FC Schalke 04
·21. Juni 2023
Mythos Jochen Abel: Hoffentlich habe ich keinen Elefanten erlegt

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·21. Juni 2023
Hans-Joachim Abel trägt 1983/1984 stolze 14 Tore zum zweiten Schalker Wiederaufstieg bei. Dabei muss der gelernte Mittelstürmer zwischenzeitlich als rechter Verteidiger aushelfen. Heute lebt Abel in einem Land, das weniger als 40.000 Einwohner hat, und verfolgt das deutsche Fußballgeschehen nur noch via Sky. Ganz besonders interessieren den langjährigen Ruhrgebiets-Kicker die Elfmeter-Statistiken, denn er hält noch immer einen legendären Rekord …
Als Abel im Sommer 1982 vom VfL Bochum zum GEilsten Club der Welt wechselt, residiert im Bundeskanzleramt ein gewisser Helmut Schmidt, im Radio läuft „Der Kommissar“ von Falco, und Twix heißt noch Raider. Auch im Fußball ist die Welt damals eine völlig andere, wie der mittlerweile 70-jährige Abel, den alle nur „Jochen“ rufen, im zweistündigen Interview mit dem Schalker Kreisel bildreich beschreibt.
Jochen Abel, lassen Sie uns mit einer Zeitreise beginnen. Ziel: 30. April 1984, der Vorabend von Olaf Thons 18. Geburtstag … Ja, da haben wir in Gelsenkirchen-Beckhausen in Olafs Ehrentag reingefeiert. Die ganze Mannschaft war da. Manager Rudi Assauer stand hinter der Theke, hat Bier gezapft und alles ein bisschen überwacht.
Keine 48 Stunden später stand das DFB-Pokal-Halbfinale gegen die Bayern auf dem Programm. So eine „Spielvorbereitung“ wäre heute undenkbar. Das glaube ich auch. Damals hat man vieles lockerer gesehen. Da gab es noch viele Profis, die rauchten und nicht mal ein Geheimnis daraus machten. Die Geburtstagsparty hat uns jedenfalls nicht geschadet, im Gegenteil: Solche gemeinsamen Feiern sind ungeheuer wichtig für den Teamgeist. Unser Trainer Didi Ferner war zwar damals nicht anwesend, aber ich bin mir sicher, er hatte im Vorfeld grünes Licht gegeben. Und wir haben es ihm gedankt – niemand schlug über die Stränge. Zwei Tage später haben wir den großen Bayern ein 6:6 abgerungen.
An jenem Abend ging der Stern des Olaf Thon auf. Das kann man so sagen. Und ich habe es dem Olaf von ganzem Herzen gegönnt, obwohl wir ja auch Konkurrenten waren, denn damals spielte er noch Stürmer, ebenso wie ich. Aber ich war 1984 schon fast 32, hatte chronische Hüftprobleme. Olaf spielte oft an meiner Stelle im Angriffszentrum, und jeder konnte sehen, dass da ein überragender Fußballer heranwuchs – wobei er nahezu alle Positionen gleich gut bekleiden konnte.
Auch beim Kartenzocken soll „Thöni“ nicht schlecht gewesen sein. Das kann ich bestätigen. Klaus Berge, Olaf und ich bildeten eine feste Skatrunde. Insbesondere im Trainingslager und auf Auswärtsfahrten kloppten wir ständig Karten. Es ging um Kleingeld, und Olaf gewann fast immer. Manchmal waren wir allerdings so ins Spiel vertieft, dass wir das gemeinsame Abendessen völlig vergaßen und erst auf den allerletzten Drücker in den Speiseraum vom Mannschaftshotel stürzten (schmunzelt).
Der dritte Skatbruder, Klaus Berge, war 1983 vom Amateurclub FC Recklinghausen nach Schalke gekommen, aber um eine große Klappe nie verlegen. Als Sie kurz vor Beginn der Zweitliga-Saison 1983/1984 im Mannschaftskreis Ihr persönliches Leistungsziel mit 15 Liga-Toren bezifferten, frotzelte Berge: „Du kannst froh sein, wenn du 15 Spiele machst.“ Ja, herrlich. So war der Klaus. Und das war genau richtig. Er war ja ein junger Spieler und musste sich mannschaftsintern durchsetzen. Dabei kann eine große Klappe nicht schaden. Die hatte ich als Jungprofi übrigens auch.
Letztlich schossen auch Sie Schalke mit 14 Treffern in 30 Einsätzen zurück in die Bundesliga, obwohl Sie zwischendurch auch mal zum Abwehrspieler umfunktioniert wurden. Gegen Fortuna Köln musste ich als rechter Verteidiger auflaufen, weil das Personal hinten knapp war. Wir gewannen mit 6:2, ich traf zweimal, übrigens jeweils per Kopf.
