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·31. März 2023

Real Madrid und die Außenverteidiger: Vom Prunkstück zur Baustelle

Artikelbild:Real Madrid und die Außenverteidiger: Vom Prunkstück zur Baustelle

Carvajal und Mendy erleben keine einfache Saison – Foto: OSCAR DEL POZO / AFP / ANDER GILLENEA / AFP


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Marcelos Lücke und Carvajals Einbruch

Denken Madridistas an die Saison 2016/17 zurück, dürfte eine große Portion Wehmut mitschwingen. Und zwar nicht nur, weil man mit fünf Titeln die erfolgreichste Spielzeit in der Vereinshistorie hinlegte, sondern weil man vermutlich auch über einen der besten und ausgeglichensten Kader im Vereinsfußball überhaupt verfügte. So konnte es sich Zinédine Zidane gar leisten, gegen Ende der Saison mit mehr oder weniger zwei verschiedenen „Teams“ anzutreten und so die Belastung in Liga und Champions League gleichmäßig auf viele Schultern zu verteilen. Vergleicht man die damalige Tiefe des Kaders und vor allem die Qualität der vermeintlichen „B-Elf“ mit der aktuellen Situation, erscheint es nahezu absurd, wie ausgeglichen und breit die Königlichen vor sechs Jahren besetzt waren.

Selbstredend zogen zum damaligen Zeitpunkt vor allem die Offensive um Cristiano Ronaldo sowie das Mittelfeld-Trio Casemiro, Toni Kroos und Luka Modrić den Großteil der Aufmerksamkeit auf sich. Mit Marcelo und Daniel Carvajal verfügte man zu diesem Zeitpunkt jedoch auch über die zwei vermutlich besten Außenverteidiger der Welt, welche auf dieser Position neue Maßstäbe setzten. Insbesondere der Brasilianer agierte phasenweise als verkappter Spielmacher über die linke Außenposition, während sein spanisches Pendant auf rechts durch seine Dynamik und Wucht nicht minder wenig offensive Momente kreierte. Im Verbund mit Ronaldo und Co. eine Waffe, die den Blancos so einige Spiele rettete und letztlich auch Titel bescherte.

Doch im Fußball währt bekanntlich nichts ewig und mittlerweile hat sich das einstige Prunkstück der Königlichen zu einer der größten Baustellen im Kader entwickelt. Einerseits, weil Marcelo nach 2018 nie mehr wirklich an seine Hochphase anknüpfen konnte und so eine (zumindest offensiv) kaum zu schließende Lücke hinterließ. Andererseits, weil Carvajal ebenfalls einen extremen Leistungseinbruch erfuhr und vor allem körperlich längst nicht mehr in der Verfassung früherer Jahre ist. Sein gutes Positionsspiel und das Gespür für die Situation sind zwar sehr wohl noch vorhanden und blitzen auch immer mal wieder auf, doch durch die mittlerweile fehlende Explosivität und Agilität hat der Canterano seine wohl größte und wichtigste Waffe verloren und wirkt so phasenweise nur noch wie ein Schatten seiner selbst.

Verletzungen en masse

Einen gewichtigen Grund hierbei spielen zweifelsohne die zahlreichen Verletzungen, oftmals muskulärer Natur, die Reals Rechtsverteidiger während der letzten Jahre regelmäßig außer Gefecht setzten. So kommt der mittlerweile 31-Jährige seit der Saison 2020/21 auf 361 dokumentierte Verletzungstage und 54 verpasste Pflichtspiele. Und auch der Blick in diverse Statistiken verrät: Carvajal baut seit 2020 kontinuierlich ab und hat längst nicht mehr den Einfluss auf das königliche Spiel vergangener Tage. Egal ob Torvorlagen, Schüsse aufs Tor, erfolgreiche Pässe, erfolgreiche Flanken, versuchte Dribblings (alle Werte pro 90 Minuten) – die Kurve im Vergleich zur letzten Saison zeigt in allen offensiven Bereichen ausnahmslos nach unten. Selbiges gilt auch in der Defensive sowohl für erfolgreiche Tacklings (von 2,5 auf 1,85 pro 90 Minuten) als auch abgefangene Bälle (von 1,16 auf 0,8). Kein einziges Mal ist er mit Ball in den Strafraum gezogen!

