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·13. August 2025
Real Madrid: Mit Xabi Alonso zurück an die Spitze Europas?

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·13. August 2025
Bei Real Madrid soll Xabi Alonso eine Saison zum Vergessen auch wirklich vergessen machen. Kann man dem Leverkusener Erfolgscoach das zutrauen? Die Voraussetzungen dafür sind gegeben. Klar ist aber auch: Es gilt einige Probleme zu lösen und offene Fragen zu klären.
Die abgelaufene Saison, so viel ist sicher, war eine Enttäuschung für alle Madridista. In der Liga nur die Vizemeisterschaft hinter dem Erzrivalen aus Barcelona, dem man auch im nationalen Pokalfinale und im Supercup unterlag. Auch in der Champions League ging es nicht über das Viertelfinale hinaus, wo gegen Arsenal Schluss war. Die Konsequenz: Carlo Ancelotti musste nach vier Jahren im Amt sein Trainerbüro räumen, in Xabi Alonso übernahm eine Klublegende das Ruder. Der spanischen Welt- und Europameister war die heißeste Aktie auf dem Trainermarkt und die absolute Wunschlösung aller Beteiligten. Dass es den Double-Architekten von Bayer Leverkusen zurück in die spanische Hauptstadt zum Weltklub Real Madrid ziehen würde, war logisch und vorhersehbar. Einst spielte Alonso unter Ancelotti, nun beerbt er ihn also.
Doch was dürfen sich die Fans vom ehemaligen Mittelfeld-Star erwarten? Eine Revolution wird es wohl nicht geben. Und doch bringt der Übergang von Pragmatiker Ancelotti zu Visionär Alonso einige Änderungen mit sich. Der neue Trainer wird risikoreicher spielen lassen, seine Ideen von einem offensiven Ballbesitzfußball implementieren wollen. Zumal es auch Kritik an Ancelotti und seiner teilweise etwas lethargisch anmutenden Spielweise gab.
(Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)
Ein bisschen mehr Bayer Leverkusen im Bernabéu also? Es dürfte in jedem Fall spektakulärer werden. Gleichzeitig wird Alonso aus seiner Zeit unter dem Bayer-Kreuz gelernt haben, vor allem, was die defensive Absicherung und Abstimmung betrifft. Das war auch bei den Königlichen unter Ancelotti ein Problem, vor allem in wichtigen Spielen gegen starke Gegner. Gegen den FC Barcelona kassierte Real in der abgelaufenen Saison 16 Gegentore in vier Spielen, im Champions-League-Viertelfinale gegen Arsenal waren es deren fünf nach Hin- und Rückspiel.
Einer, der der Hintermannschaft mehr Stabilität verleihen soll, war in Spanien bis vor etwa einem halben Jahr höchstens Fußballnerds ein Begriff: Dean Huijsen. Beim AFC Bournemouth in der Premier League entwickelt sich der 1,95 Meter große Beidfüßer zu einem der begehrtesten Innenverteidiger Europas. Rund 60 Millionen Euro zahlten die Verantwortlichen von Real Madrid für die Dienste des 20-Jährigen, der im März sein Debüt für die Selección gab.
Der Spanier mit niederländischen Wurzeln ist ein Alleskönner in der Innenverteidigung und für sein junges Alter schon ziemlich reif. Neben seinem Timing in Luft- wie Bodenzweikämpfen wird Alonso vor allem an der Spieleröffnung des bei Juventus ausgebildeten Defensivspezialisten Gefallen finden.
(Photo by Michael Reaves/Getty Images)
In dieser Kategorie hat auch Trent Alexander-Arnold seine Stärken. Der Rechtsverteidiger kam ablösefrei aus Liverpool und ist zweifelsohne der Star-Neuzugang beim 15-fachen Henkelpott-Gewinner. Der 26-jährige Engländer stellt zumindest auf dem Papier ein deutliches Upgrade für die lange vakante Rechtsverteidiger-Position dar, vor allem was den Spielaufbau und Flanken angeht. In der Praxis muss sich allerdings zeigen, wie Alonso die defensiven Unzulänglichkeiten von Trent – so steht es künftig auf seiner Trikot-Rückseite – umschiffen will. Die Statik der Madrilenen wird mit dem technisch versierten Rechtsfuß nämlich noch offensiver werden – und die Defensive war bekanntlich eine Problemzone. Hier wird Alonso die nötige Balance finden müssen, damit nicht zu viel an Thibaut Courtois hängenbleibt, der seinen Vorderleuten mit Weltklasse-Paraden schon so manchen Punkt gerettet hat.
