Saisonstart voller Irrtümer | OneFootball

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·22. November 2020

Saisonstart voller Irrtümer

Artikelbild:Saisonstart voller Irrtümer

Vor einigen Wochen, exakt am letzten Tag der Sommertransferperiode, von Sky stets groß als Deadline Day verkauft, war ich stark geneigt, dem TV-Sender aus Unterföhring zuzustimmen und den Tag als wirklichen Deadline Day zu begreifen. Es schien mir nicht nur das Ende der Transferperiode zu sein, es war auch das Ende meines Optimismus bezüglich der Saison. Mit den Siegen dieser Saison kam dieser allerdings schrittweise wieder zurück. Was hat sich geändert?

Meine damalige Einschätzung war auch vom Frust getrieben. Vom Frust über die Unentschieden am Saisonanfang, vom Frust über Karim Bellarabi, vom Frust über die Verletzungen, vom Frust über den unausgeglichenen Kader und vom Frust über das offensichtlich wenig professionelle Verhalten in der Causa Rashica, der den Kader hätte ausgleichen können.Aber der leichte Fatalismus war nicht einfach nur emotional getrieben, ein paar andere Entwicklungen machten mir auch Sorgen. Da wäre die direkte Konkurrenz: Borussia Mönchengladbach konnte alle Stützen halten und den Kader sogar weiter verstärken, Dortmund und Leipzig verloren zwar mit Hakimi und Werner jeweils einen entscheidenden Spieler, gleichzeitig aber auch jeweils nur einen. Ich ging davon aus, dass sich dadurch bei den beiden Mannschaften nicht so sehr die Struktur im Spiel ändern würde wie bei Bayer durch die Abgänge von Havertz und Volland. Und eine geänderte Struktur ist so ziemlich das letzte, was man in dieser Saison haben möchte, wenn man nicht gerade Schalke ist. Denn es gab gewissermaßen keine Sommervorbereitung und zwischen den Spielen bleibt auch keine Zeit für ordentliches Training, denn zwischen den Spielen befinden sich nur noch weitere Spiele. Die hohe Belastung verstärkte meine Sorgen, denn der kleine Kader wurde durch Verletzungen noch weiter dezimiert. Obendrein überzeugten die Partien gegen Wolfsburg und Stuttgart spielerisch nicht.


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Es entwickelte sich aber erheblich besser. Es kamen zwar weitere Verletzungen hinzu, die Mannschaft schien das aber nicht zu interessieren. Leverkusen offenbarte eine große Unabhängigkeit von einzelnen Spielern. Größtenteils wurde mit dem Kader der letzten Rückrunde gespielt, allerdings ohne Volland und Havertz. Wären beide in der letzten Rückrunde ausgefallen, wäre es ein großes Drama gewesen, nun scheint es kein Thema zu sein. Obendrein fehlt aktuell mit Aránguiz der wohl wichtigste Feldspieler. Die Verletzungen und Abgänge werden stattdessen im Kollektiv aufgefangen. Dass das so reibungslos funktioniert, überrascht mich, ist gleichzeitig aber auch nötig. Nicht zuletzt aufgrund der Rotationen, die zwangsläufig vorgenommen werden müssen. Es sind nun noch neun Spiele bis Weihnachten bei begrenzten Rotationsmöglichkeiten. Bis jetzt spürte man die Belastung noch nicht. Es ist eher schwer vorstellbar, dass das so bleibt und dann kann es schnell zum Problem werden. Nicht nur, dass Leverkusens Spiel nach wie vor sehr von der Intensität abhängt, der Gegner steht auch meistens sehr tief. Um sich dann Chancen zu erspielen, kommt es ganz essentiell auf die Passschärfe an, also Schnelligkeit auf dem Platz und im Kopf. Dafür braucht es Frische.

Ebenfalls unterschätzt habe ich die Qualität des Kaders, was auch daran liegt, dass sich Spieler, die nun zu mehr Einsatzzeiten kamen, verbessern konnten. Amiri ist nun erheblich besser im Spiel eingebunden, zeigt gute Distanzschüsse, hat deutlich mehr Zug zum Tor und spielt öfter scharfe Vertikalpässe, die zwar nur manchmal in anschließende Passkombinationen gut eingebunden sind, aber grundsätzlich das richtige Mittel sind. Wirtz kam nun zu mehr Einsätzen im Zentrum, ebenso wie Alario in der Sturmspitze. Bailey zeigte schrittweise Verbesserungen und Baumgartlinger sich als stabile Konstante im Mittelfeld. Ohne den Österreicher wäre Leverkusen bisher aufgeschmissen gewesen. Für Demirbay gilt derlei noch nicht, aber da Aránguiz und Palacios noch länger ausfallen werden, sind bei ihm auch noch Einsatzzeiten garantiert. Das Sprungbrett Europa League wird sich auftun, ob er es nutzt, vermag ich nicht zu sagen.

