FC Schalke 04
·27. Februar 2023
Moritz Jenz: Bodenständiges Bollwerk

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·27. Februar 2023
Von Berlin in die weite Welt: Moritz Jenz blickt mit 23 Jahren auf spannende Stationen zurück, ist in Deutschland aber ein nahezu unbeschriebenes Blatt. Dabei beweist der Verteidiger nicht bloß auf dem Spielfeld klare Kante – auch in Mentalitätsfragen liefert der frischgebackene Vater im neuen Schalker Kreisel reife Antworten.
Moritz, in jungen Jahren bist du bereits ins Ausland gegangen. Klingt nach aufregender Kindheit … Eigentlich war sie relativ normal. Auf den Berliner Bolzplätzen habe ich mit meinen Freunden gegen die Kids aus den anderen Siedlungen gespielt. Parallel bin ich natürlich zur Schule gegangen, habe dort aber auch einiges verpasst, weil ich mit Tennis Borussia Berlin viel unterwegs war. Insgesamt kann ich auf eine schöne Zeit zurückblicken.
Wie genau bist du zum Fußball gekommen? Als kleines Kind war ich zunächst Schwimmer, das fand ich richtig klasse, habe auch alle möglichen Abzeichen gesammelt. Erst in der Vorschule kam der Fußball, weil die anderen Kinder immer mit dem Ball draußen unterwegs waren. Ich bin zum Probetraining bei Besiktas JK Berlin gegangen – und der Trainer meinte, ich wäre nicht gut genug. Kein besonders guter Start. (lacht) Aber im Anschluss lief es beim SC Alemannia Haselhorst gleich viel besser.
Wann wurde es professionell? Zum Ende meiner Zeit bei Tennis Borussia haben mehrere Clubs Interesse an mir gezeigt. Da wurde mir bewusst, dass der Weg weit nach oben führen kann – und mit dem Wechsel zum FC Fulham nach England bin ich den ersten nötigen Schritt dafür gegangen. Eigentlich sollte ich beim FC Liverpool unterschreiben, auch private und schulische Dinge waren bereits geregelt. Doch der Wechsel kam nicht zustande, dafür erinnerte sich der Jugendleiter in Fulham – vormals im Liverpooler Nachwuchs tätig – an mich und lud mich ein. So führte eins zum anderen.
Du warst als Kind schon viel mit deinen Eltern auf Reisen, hat dir das den Schritt erleichtert? An allzu viel davon kann ich mich nicht mehr erinnern, dafür war ich noch zu jung. Aber wir waren viel in Europa unterwegs, haben uns Museen angeschaut und unterschiedliche Kulturen auf uns wirken lassen. Als junger Mensch ist es hilfreich, mit einem offenen Mindset durch die Welt zu gehen, ich war es also schon gewohnt, viel unterwegs zu sein.
Dennoch klingt es nach einer großen Herausforderung: so früh ins Ausland … Meine Eltern sind mit mir nach England gezogen, das hat mir sehr geholfen. Dennoch waren die ersten Tage knifflig: Ich war der deutsche Junge, den die anderen nicht kannten, der für die Position eines anderen gekommen ist, der auch spielen wollte. Du bist noch nicht integriert, musst dich zeigen und Charakter beweisen, vielleicht auch mal ein bisschen gemein sein. Aber wenn die Mitspieler merken, dass man hart arbeitet und keine Extrawurst will, stellen sie schnell fest, dass man eigentlich ganz okay ist.
Sprache und Kultur waren kein Problem? Ich habe zuvor schon viel Englisch gesprochen, doch ein Problem tat sich tatsächlich auf: Schulenglisch bringt dir dort nicht viel. (lacht) In London hörst du einen speziellen Slang, die Schotten haben einen ganz anderen Akzent. Das ist mit den Grundkenntnissen kaum zu verstehen. Erst nach ein paar Monaten bekommt man ein Gespür dafür.
Es soll aber auch schwierige Phasen gegeben haben. Mit 17 hatte ich ein durchwachsenes Jahr. Ich habe viel gespielt, war mental aber nicht voll bei der Sache, bin vielleicht ein wenig nachlässiger geworden und habe Dinge schleifen lassen. Dazu gesellen sich Ablenkung und auch mal Essen aus Kummer. Nach der Saison habe ich mich dann aber mit mir auseinandergesetzt und festgestellt: Ich muss was ändern. Dazu zählten eine angemessene Ernährung, gute Regeneration, wichtiger Schlaf und Sondereinheiten auf dem Platz. Denn Talent allein reicht heutzutage nicht, das haben viele. Nur geht nicht jeder Spieler die Extrameile, und das habe ich für mich verinnerlicht.