Was Alexander-Arnold in jedem Fall noch mitbringt, ist Variabiliät. Neben der Rechtsverteidiger-Postion hat Alonso die Möglichkeit, das Liverpooler Eigengewächs auch im Mittelfeld-Zentrum aufzubieten. Zumindest könnte er situativ einrücken, um den Spielaufbau aus dem Zentrum heraus stärker zu beeinflussen. Hier wird Toni Kroos nämlich noch immer schmerzlich vermisst. Ohne die deutsche Nummer 8 fehlte es in der abgelaufenen Spielzeit an Ruhe, Organisation und Kreation. Der Dirigent im Mittelfeld – den hatte Alonso bei Bayer in Granit Xhaka. Bei Real Madrid könnte Alexander-Arnold zumindest unterstützend in diese Rolle schlüpfen.
(Photo by Luke Hales/Getty Images)
Wenngleich Jude Bellingham infolge einer Schulter-OP den Saisonstart verpassen wird, ist die Schaltzentrale der Königlichen ansonsten hochklassigen besetzt. Im Maschinenraum des spanischen Rekordmeisters wird vor allem Fede Valverde eine große Rolle zuteil. Der 27-Jährige ist unheimlich laufstark, arbeitet gut gegen den Ball und hat wohl einen der besten Distanzschüsse im Weltfußball, kann dazu auf verschiedenen Positionen spielen. Unter Ancelotti entwickelte sich der Uruguayer vom Ergänzungs- zum Schlüsselspieler, um dessen Qualitäten auch Alonso kaum herumkommen wird.
Das Prunkstück der Mannschaft liegt aber nach wie vor in der vordersten Front. Hier kann sich Alonso in Vinicíus Junior und Kylian Mbappé an purem Luxus bedienen. Ein Problem muss der 43-jährige Fußballlehrer dennoch lösen: So genial die beiden Angreifer als Einzelspieler sind, so ausbaufähig ist das Zusammenspiel als Duo. Hier muss Alonso noch ein bisschen herumschrauben, um das Optimum aus seiner Tormaschinerie herauszuholen.
Zu dieser gehört neuerdings etwas überraschend auch Eigengewächs Gonzalo García. Letzte Saison bei der Zweitvertretung der Königlichen noch Torschützenkönig in der 3. Liga, durfte der 21-jährige Mittelstürmer bei der Klub-WM plötzlich auch bei den Profis direkt von Beginn an ran – und rechtfertigte das Vertrauen Alonsos mit vier Toren, die ihn auch in den USA zum geteilt besten Turnierschützen machten. Im 1,82 Meter großen Rechtsfuß hat Real Madrid wieder den Typ Mittelstürmer in den eigenen Reihen, der seit dem Abgang von Joselu im vergangene Sommer schmerzlich vermisst wurde: Wuchtig, durchsetzungsstark, eiskalt vor dem Tor.
Foto: Getty Images
Einen weiteren Fingerzeig von Alonso gab es Richtung Rodrygo, der in den USA nur ein einziges Mal von Beginn an ran durfte. Real Madrid, so viel ist klar, würde den Flügelstürmer bei einem passenden Angebot ziehen lassen. Aktuell gibt es allerdings noch keine klaren Tendenzen, die gilt es spätestens bis zum Deadline Day Anfang September abzuwarten. Dass der 24-jährige Brasilianer offenbar nicht mehr gebraucht wird, spricht jedenfalls für die immense Qualitätsdichte im Kader.
Fußballerische Klasse ist also zuhauf vorhanden, und doch gibt es einige Themen, denen sich Alonso widmen muss. Wie wird die Defensive stabiler, vor allem mit einer noch offensiveren Ausrichtung? Wer schwingt den Dirigentenstab im Mittelfeld? Wie finden Vinícius und Mbappé besser zueinander? Wie schnell verstehen die Spieler den Fußball, den Alonso spielen lassen will? Dazu gehört auch die Frage nach dem System: Klassisch im 4-3-3? Mit zwei Stürmern? Oder sogar eine Dreierkette? Alonso hat viele Optionen und einiges ausprobiert. Eine Möglichkeit ist, dass er sich wie in Leverkusen auf eine Formation festlegt und diese je nach Gegner und taktischer Ausrichtung etwas justiert.
Zusätzlich muss Alonso eine neue Führungsachse finden. Nach den Abgängen von Karim Benzema, Toni Kroos und Nacho Fernández in den vergangenen Jahren sind nun auch Luka Modric und Lucas Vázquez weg. Wer übernimmt künftig Verantwortung auf dem Platz, wer führt die jüngeren Spieler in der Kabine? Dani Carvajal ist einer der wenigen verbliebenen Altsemester im Team, nun ist es auch an Spieler wie Thibaut Courtois, mehr in die Leader-Rolle zu schlüpfen.
Alonso hat also einiges an Arbeit auf dem Tisch liegen. Je nach dem, ob und wie schnell der Baske es schafft, all diese Themen erfolgreich zu moderieren, ist zwischen einer weiteren titellosen Saison und dem Quadruple alles drin. Wobei insbesondere das Abschneiden auf nationaler Ebene auch davon abhängig sein wird, wie sich Erzrivale FC Barcelona schlägt – ob es die Madridistas hören wollen oder nicht.