Bei Pendant Ferland Mendy ist die Situation ähnlich. Während den Franzosen vergangene Saison immer wieder kleinere Blessuren für ein bis zwei Wochen außer Gefecht setzten (insgesamt sind fünf Verletzungen dokumentiert), verpasste er in dieser Spielzeit bereits 13 Partien aufgrund einer schwereren Muskelverletzung und feierte erst kürzlich sein Comeback. Ob der 27-Jährige nun endlich einmal längerfristig fit bleibt, gilt es nun abzuwarten. Update: wird er nicht.

Nun möchte man meinen, dass ein Spitzenteam wie die Königlichen in der Lage sein sollte, zumindest die Verletzungen temporär auffangen zu können. Doch weit gefehlt: Auf der Linksverteidiger-Position steht nominell eigentlich gar kein positionsgetreuer Ersatz zur Verfügung und David Alaba, der diese Position in seiner Anfangszeit bei Bayern München bekleidete und als gelegentlicher Back-Up für diese Position vorgesehen ist, hat diese Saison ebenfalls mit erheblichen Verletzungsproblemen zu kämpfen. So kommt der Österreicher in 2023 auf gerade einmal sechs Pflichtspieleinsätze für die Blancos. Ähnlich gestaltet sich die Situation bei Lucas Vázquez, der sich Anfang des Jahres eine hartnäckige Sprunggelenksverletzung zuzog und von seiner Bestform aktuell weit entfernt ist.

Mendy und Vinícius harmonieren nur bedingt

Doch genau genommen ist die Verletztenmisere auf den Außenpositionen nicht unbedingt das Hauptproblem der Blancos, vielmehr zeigen sich hier einmal mehr die strukturellen Probleme in der Kaderzusammenstellung. Davon ab, dass für Mendy eigentlich kein Eins-zu-Eins-Ersatz vorhanden ist, besitzt der Franzose für das Zusammenspiel mit Vordermann Vinícius Júnior nicht wirklich das passende Profil. Als vorrangig defensiv orientierter Außenverteidiger, dessen Stärke im defensiven Eins-gegen-Eins und im Verteidigen von großen Räumen hinter der Kette liegt, war der französische Nationalspieler insbesondere zu Beginn von Zidanes zweiter Amtszeit, als die Stabilisierung der Defensive Priorität genoss, nachweislich der richtigen Mann.

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Doch mit Vinícius’ endgültigem Durchbruch unter Ancelotti veränderte sich die Statik im Spiel der Blancos zu wieder mehr Flügellastigkeit und einem größeren Fokus auf Umschaltmomente. Aufgrund seiner immensen Schnelligkeit sowie seiner Fähigkeiten im Eins-gegen-Eins kreiert der Brasilianer zwar immer noch massig Chancen, doch mittlerweile hat sich ein Großteil der Gegner auch entsprechend auf Reals Flügelflitzer eingestellt und weiß diesen durch geschicktes Doppeln oder gar Trippeln in die Schranken zu weisen. Die Problematik: Es mangelt an entsprechender Unterstützung aus der Verteidigung, um durch Hinter- oder Vorderlaufen entsprechende Räume aufzuziehen oder Möglichkeiten der Spielfortsetzung zu bieten. Zwar garantiert Mendy für gewöhnlich ein hohes Maß an defensiver Stabilität, dennoch würde Vinícius bisweilen ein vertikalerer und offensiverer Partner gut tun, um sein Spiel noch besser entfalten zu können beziehungsweise um der königlichen Offensive mehr Variabilität zu verleihen.

