgt dafür, dass keine Luft mehr rein- oder rausgelangt. Bei der Bodyplethysmografie wird die Funktionsfähigkeit der Lunge überprüft. Ich gebe alles, atme ein und aus, obwohl ich längst das Gefühl habe, dass sich keine Luft mehr in meiner Lunge befindet oder keine mehr reinpasst. Aber kurz vor Schluss kann ich nicht mehr. Schweiß rinnt von meiner Stirn, und mir wird schwarz vor Augen. Ich bitte um eine Pause und bin mir sicher: Das war’s. Ein denkbar unheroischer Moment.

Ich stürze drei Becher Wasser herunter und komme wieder zu mir. Was ist passiert? Ach, alles halb so wild, meint Roland Schmidt. Ich hätte eine vasovagale Reaktion gezeigt. Durchs ungewöhnliche Atmen sei mein Kreislauf durcheinandergeraten. „Das kommt immer wieder mal vor, auch bei Profis.“ Meine Werte seien völlig in Ordnung. Ich glaube ihm nicht, habe den Eindruck, dass er mich in der Folge schont. Den standardmäßigen Bluttest, der viel über die Leistungsfähigkeit eines Sportlers verrät, lässt er aus. Werden die Organe mit ausreichend Sauerstoff versorgt? Worauf muss bei der Ernährung geachtet werden? Vielleicht ist er besorgt, mir könnte schwindelig werden, wenn ich Blut sehe? Und Schmidt traut mir offenbar auch nicht das volle Belastungs-EKG zu. Bei diesem Finale des internistischen Medizinchecks tritt man auf dem Fahrrad-Ergometer zunächst mit 100 Watt – alle zwei Minuten wird der Widerstand um 50 Watt erhöht. Ein FCB-Profi muss 300 bis 400 Watt schaffen (Körpergewicht mal vier). Da ich mit 86 Kilogramm so viel wiege wie Harry Kane, müsste ich somit am Ende zwei Minuten lang 350 Watt schaffen. Doch ich darf nur zwei Minuten bei 100, zwei bei 200 und zwei bei 250 in die Pedale treten. Genug, um zu erkennen, dass bei mir alles okay sei, meint Schmidt. Nicht, dass ich morgen Muskelkater bekäme. Ich bin ein wenig beleidigt und denke: Da wäre mehr gegangen. Ich bleibe still. Prinzipiell alles in Schuss, meint Schmidt. Wobei mein Herz weniger leistungseffizient sei als das eines Profis. Bei Leistungssportlern erhöht sich die Herzfrequenz bei steigender Belastung erst später und langsamer und normalisiert sich wieder schneller nach Ende der Belastung.

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Professor Peter Ueblacker ist Orthopäde und einer von drei Mannschaftsärzten des FC Bayern.

Weiter geht’s mit Teil zwei des Medizinchecks. Er findet im Untersuchungsraum von Professor Peter Ueblacker statt. Der Orthopäde teilt sich an der Säbener Straße eine Praxis mit Doktor Jochen Hahne, dem dritten Mannschaftsarzt des FC Bayern. Ueblacker und Hahne sind dafür zuständig, Gelenke, Knochen und Muskeln von Neuzugängen zu untersuchen und mögliche Schwachstellen zu lokalisieren. Sind alle bekannten Verletzungen gut verheilt? Gibt es verborgene Problemzonen? Entdecken sie etwas, teilen sie das Sportvorstand Max Eberl und Sportdirektor Christoph Freund mit. Das kann dazu führen, dass vertragliche Details angepasst werden – oder die Verpflichtung im Extremfall platzt. Vor allem aber geht es um Prävention, erklärt er. Athletiktrainer und Physiotherapeuten sollen von Anfang wissen, in welchen Bereichen sie mit neuen Spielern besonders viel arbeiten sollten, um Verletzungen vorzubeugen.

Zuerst untersucht Peter Ueblacker mich im Stehen, danach lege ich mich auf der Liege ab. Während er Gelenke und Muskeln abtastet, vollführt er einige Verrenkungen mit mir. Er gibt Anweisungen wie „anspannen“, „anheben“ oder „locker lassen“. Zunächst mit erfreulichem Ergebnis: Die Hüftrotation sei außergewöhnlich gut und die Beine könne ich durchgedrückt erstaunlich weit zu mir heranziehen. Auch die hintere Oberschenkelmuskulatur, die Verletzungsregion Nummer eins, sei bei mir intakt. Beim Knie jedoch verharrt er eine Weile zu lang: „Fühlt sich so an, als hätte sich hier Flüssigkeit gebildet, da müsste man sich den Knorpel mal genauer anschauen.“ Und wie erwartet stimmt ihn auch mein rechtes Sprunggelenk misstrauisch. „War da mal irgendwas?“, fragt er, während er es hin- und herbiegt.

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Während der orthopädischen Untersuchung lassen die FCB-Ärzte an der Säbener Straße auch MRT-Bilder der Gelenke anfertigen.

Ich beschließe, die Wahrheit zu sagen: Ich habe lange Handball gespielt, und einmal hat sich bei einem Zweikampf ein Knorpel-Knochen-Stück gelöst. Das Ende meiner Karriere im Leistungssport. Nach vielen Stabilisationseinheiten auf dem Wackelbrett reicht’s heute noch für Altherren-Fußball. Aber für Profifußball? Nun ja. Das Schöne ist, dass mir Peter Ueblacker das nicht so klar sagt. Dafür müsste er mich erst in die MRT-Röhre im Raum nebenan schieben. Eineinhalb Stunden werden Neuzugänge dort zum Abschluss des Medizinchecks durchleuchtet. Für die Ärzte eine Möglichkeit, die ertasteten Problemzonen genauer anzuschauen und eine präzise Diagnose zu stellen. Doch es ist kurz nach 19 Uhr und Professor Martin Mack, der Radiologe beim FC Bayern, hat die Geräte schon heruntergefahren. Peter Ueblacker bleibt nichts anderes übrig, als mir zu attestieren, dass „eigentlich alles ganz okay“ sei. Er könnte Eberl und Freund jetzt nur mitteilen, dass meine Gelenke risikobehaftet seien.

Kaum zu glauben, aber damit nennen mir nach einer dreieinhalbstündigen Untersuchung weder er noch Roland Schmidt einen klaren Grund, warum ich nicht imstande wäre, Profifußball zu spielen. Rein körperlich, wohlgemerkt. Talent wurde ja nicht getestet. Und klar, bei der Fitness haben sich gewisse Defizite angedeutet. Aber wenn der FC Bayern Interesse zeigen würde, wäre ich bereit, hart daran zu arbeiten. Ein Anruf genügt.

Fotos: Daniel Delang

Der Bericht erschien in der August-Ausgabe des Mitgliedermagzins „51“:

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