In der letzten Saison offenbarte sich ein Paradoxon: Obwohl die Offensive so stark besetzt war und in der Defensive stets über die ausbaufähige personelle Situation auf den Außen geklagt wurde, lagen Leverkusens Probleme eindeutig in der Offensive, die Defensive war indes stabil. Daran hat sich im Grunde nichts geändert. In der Bundesliga kassierte Bayer nur gegen Gladbach und Freiburg mehr als ein Gegentor. Gleichzeitig finde ich Bayer Leverkusens offensive Spielanlage nach wie vor noch nicht überzeugend genug, dafür werden immer noch zu wenig Chancen aus dem Spiel herausgespielt. Das war die gesamte letzte Saison schon ein Problem. Gegen Bielefeld flankte Bayer 39 Mal, erinnern kann man sich nun an keine einzige mehr. Denn einfallslose Flanken führen selten zu geistreichen Angriffen. Leverkusen ist zwar erfolgreicher als letzte Saison, aber nicht, weil sie sich mehr Torchancen erspielen, sondern weil sie die vorhandenen konsequenter zu Ende spielen. Die expected Goals wurden deutlich überperformt (16 Tore aus 9,2 xG) und zahlreiche Tore wurden aus Standardsituationen erzielt. Letzteres mit Ansage, so sagte Bosz jüngst, dass man als Trainerteam in der Bewertung der letzten Saison die geringe Standardgefahr monierte und deshalb daran arbeitete. Schien geklappt zu haben. Mich freut die neue Effizienz, sie beruhigt mich aber nicht. Dafür müsste sie nachhaltig sein und da bin aktuell nur verhalten optimistisch.

Zuletzt noch etwas Grundsätzliches: Die geschätzten Kollegen vom BayPod, einem hörenswerten Podcast über die Werkself, sprachen bereits mehrmals über eine „neue, eher unspektakuläre Spielweise“, zuletzt bezogen auf das Spiel gegen Bielefeld. Ich kann das nachvollziehen, denke aber, dass sie irren. Zwar ist es richtig, dass Leverkusens Spiele oftmals unspektakulär sind, aber ich würde das nicht auf eine Änderung der Spielweise zurückführen.Wenn die gegnerische Mannschaft tief steht, wird’s grundsätzlich schon einmal schwierig mit dem Spektakel. Vom Gegner wird’s nicht kommen, er wartet nur auf den Umschaltmoment und von Leverkusen nur dann, wenn es trotz der defensiven Spielweise des Gegners gelänge, viele Tore zu schießen. Diese Qualität hat Leverkusen wie oben beschrieben meist nicht. Um tiefstehende Gegner zu knacken, braucht es daher vor allem Geduld, folglich sind die Spiele gegen tiefstehende Gegner meist alle ähnlich unspektakulär. Viel Ballbesitz, viele horizontale Pässe und nur phasenweise hohes Tempo. Diese Art von Spielen gab es auch in der Vorsaison, aber ich denke, dass sie zugenommen haben. Das liegt nicht an einer „neuen Spielweise“, sondern an gegnerischen Mannschaften, die vermehrt defensiv stehen. Mehrere Gründe ließen sich anführen: Mein Eindruck ist, dass aufgrund des vollen Spielplans noch mehr Vereine auf einen defensiven Umschaltfußball setzen, da es der vermeintlich einfachere Weg ist, wenn schon keine Zeit für taktisches Training bleibt. Eigene Zuschauer*innen könnten das normalerweise abstrafen und unruhig werden, wenn die eigene Heimmannschaft nur hinten mauert, allerdings gibt es keine Zuschauer*innen mehr, die pfeifen könnten. Aus demselben Grund haben auch die Rückpässe zum Torhüter seit Beginn der Geisterspiele zugenommen. Mannschaften werden nicht mehr vom Publikum getrieben, das hat positive und negative Effekte aufs Spiel. Zudem besteht die Bundesliga auch einfach aus vielen Mannschaften, die ungern den Ball haben wollen, das zieht sich hoch bis zum VfL Wolfsburg unter Oliver Glasner. Steffen Baumgart hatte letzte Saison einen anderen Ansatz, der SC Paderborn ist allerdings abgestiegen und aufgestiegen ist u.a. eben Arminia Bielefeld. Eine offensive Mannschaft weniger, eine defensive mehr in der Liga. Zwei Spektakelspiele weniger, zwei unspektakuläre mehr. Und nicht zuletzt kennt man Peter Bosz mittlerweile in der Bundesliga. Es hat sich gezeigt, wie man die größten Chancen gegen Bayer Leverkusen hat, wenn man individuell nicht mithalten kann: Defensiv kompakt stehen, gerne im 4-4-2, je nach Leverkusener Staffelung im Mittelfeld den Sechser pressen oder gar in Manndeckung nehmen und den Bayer zu Flanken zwingen, sofern die Absicherung im Zentrum passt. Dann ist es kein Wunder, wenn Leverkusens Spiele oftmals unspektakulär sind, denn ein Spiel hängt stark vom Gegner ab und nicht jeder ist auf den offenen Schlagabtausch aus.

Der Saisonstart war nun sehr erfolgreich, für mich unerwartet gut. Die Auftritte waren erfreulich konstant, aber nicht auf dem allerhöchsten Niveau. Ich habe noch kein Spiel gesehen bei dem ich das Gefühl hatte, ich bekäme ein Leistungshoch zu sehen, was mir neu wäre. In Angesicht der Umstände dieser Saison ist das aber auch nicht mein Anspruch, aber eben jene Umstände lassen mich noch zweifeln. Keine Niederlage und 18 Punkte nach acht Spielen hätten das Potenzial für Euphorie, die habe ich aber nicht bevor nicht einerseits weitere Spieler zurückkehren und andererseits mehr spielerische Mittel gegen tiefe Abwehrketten sichtbar werden.

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