In deiner Zeit dort hast du es bis in die Zweite Mannschaft des FC Fulham geschafft. Wie nah warst du da bereits am Profigeschäft? Ich durfte immer mal wieder Teil des Profi-Kaders sein, das hing in all den Jahren aber auch immer vom Trainer ab. Der eine hat viel mit Jugendspielern gearbeitet, der nächste hat uns wieder in die U23 geschoben. Man fühlt sich wie eine Nummer, mit der man den Kader auffüllen oder spezielle Trainingseinheiten absolvieren kann. Das fühlt sich nicht gut an, ich denke, kein Jugendspieler findet das sonderlich toll. Deshalb habe ich den Entschluss gefasst, den nächsten wichtigen Schritt zu gehen und 2020 zum Erstligisten FC Lausanne-Sport in die Schweiz zu wechseln.
Und dort kam der endgültige Durchbruch? Ja! In den ersten Spielen musste ich mich eingewöhnen, habe danach aber auf meinem bis dahin höchsten Niveau gespielt und fast alle Partien absolviert. Das hat wieder neue Interessenten auf den Plan gerufen, und ich konnte im Jahr darauf den nächsten Step machen.
Was hat den Ausschlag für den französischen Erstligisten FC Lorient gegeben? Es gab weitere Interessenten, beispielsweise aus Deutschland. Auch der S04 und Celtic Glasgow hatten damals angefragt. Aber Lausanne hat es den anderen Clubs schwer gemacht und eine hohe Ablöse aufgerufen, die viele Interessenten direkt verschreckt hat. Nur Lorient ist hartnäckig geblieben, das hat mir imponiert. Deshalb wollte ich unbedingt dorthin – und konnte ein aufregendes Jahr erleben. In Erinnerung ist mir unser Duell mit Paris Saint-Germain, in dem wir nach vielen schlechten Spielen eine richtig gute Leistung bringen konnten. Kurz vor Schluss haben wir den 1:1-Ausgleich kassiert, das hat sich wie eine Niederlage angefühlt.
Trotzdem ging die Reise ein Jahr später weiter. Nächster Halt: Celtic Glasgow. Wenn ein solch ikonischer Verein anfragt, wird man als Spieler schnell schwach. Da gibt es auch viele Parallelen zum FC Schalke 04: Der Club ist riesig, hat Fans überall auf der Welt, viele Titel gewonnen, und die Stadt lebt für den Fußball. Auch in Glasgow wird man an jeder Ecke erkannt und von den Fans schon ein wenig auf ein Podest gehoben. Das fühlt sich manchmal ein wenig komisch an, aber alle sind sehr nett und absolut leidenschaftlich im Thema. Das ist total geil.
Nach nur einem halben Jahr endete im Januar dein Schottland-Abenteuer. Hattest du dir mehr versprochen? Ein wenig enttäuscht war ich durchaus, denn ich hatte eine gute Performance, um dem Team auch weiterhin helfen zu können. Leider sind sich Lorient und Celtic nicht einig geworden, weshalb aus dem Leihgeschäft kein fester Wechsel geworden ist. Ich bin trotzdem dankbar für die Chance und die Erfahrungen, die ich mit Glasgow in der Liga, dem Pokal und der Champions League sammeln durfte – das ist absolut wertvoll. Und am Ende bin ich gar nicht so traurig, weil sich Schalke wieder bei mir gemeldet hat.
Wie kam der erneute Kontakt zustande? Der bestand zwischen meinem Berater und Chefscout Andre Hechelmann über die vergangenen zwei Jahre und ist nie wirklich abgerissen. In den vergangenen Wochen wurden beide Seiten wohl auch ein wenig überrascht: auf Schalke, dass sich die Tür trotz meiner guten Leistungen in Schottland öffnet – und meinerseits, weil der S04 mich wieder nach Deutschland holen wollte. Jeder weiß, wer Schalke ist. Und hier zu spielen, macht mich total stolz und glücklich. Ich hoffe, lange ein Teil dieses Vereins bleiben zu dürfen. Von so einer Station träumt jeder Fußballer, denn der Club hat einfach alles: die enorme Größe, die überragenden Fans, die spannende Historie und ein geiles Stadion. Was will man denn mehr?
Wie hattest du Königsblau zuvor wahrgenommen? Die ersten Erinnerungen gehen weit zurück, auf Turnieren mit Tennis Borussia ist mir der Verein immer aufgefallen, weil er diese super blauen und weißen Trikots trug, die man sofort und überall erkannt hat. Zu Zeiten, in denen Raul hier gespielt hat, habe ich häufig die Champions-League-Partien geschaut und mir gedacht: Das wäre krass, hier mal zu spielen.
Und wie sahen die Eindrücke in deinen ersten Tagen auf Schalke aus? Der Tag vor meinem ersten Spiel war schon sehr speziell, als der Flutlichtmast im Parkstadion eingeweiht wurde. In Schottland gibt es keine öffentlichen Trainingseinheiten, deshalb haben mich die tausenden singenden Fans sehr beeindruckt. Das gibt einem die Energie, am nächsten Tag für die Leute im Stadion zu fighten und alles reinzuwerfen.
