Olympique Lyon: Neue Ära, alter Erfolg? Modell könnte den Frauenfußball verändern | OneFootball

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·1. Mai 2024

Olympique Lyon: Neue Ära, alter Erfolg? Modell könnte den Frauenfußball verändern

Artikelbild:Olympique Lyon: Neue Ära, alter Erfolg? Modell könnte den Frauenfußball verändern

In Lyon bleibt der Erfolg gleich, aber die Frauenabteilung geht in eine neue Ära. Seit Anfang des Jahres gehört die Sparte OL Féminin der Unternehmerin Michele Kang - die Frauenabteilung firmiert weiter unter dem Namen Olympique Lyon, aber der Klub hält nicht mehr die Mehrheit der Anteile. Dass die Frauenabteilung so unabhängig von dem Klub wird, ist ein neues Phänomen.

Könnte es sich in Zukunft weiter ausbreiten? In Lyon jedenfalls sollen auf den Eigentümerwechsel radikale Veränderungen folgen. Die Devise: neue Ära, neue Infrastruktur - und damit zu der alten Dominanz zurückkehren. Ohne das neue Modell würde Lyon wohl heute nicht genauso dastehen - die Zukunft als Topklub Europas im Frauenfußball stand unter einem großen Fragezeichen.


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Dabei ist der Verein mit Abstand der historisch erfolgreichste: Lyon ist Champions-League-Rekordmeister, stieg binnen kürzester Zeit zum besten Team der Welt auf. 2008 war der Klub zwar in Frankreich bereits höchst erfolgreich, aber international noch ein unbeschriebenes Blatt. Dann wurde einiges umgekrempelt.

Zwei Jahre später stand Lyon im ersten Finale, drei Jahre später gab es den ersten UWCL-Pokal - und 15 Jahre später waren es schon acht davon. Von diesem rasanten Aufstieg haben sich einige etwas abgeschaut, Lyon war beispielsweise ein Vorbild für Barcelona, als diese Jahre später auch mehr Professionalisierung wollen. Das Resultat war das Gleiche: durchschlagender Erfolg.

Lyon machte sich dabei mit den vielen Titeln sowie den außergewöhnlichen finanziellen Mitteln, die der Klub zur Verfügung stellte, einen Namen. Bis auf einige schwedische Vereine und US-Klubs konnte niemand mit den Summen der Französinnen mithalten. So errang Olympique den Ruf eines Klubs, bei dem Frauenfußball ernster genommen wird als irgendwo sonst.

Auch der langjährige OL-Präsident Jean-Michel Aulas - wegen seiner impulsiven Art durchaus auch umstritten - brüstete sich gerne mit der erfolgreichen Frauensparte und forderte die Konkurrenz auf, es Lyon gleichzumachen. Der Aufstieg in den 2010er-Jahren war auch Aulas' Verdienst.

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Protagonist bei der Geschichte von OL Feminin: der langjährige Präsident Jean-Michel Aulas / Dominique Charriau/GettyImages

Verein in sportlichen und finanziellen Nöten

Daher ist es wenig verwunderlich, dass sich der Wind drehte, als bei Lyon eine Ära zuende ging: Aulas trat 2022 als Präsident zurück, nach 35 Jahren, und verkaufte seine Mehrheitsanteile an den Amerikaner John Textor. Unter seiner Präsidentschaft war Lyon von einem Zweitligaklub zu einem Verein geworden, der en masse Talente ausbildete und weiterverkaufte, und zu einer starken Marke geworden wurde.

Über das freute sich der neue Eigentümer, John Textor, sicherlich - aber er fand auch gravierende finanzielle Probleme vor. Wie viele andere Vereine wurde Lyon von der Covid-Pandemie gebeutelt, und der Ligue-1-Fernsehsender Mediapro bezahlte plötzlich das Geld von dem lukrativen 780-Millionen-pro-Jahr-Vertrag nicht mehr. Dazu kam eine sportliche Krise zum ungünstigsten Zeitpunkt, sodass Lyon sich nicht mehr auf die sicher geglaubten Einnahmen aus dem internationalen Geschäft verlassen konnte.

Textor übernahm den schwankenden Giganten im Winter 2022, nachdem er einen langen Machtkampf mit Aulas gewonnen hatte. Der Texaner versprach, zukünftig mit PSG mitzuhalten, viel Geld auszugeben. Schnell wurde er aber auch bei Fans umstritten, denn Textor besitzt auch Anteile an anderen Vereinen in England und Belgien - von denen Lyon anschließend Spieler für hohe Summen holte und recht wenig sportlichen Mehrwert bekam. Die Schulden stiegen bis zur Saison 2022/23 auf 199 Millionen Euro - klare Sache: frisches Geld musste her.

Übernahme von OL Féminin durch Michele Kang: Neue Ära

Da kam das Angebot der koreanisch-amerikanischen Unternehmerin Michele Kang wie gerufen. Kang und Textor passen als Geschäftspartner gut zusammen, schließlich eint sie eine ähnliche Vision vom Fußballgeschäft. Beide sind Vertreter der Multi-Club-Ownership, haben also Anteile in diversen Vereinen.