Sie gelten bis heute als Ruhrgebiets-Fußballer. Dabei stammen Sie – Ihr ausgeprägter rheinischer Dialekt verrät es – aus der Landeshauptstadt Düsseldorf. Rischtisch (lacht), bei der Fortuna debütierte ich 1973 in der Bundesliga. Aber dort genoss ich, mit Anfang 20 und aus dem eigenen Nachwuchs, eher wenig Wertschätzung. Also wechselte ich zur drittklassigen Westfalia nach Herne.
War das nicht ein sportlicher Abstieg? Ich war bereits verheiratet und Familienvater. In Herne verdiente ich netto so viel wie in Düsseldorf brutto. Zudem eröffnete man mir dort eine berufliche Perspektive für die Zeit nach dem Fußball: Ich arbeitete nebenher als Tankstellen-Revisor bei „Goldin“, der Tankstellen-Kette von Hernes Mäzen Erhard Goldbach. Ich fuhr täglich 20, 30 Filialen an, sah dort nach dem Rechten und baute unter anderem den Handel mit Snacks und Getränken in den Tankstellen mit auf.
Und sportlich? Habe ich der Westfalia mit 30 Saisontoren auf Anhieb zum Aufstieg verholfen. Auch in der Zweiten Liga traf ich regelmäßig: 31-mal in 73 Partien. Wir hatten große Ziele, Goldbach wollte den Verein ja unbedingt in die Bundesliga bringen.
Daraus wurde nichts. Sie wechselten 1977 zum VfL Bochum. Zwei Jahre später krachte das Kartenhaus in Herne zusammen: Wie sich herausstellte, hatte der Tankstellenkönig nicht ganz seriös gewirtschaftet. Als 1979 ans Tageslicht kam, dass sein Unternehmen dem Staat 300 Millionen D-Mark an Steuergeldern schuldete, war ich völlig geschockt. Goldbach hatte mir zwischenzeitlich angeboten, mich zum Geschäftsführer in seinem Unternehmen zu ernennen, was ich aber ablehnte. Gott sei dank! Als die Steuerbetrügereien aufflogen, landeten die Geschäftsführer im Gefängnis. Und mit Westfalia Herne ging es langsam den Bach runter.
Für Sie dagegen ging es immer weiter bergauf. Der VfL Bochum hatte mich geholt, weil Mittelstürmer Jupp Kaczor damals verletzt war. Ich hatte mir bei der Westfalia einen Namen gemacht, als Torjäger und als einer, der vorne die Bälle festmachen konnte, bis die eigenen Mittelfeldspieler nachrückten. Das gelang mir auch in der Bundesliga ganz gut.
Für die Bochumer waren Sie bis 1982 aktiv, trafen in jeder Saison zweistellig. Im Sommer wechselten Sie zum frisch gebackenen Wiederaufsteiger Schalke 04. Ehrlich gesagt: Ich wollte gar nicht weg aus Bochum. Aber der VfL musste Jahr für Jahr Spieler verkaufen. Rudi Assauer wusste das natürlich und rief bei mir zu Hause an. Schließlich sagte ich zu.
Die richtige Entscheidung? Ich bin bis heute stolz, dass ich für so einen fantastischen Verein wie Schalke gespielt habe. Auch wenn die erste Saison extrem bescheiden lief: 1982/1983 stiegen wir postwendend wieder ab.
Woran lag‘s? Wir hatten damals sicher genügend Qualität, um die Klasse zu halten. Aber wir waren keine richtige Mannschaft. Einige Spieler, ich will hier keine Namen nennen, kochten nur ihr eigenes Süppchen. Das war ich aus Bochum überhaupt nicht gewohnt, was ich nach der Saison auch Assauer gegenüber zum Ausdruck brachte. Zur folgenden Spielzeit hatten wir plötzlich eine viel bessere Teamchemie mit vielen tollen Typen – dazu einige vielversprechende Talente aus dem eigenen Nachwuchs: Olaf, Volker Abramczik, Michael Skibbe …
Wer war eigentlich Ihr Zimmernachbar während der Trainingslager und der Auswärtsreisen? Anfangs war es Bernard Dietz. Dann bekam ich ein Einzelzimmer.
Eine Extrawurst? Nein, ich habe nur sehr laut geschnarcht. Das konnte man keinem zumuten.
Abstieg 1983, Wiederaufstieg 1984 – nach zwei Jahren war für Sie Schluss auf Schalke. Warum? Wie gesagt: Ich hatte chronische Hüftprobleme, bedingt durch Arthrose. Ich bin nach der Saison 1983/1984 zu Professor Klümper nach Freiburg und habe dort eine dreimonatige Kur gemacht: Spritzen, Tabletten, Physiotherapie. Seither sind die Beschwerden weg, und ich bin bis heute um ein künstliches Hüftgelenk herumgekommen. Von einer Fortsetzung meiner Profikarriere riet Klümper mir jedoch dringend ab. Ich spielte ein Jahr lang gar nicht, dann fing ich wieder an, als reiner Amateur.
