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·25. September 2022

Melanie Bloemkolk: Die mit den Händen spricht

Artikelbild:Melanie Bloemkolk: Die mit den Händen spricht

Es gibt Menschen, die halten sich lieber im Hintergrund, doch bei genauerer Betrachtung wird deutlich: ohne sie geht’s nicht. Zu diesen Menschen zählt auch Melanie Bloemkolk, staatlich anerkannte Gebärdendolmetscherin. Denn Barrierefreiheit gelingt nur, wenn alle teilhaben können. Dafür sorgt sie.

Seit vielen Jahren arbeitet die 49-Jährige ehrenamtlich auf Schalke. Das hat gleich zwei naheliegende Gründe. Bloemkolk, gebürtig aus Gelsenkirchen-Buer, ist waschechte Königsblaue; außerdem begleitet sie beruflich seit langem den Deaf-Fanclub. Deaf ist die englische Bezeichnung für „taub“. Um sich mit ihren Belangen beim Verein „Gehör zu verschaffen“, leiht Bloemkolk dem Fanclub ihre Stimme. Viel ist seitdem geschehen und bereits zum Saisonstart ein wichtiges Ziel erreicht worden: ein eigener Block für hörgeschädigte Fans in der VELTINS-Arena. Dort dolmetscht Bloemkolk beim Heimspiel gut sichtbar für alle das Vorprogramm, die Details rund ums Spiel, sogar das Vereinslied gebärdet sie mit. Kurzum: Alles, was im Stadion nur hörbar ist, wird durch sie sichtbar.


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„Das ist mein absoluter Traumberuf“, schwärmt die sympathische Gelsenkirchenerin. Geradlinig verlief der Weg dorthin allerdings nicht, obwohl ihre Herkunft anderes vermuten ließe. Ihre Mutter ist von Geburt an taub, und so lernt Bloemkolk bereits als Kind, sich per Gebärden zu verständigen und auch für sie zu dolmetschen. Lautunterstützende Gebärdensprache nennt man die Art der Kommunikation, die ihre Mutter gelernt hat: „Früher war es nämlich häufig verpönt, sich so zu verständigen. Man hat die Kinder gedrillt, ihnen tatsächlich das Sprechen beigebracht.“ So sprechen viele – meist ältere Gehörlose – recht verständlich, unterstützen dies durch Gebärden und lesen gleichzeitig von den Lippen ab.

Nach dem Abitur schlägt sie damals erst andere Wege ein. Auf die Ausbildung als Bürokauffrau folgt ein Studium der Sozialpädagogik an der Fachhochschule, parallel dazu arbeitet sie in der Redaktion eines Zeitungshauses. Mit Anfang 30 entdeckt die Bueranerin die Möglichkeit zur Ausbildung als staatlich anerkannte Gebärdendolmetscherin – und damit ihren Traumjob. Stets zurückhaltend gekleidet, weil nichts von Gesicht und Händen ablenken darf, gibt sie einen Einblick in ihren facettenreichen Berufsalltag. Auch wenn sie die Fachrichtung Wirtschaft gewählt hat, der Bedarf ist groß und ihr Spektrum dadurch breit.

Sie dolmetscht an Schulen, Universitäten, bei Teammeetings in Firmen im Rahmen der Inklusion, aber auch bei der Schalker Mitgliederversammlung, vor Gericht oder bei der Polizei. Sie ist an der Seite ihrer Klienten, wenn ein ernstes Gespräch beim Arzt ansteht, die Gesundheit möglicherweise gefährdet ist. Da kommt es auf Feinheiten an. „Die Qualität ist so wichtig, denn es geht um Menschen.“ Einmischen bleibt Tabu, „aber ich merke, wenn jemand verunsichert ist oder etwas nicht verstanden hat. Ich ermuntere dann, erneut zu fragen.“ Doch sie tut nichts, was nicht gewollt ist. Respekt und Empathie sind Eckpfeiler ihrer Tätigkeit. Schließlich arbeitet Bloemkolk nah am Menschen, manchmal sogar sehr nah. „Vier Geburten durfte ich schon begleiten, da ist man voller Gefühl dabei, bei aller Professionalität“, fügt die Mutter von zwei Kindern lächelnd an. Ein Netz aus fünf Kollegen arbeitet in solchen Situationen engmaschig zusammen, denn Babys halten sich selten an Termine. Sie dolmetscht zwischen den Wehen und übersetzt auch den ersten Schrei: „Da kommen mir schon mal die Tränen.“

Mit der Geburt sind die Highlights nicht vorbei. Hochzeiten, Taufen, Konfirmationen – wichtige Meilensteine im Leben ihrer Klienten, und Bloemkolk begleitet sie. Durch ihre Tätigkeit hat sie bereits viel von der Welt gesehen: China, Kuba, Sri Lanka, Florida, Dubai, Norwegen, einmal im Jahr begleitet sie Reisegruppen rund um den Erdball. Gibt es da überhaupt einen beruflichen Traum, den sie noch nicht verwirklicht hat? Die Antwort dürfte Hörende überraschen: „Ich würde gerne bei einem großen Konzert Musik übersetzen. Beim Festival in Wacken wird das beispielsweise gemacht.“ Wacken muss es für sie nicht unbedingt sein, aber: „Sarah Connor würde ich gerne übersetzen.“ Was für viele Hörende fast absurd klingt, sei kurz erklärt. In der Regel steht ein hörender Dolmetscher vor der Bühne und übersetzt den Text an einen tauben Dolmetscher darauf. Der wiederum übersetzt den Text und die Musik an die gehörlosen Besucher im Publikum – Musik auf andere Weise erfahrbar.

Vielleicht geht dieser Traum irgendwann in Erfüllung, möglicherweise in der VELTINS-Arena. Bis dahin geht sie dort mit Freude ihrer ehrenamtlichen Aufgabe nach. „Es ist etwas Besonderes, die Atmosphäre elektrisiert mich.“ Das empfand sie schon als Kind im Parkstadion so. „Manchmal durfte ich mit zu den Spielen, doch ich fand das Drumherum häufig viel spannender“, erinnert sie sich lachend. Ihr Bruder und sie pinnen damals Spielerposter an die Zimmerwände und lassen auf dem Plattenspieler Schalke-Lieder laufen. „Das waren diese kleinen Singles, und wir haben nie die ganze Platte gehört, dafür aber rauf und runter den Refrain.“

Wenn heute vor dem Anpfiff „Blau und Weiß“ gespielt wird, gebärdet Melanie Bloemkolk den gesamten Text, für den Fall, dass ihn jemand noch nicht kennt, bei den Mitgliedern des Deaf-Fanclubs recht unwahrscheinlich, aber man weiß ja nie. Denn auch Nicht-Hörende wollen singen, wollen Teil der Gemeinschaft sein. „Das funktioniert beim Fußball ganz gut“, stellt die 49-Jährige fest, „Hürden werden leichter genommen.“ Damit auch die letzten Barrieren fallen, dafür sorgt sie. Ganz im Hintergrund. Doch ohne sie geht’s nicht.*

*Dieser Artikel erschien zuerst im August 2021 im Schalker Kreisel und wurde nun zum Tag der Gehörlosen am 25. September erneut publiziert

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