Das Phänomen ist im Männerfußball schon bekannt - und seine damit einhergehenden Probleme und Interessenkonflikte -, im Frauenfußball sind solche Konstrukte noch neu. Kang, die durch die Gründung von einer Wagniskapital-Firma zu großem Vermögen kam, will eine Supergruppe im Frauenfußball aufbauen. Die weiteren Diamanten in ihrer Krone sind der US-Klub Washington Spirit und die London City Lionesses aus England. Aber Lyon soll das Prachtstück sein, der funkelnde Rubin.

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Gerne cool mit Sonnenbrille: Unternehmerin Michele Kang / Brad Smith/ISI Photos/GettyImages

Kang wollte den erfolgreichsten Klub in Europa, Textor wollte Geld - das passte zusammen wie die Faust aufs Auge, und so wurde der Verkauf schnell abgewickelt. Seit Februar diesen Jahres ist Kang stolze Mehrheitseigentümerin von OL Féminin, und besitzt 52% der Anteile. Die OL Groupe, von John Textor geführt, besitzt weiterhin 48%. Für Kang war es ein erhebliches Investment: Die Frauensparte wurde Berichten zufolge für den Deal auf einen Wert von ca. 54,4 Millionen Dollar geschätzt, Kang hat also etwa 28 Millionen hingeblättert.

Ein Interessenkonflikt entstand bei der Übernahme aber auch: Die OL Groupe hält 97% an dem US-Klub Seattle Reign FC, der gemeinsam mit dem Kang-Verein Washington Spirit in der NWSL spielt. Textor wollte Seattle Reign FC bereits für 50 Millionen verkaufen, fand aber keinen Abnehmer. So bleibt der Verein für die laufende Saison erstmal bei der OL Groupe, wodurch Lyon nun engste Verbindungen zu gleich zwei NWSL-Klubs hat.

Neues Stadion, neuer Campus - große Pläne bei Lyon-Frauen

Aber es gibt natürlich auch positive Seiten für OL Féminin. Durch den erzwungenen Sparkurs des Klubs hätte die Frauenabteilung wohl gelitten, oder wäre heruntergekürzt worden. Durch den Deal mit Kang wurde das nun verhindert. Die 64-Jährige hat bereits große Pläne für den Klub vorgestellt. Sie wird an der tatsächlichen Realisierung gemessen werden, aber das Projekt an sich klingt vielversprechend.

Kang will die Professionalisierung bei Lyon weiter vorantreiben und einen Trainingscampus nur für das Frauenteam errichten. Auch beim Staff soll in puncto Qualität und Quantität nachgeschärft werden. Das Herzensprojekt ist der Bau eines neuen Stadions, das zwischen 15000 und 20000 Zuschauer aufnehmen kann.

Denn aktuell befindet sich Lyon in einem Zwiespalt, den viele europäische Klubs nur zu gut kennen: Das Stadion mit 1500 Plätzen ist zu klein geworden und entspricht nicht Lyons Ansprüchen, aber für jedes Spiel im großen Groupama-Stadion reicht das Zuschauerinteresse längst noch nicht. Kang will also einiges umkrempeln, und das nötige Kleingeld bringt sie auch mit.

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Zuletzt spielte Lyon das UWCL-Halbfinale gegen Paris im gut besetzten Groupama-Stadion - mehr Ausnahme als Regel / Anadolu/GettyImages

Die Weltklassespielerinnen Ada Hegerberg und Christine Endler nannten sie bereits einen wichtigen Faktor in ihrer Entscheidung, bei Lyon zu verlängern. Kang schafft es, OL Féminin weiter als erfolgsversprechendes Projekt zu präsentieren. Die Frauenabteilung brauchte genau diesen frischen Wind und eine neue Initiative, denn nach den langen Jahren der Dominanz schien zuletzt Barcelona den Platz von Lyon einzunehmen. Aber Kang will diesen Platz nicht so leicht hergeben.

Unabhängige Frauenabteilung - ein neues Modell?

Die neue Ära von Lyon ist daher aus mehreren Perspektiven interessant: Zunächst ist es eine Neustrukturierung von dem erfolgreichsten Klub im Frauenfußball, um sich weiter an der Spitze zu halten. Kangs ambitionierte Pläne zeigen, dass Stagnation heutzutage nicht mehr reicht - um weiter mit der Weltklasse mitzuhalten, muss man sich ständig verbessern und neu erfinden. Inwiefern Kang diesem Anspruch auch gerecht wird, das zeigen dann die nächsten Jahre.

Genauso spannend ist aber die Abspaltung von der Frauenabteilung: Der Deal ist einzigartig in Europa. In den USA gibt es ähnliche Modelle: Dort gehören teils Männer- und Frauenverein beide einer Gruppe von Investoren, sind aber voneinander unabhängig, nutzen verschiedene Logos und Branding. Das ist etwa bei den Houston Dash (Frauen) und den Houston Dynamo (Männer) der Fall.

In Europa schien die Trennung bisher undenkbar, dabei macht der Deal Sinn: Auf der einen Seite gibt es viele Investoren, die im Frauenfußball das nächste große Geschäft sehen - auf der anderen Seite viele finanziell angeschlagene Klubs, die über frisches Geld sehr froh sind. Der Lyon-Deal könnte daher der Beginn einer neuen Etappe sein - nicht nur für OL Féminin, sondern für den europäischen Frauenfußball insgesamt.

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