Seit 1987 leben Sie im 39.000-Einwohner-Land Liechtenstein zwischen Österreich und der Schweiz. Was hat Sie dorthin verschlagen? Bei einem Promi-Kick im Schwarzwald sah mich ein Spielervermittler und fragte, ob ich Interesse hätte, in der Schweiz als Spielertrainer zu arbeiten. Letztlich wurde es dann doch Liechtenstein. Dort war ich noch mit 47 am Ball, anschließend einige Jahre als Trainer tätig – alles nebenberuflich. Im Hauptberuf war ich Lagerist. Aber mit Anfang 50 erlitt ich plötzlich einen Herzinfarkt. Danach war Schluss mit der Doppelbelastung aus Fußball und Beruf. Heute kann ich sagen: Ich habe mich gut erholt, führe ein entspanntes, aber aktives Rentnerleben mit viel Fitnesstraining und Bewegung an der frischen Luft. In Liechtenstein gibt es Berge, Seen – einfach alles. Nur mit dem Dialekt habe ich manchmal noch kleine Probleme: Hier gibt es insgesamt elf Ortschaften, und jede davon pflegt ihren eigenen Zungenschlag, vergleichbar etwa mit Schweizerdeutsch.
Wie intensiv verfolgen Sie heute noch den deutschen Fußball? Wann immer es geht, schaue ich mir die Spiele von Schalke und Bochum auf Sky an. Letzte Saison habe ich so gehofft, dass beide in der Liga bleiben. Im Stadion war ich aber schon lange nicht mehr, überhaupt fahre ich nur noch selten nach Deutschland. Ich bin in Liechtenstein komplett angekommen, habe meine Familie um mich, einen tollen Freundeskreis und auch sonst alles, was man zum Glücklichsein braucht.
Seit nunmehr vier Jahrzehnten halten Sie einen sagenhaften Bundesliga-Rekord. Sie haben 16 von 16 Elfmetern verwandelt, den letzten in Königsblau: am 20. November 1982 gegen Frankfurts Jürgen Pahl. Ja, und zwar schlug der Ball aus Torwart-Sicht unten rechts ein. Das war der Treffer zum 2:2. Wir gewannen am Ende mit 3:2.
Einige langjährige Bundesliga-Profis wie Toni Polster oder Max Kruse brachten Ihren Elfmeter-Rekord später zum Wackeln, doch er fiel nie. Polster scheiterte bei seinem 15. Versuch. Kruse konnte meine Bestmarke 2020 immerhin einstellen. Kurz darauf scheiterte er mit dem 17. Anlauf. Ich hingegen habe in der Bundesliga nie einen Strafstoß verschossen (schmunzelt), das habe ich dem wirklich hervorragenden Schützen Kruse für immer voraus.
Auch in der 2. Liga trafen Sie sechsmal bei sechs Versuchen vom Punkt: einmal als Herner, fünfmal für Schalke. Ihren einzigen Fehlschuss in einem Pflichtspiel leisteten Sie sich ebenfalls in Königsblau: im DFB-Pokal gegen den SC Charlottenburg, Ihr Gegenüber war damals der junge Andy Köpke. Haben Sie die Szene noch vor Augen? Nein, daran erinnere ich mich nicht mehr. Dafür entsinne ich mich an einen anderen verschossenen Elfer, damals noch im Bochumer Trikot, vielleicht war‘s in einem Test: Wir spielten in der Uerdinger Grotenburg-Kampfbahn. Ich knallte den Ball so dermaßen hoch über die Latte, dass er bis in den benachbarten Krefelder Zoo flog. Hoffentlich habe ich dort keinen Elefanten erlegt …
Haben Sie irgendwelche Tipps für ambitionierte Nachwuchs-Elfmeterschützen parat? Zunächst mal darf man vor der Ausführung nicht zu viel nachdenken, das verunsichert einen nur. Ich habe mir ganz genau überlegt, wie ich den Elfmeter schießen wollte. Bei dieser Entscheidung bin ich dann immer geblieben. Das Wichtigste ist die totale Konzentration auf die Ausführung. Das ganze Drumherum muss man komplett ausschalten. Dann hat der Torwart eigentlich kaum eine Chance.
Haben Sie eher draufgeknallt oder platziert eingeschoben? Das habe ich variiert. Mal habe ich mit der Seite, mal mit dem Vollspann abgezogen, mal hoch, mal flach. Ein platzierter Ball ins Eck war damals praktisch immer drin. Ich hatte auch einen sehr strammen Schuss.
… war 1982 bei besagtem 3:2 gegen Frankfurt im Stadion, allerdings wegen einer Fahrradpanne erst zur Pause. Da standen bereits alle Tore auf der Anzeigetafel.