Der Schwere der Aufgabe wirst du dir sicher bewusst gewesen sein … Schalke ist ein riesiger Verein, der nicht da unten stehen sollte. Als Aufsteiger muss man natürlich wieder bei Null anfangen, aber normalerweise gehört der Verein in die obere Tabellenhälfte. Ich möchte nicht, dass der S04 wieder in die Zweite Liga gehen muss, das würde mir sehr wehtun. Deshalb sehe ich es als Challenge, die schwer, aber durchaus machbar ist. Wir haben schon bewiesen, dass wir kämpfen können.
Worauf wird es in den nächsten Wochen ankommen? Die harte Arbeit und der Zusammenhalt sind ganz wichtig, gepaart mit dem richtigen Ehrgeiz. Wir müssen immer weitermachen und an unser Ziel glauben. Brust raus, bloß nicht verstecken. Auch wenn es Rückschläge gibt, müssen wir wieder aufstehen. Wenn man es gar nicht erst probiert, ist die Aufgabe von vornherein zum Scheitern verurteilt, da hilft nur: voller Angriff!
Du wirkst recht bodenständig und offen, kannst auch kritische Worte formulieren. Was stört dich am Auftreten vieler Profis heutzutage? Nicht wenige im Fußballgeschäft denken, sie seien besonders oder gar besser als „normal“ arbeitende Leute. Manch einer will sich nicht einmal mit den eigenen Anhängern unterhalten. Das stört mich ungemein. Ich arbeite hier, verrichte meinen Job wie alle anderen Mitarbeiter und gehe wie jeder andere Mensch danach nach Hause. Ich muss nicht auf dicke Hose machen. Keine Frage, jeder darf sich anziehen, wie er will, aber man muss doch keine Show daraus machen. Es ist wichtig, auch mal darüber nachzudenken und zu verstehen, worum es hier geht. Die Fans im Stadion geben einen Großteil ihres Gelds dafür aus, ihre Mannschaft spielen zu sehen. Und mal miteinander über Gott und die Welt zu reden, ist für viele ein Highlight. Dabei bin ich doch auch stinknormal! (lacht) Deshalb mache ich das auch gerne.
An dieser Erdung hat die Frau an deiner Seite sicher ihren Anteil, oder? Mit Stefania bin ich seit dreieinhalb Jahren zusammen, mittlerweile sind wir verlobt. Ich habe kürzlich die Kapelle im Stadion gesehen und überlege ernsthaft, ob das nicht besser wäre als das Standesamt. (schmunzelt) Wir haben uns in England kennengelernt, sie ist Italienerin, sehr schlau und hat mein Leben ordentlich umgekrempelt. Dank ihr bin ich organisierter und professioneller, sie holt mich auch mal auf den Boden der Tatsachen zurück und hat ein gutes Feeling, um mich zu erden. Das tut mir unheimlich gut. Die vielen Umzüge in letzter Zeit waren sicher auch für sie schwierig, aber sie ist großer Deutschland-Fan und deshalb genauso froh, dass wir nun hier sind.
Und vor wenigen Tagen hat die Geburt eures Sohns Indiana die kleine Familie perfekt gemacht … Ich habe im Vorfeld gesagt: Er wird direkt Schalke-Mitglied. (lacht) Der Jahresbeginn war stressig mit dem Umzug und der Wohnungssuche in Kombination mit einem geeigneten Krankenhaus in der Nähe. Bis dahin war auch Stefania recht entspannt während der Schwangerschaft, dann fing aber auch bei ihr die Nervosität an. Ich habe einen immensen Respekt vor Frauen und der Geburt. Wenn in jemandem ein kleiner Mensch heranwächst, ist es eine große Leistung, einen klaren Kopf zu bewahren. Deshalb kann ich allen Männern nur raten: Unterstützt eure Frauen, so gut es nur geht.
Nun wird dein Leben also nicht bloß vom Fußball geprägt. Die Perspektive ändert sich vollständig. Bislang ging es in erster Linie um mich. Wann ich esse, wie ich schlafe, wo ich lebe. Jetzt ist der Kleine da, und ich muss neu lernen, wie alles funktioniert. Das wird eine spannende Phase. Ich finde es toll und freue mich darauf, mich nun um jemand anderes zu kümmern.
Zu guter Letzt: Was wünschst du dir für die Zukunft? In erster Linie den Klassenerhalt und viele weitere tolle Jahre hier auf Schalke. Und auf privater Ebene steht meine Familie ganz im Vordergrund. Gesundheit ist das Wichtigste, außerdem möchte ich ein guter Vater und Ehemann sein.
… kann von allerlei Umzugsstrapazen ein Lied singen. Damals noch ohne Kind.