Experiment Camavinga, Hoffnungsträger Fran García

Bedingt durch die Verletztenmisere war Ancelotti in den letzten Wochen phasenweise gezwungen, mit Eduardo Camavinga einen völlig positionsfremden Spieler auf der linken Seite auszuprobieren. Ein Experiment, das überwiegend jedoch aufging. Dank seiner Explosivität, körperlichen Robustheit und technischen Finesse verlieh der Franzose dem königlichen Spiel eine neue, überraschende Komponente und zeigte sehr gute Ansätze. Vor allem durch sein situatives, zentrales Einrücken im Spielaufbau sorgte der 20-Jährige für eine verbesserte Staffelung im Ballbesitz, die Vinícius mehr Freiheiten ermöglichte. Im Spiel gegen den Ball machte sich die ungewohnte Position dennoch ab und an bemerkbar. Neben den für ihn manchmal typischen Leichtsinnsfehlern unterliefen Camavinga immer wieder auch leichte Stellungsfehler, die er durch seine bemerkenswerten Fähigkeiten im Zweikampf sowie seine Schnelligkeit jedoch zumeist noch ausbügeln konnte. Mit seinen zuletzt starken Leistungen in der Zentrale machte der französische Nationalspieler jedoch deutlich, dass seine Zukunft definitiv im Mittelfeld liegen sollte und das Ausweichen auf die linke Abwehrseite lediglich eine – zugegebenermaßen attraktive – Notlösung darstellt.

Zumindest dem Thema der mangelnden Alternativen hat man sich bei den Blancos auf der linken Seite nun angenommen und wird Eigengewächs Fran García, aktuell bei Liga-Konkurrent Rayo Vallecano, zur neuen Saison an die Concha Espina zurückholen. Und es erscheint zumindest nicht unrealistisch, dass der 23-Jährige am Ende mehr sein kann, als nur ein verlässlicher Back-Up. Denn anders als Mendy ist der Spanier weitaus vertikaler in seinem Spiel, sucht immer wieder die Tiefe und zählt statistisch zu den besten Ballschleppern der Liga. Eigenschaften, die sich hervorragend mit Vinícius’ Spielweise ergänzen könnten. Durch seine Geschwindigkeit und Spielintelligenz ist er zudem auch defensiv verlässlich. Möglicherweise gelingt es also tatsächlich, die bestehende Vakanz auf links sogar mit einem Mann aus den eigenen Reihen zu füllen.

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Nacho: Vom Notnagel zur Dauerlösung für das Saisonfinale?

Bleibt noch die Baustelle auf der rechten Seite. Tatsächlich erwies sich hier „Notnagel“ Nacho Fernández als die verlässlichste Lösung in den letzten Wochen. Offensiv zwar mit überschaubarem Einfluss, sorgte der Canterano defensiv für die notwendige Stabilität und zeigte durch die Bank fehlerfreie Vorstellungen. Reals Nummer 6 präferiert zwar klar eine Position in der Zentrale, die Chancen auf regelmäßige Einsatzzeiten scheinen auf der Außenposition aktuell jedoch deutlich größer.

Spannend wird, wie Ancelotti die Thematik mit Blick auf das Saisonfinale versuchen wird zu lösen. Links hinten dürfte ein fitter Mendy – auch mangels Alternativen – gesetzt sein. Aber auch eine Konstellation mit Alaba scheint denkbar, da Antonio Rüdiger sich zuletzt merklich stabilisierte und im Verbund mit Éder Militão verlässliche Auftritte im Zentrum hinlegte. Dass Carvajal seinen Stammplatz hergeben muss, ist – bedingt durch Ancelottis Festhalten an Bewährtem – ebenfalls eher unwahrscheinlich, doch eigentlich sprechen die Leistungen aktuell klar für Nacho. Denn auch hier steht fest: Ähnlich wie bei den Personalien Rodrygo Goes oder Dani Ceballos muss sich Ancelotti für die anstehenden Aufgaben etwas einfallen lassen und möglicherweise auch mit bestehenden Strukturen brechen, um die stockende Dynamik im königlichen Spiel zu beleben. Für die nächste Saison gilt dies nämlich ohnehin.

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