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·11. April 2023

Markus Gellhaus: Aus der Kurve

Artikelbild:Markus Gellhaus: Aus der Kurve

Von Ostwestfalen ins königsblaue Stadion. Die Strecke, die Markus Gellhaus heute täglich zurücklegt, ist er bereits vor über 40 Jahren regelmäßig gefahren. Doch dann folgte für den 52-Jährigen nicht der Wechsel vom Parkstadion in die VELTINS-Arena, sondern auf die Trainerbänke der Republik. Im Interview mit dem Schalker Kreisel spricht der Co-Trainer über königsblaue Prägung, die Vorzüge der zweiten Reihe und die Wucht der Fans in der Kurve.

Markus, zum Stehplatz auf Schalke hast du eine besondere Verbindung. Auch hier in der VELTINS-Arena? Nein. (lacht) Die Arena kam nach meiner aktiven Stadionzeit.


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Aber im Parkstadion … … war ich rund um die Volljährigkeit häufig in der Nordkurve, meist in Block 3 oder 4, das stimmt. Ich bin regelmäßig mit meinen Freunden und meiner heutigen Frau auf Schalke gefahren. Erst als ich selbst als Trainer im professionellen Fußball tätig wurde, hat sich das verändert. Aber mit einem Auge habe ich auch dann noch verfolgt, was der S04 so anstellt.

Du stammst aus Ostwestfalen, was hat dich damals mit dem FC Schalke 04 verbunden? Mein Vater und mein älterer Bruder waren bereits Fans. Es muss irgendwann zwischen 1978 und 1980 gewesen sein, als ich mit den beiden das erste Mal ins Parkstadion durfte. Ich erinnere mich noch daran, dass es ein Duell mit dem MSV Duisburg war, und ich glaube, dass wir 2:1 gewonnen haben. Damals waren wir noch auf der Gegengerade, näher am Gästeblock. Aber spätestens da ist Schalke bei mir einfach hängengeblieben.

Hast du selbst auch gespielt? Ja, mit viereinhalb Jahren habe ich bei meinem Heimatverein SV Steinheim begonnen und es im Verlauf bis hoch in die vierte Liga geschafft. Professionell wurde es aber erst mit dem Wechsel auf die Trainerbank.

Aber geträumt hast du als Kind doch sicher auch von der Spielerkarriere … Da ist es, wie mit den meisten Träumen in jungen Jahren: sie sind zumeist unrealistisch. (schmunzelt) Als Jugendlicher bin ich von Steinheim zum TuS 07/10 Paderborn-Neuhaus, dem Vorgängerverein des SC Paderborn, gewechselt. Dort habe ich es mit den B-Junioren immerhin in die höchste Spielklasse geschafft und durfte gegen Schalke, Bochum und Dortmund spielen. Da hofft man schon ein wenig auf den großen Schritt – diese Hoffnung haben mir meine Trainer aber schnell genommen, weil sie mir gnadenlos zu verstehen gegeben haben, dass ich zwar ganz gut kicken kann, aber relativ langsam für einen defensiven Mittelfeldspieler bin.

Einmal wurde es aber trotzdem professionell: Als 18-Jähriger durftest du mit dem TBV Lemgo in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen den FC Homburg antreten. … und wurde in diesem Spiel zur Pause ausgewechselt. Auch da hat es am Ende halt nicht gereicht. (lacht) Das Spiel ging mit 0:4 verloren, eine tolle Erfahrung war es natürlich trotzdem. Wobei sich Lemgo als Standort schon immer eher für den Handball interessiert hat, es waren nur rund 2000 Zuschauer bei dem Spiel. Man muss aber sagen, dass Homburg auch nicht das Knaller-Los war, auf das man als Underdog im Pokal gehofft hatte – Schalke hätte sicher für mehr Zulauf gesorgt.

Profifußballer schied also früh als Beruf aus, in welche Richtung hast du dich stattdessen orientiert? Zunächst habe ich mein Abitur gemacht und anschließend Sportwissenschaften mit Zusatzfach studiert, um perspektivisch Lehrer werden zu können. Nach den ersten Praktika hatte sich diese Überlegung aber schnell wieder erübrigt. Sich mit leistungsunwilligen Schülern herumzuärgern, danach habe ich mich nun wirklich nicht gesehnt. Nach Abschluss meines ersten Staatsexamens hatte ich dann Glück: Weil ich die A-Trainerlizenz bereits in der Tasche hatte und als Spielertrainer in der Landesliga tätig war, ergab sich 1999 die Möglichkeit, als hauptamtlicher Co-Trainer bei Paderborn einzusteigen. Ich habe in einer Doppelfunktion als „Co“ bei den Profis in der Regionalliga und Chef-Trainer der U23 gearbeitet und bin letztlich sieben Jahre geblieben.

2006 hast du sogar das Angebot erhalten, Chef-Trainer der Profis in der 2. Bundesliga zu werden. Wieso hast du abgelehnt? Der damalige Präsident Wilfried Finke (bis 2018 im Amt und 2019 verstorben, Anm. d. Red.) hatte mir den Posten angeboten, nachdem ich die Mannschaft für drei Spiele interimsweise betreut hatte. Zuvor wurde Jos Luhukay als Coach entlassen, und weil ich das Umfeld bestens kannte, sollte ich seine Idee vom Fußball weiter umsetzen. Das war aber nicht das, was ich wollte – zumal Jos im Vorfeld bereits erklärt hatte, mit mir auch künftig zusammenarbeiten zu wollen. So wie alles damals abgelaufen ist, war es für mich im Sommer 2006 auch keine Option, dort zu bleiben.

Gemeinsam mit Jos Luhukay warst du anschließend bei Borussia Mönchengladbach, dem FC Augsburg und Hertha BSC tätig. Wir hatten viele gute gemeinsame Jahre, sind mit jedem Verein in die 1. Bundesliga aufgestiegen. Es hilft natürlich, wenn man die Abläufe untereinander bestens kennt und aufeinander eingespielt ist, so dass die Zusammenarbeit sehr erfolgreich war.

Und trotzdem gab es den Versuch als Paderborner Chef-Trainer mit etwas Verspätung … Nach zehn Jahren mit Jos haben wir uns gesagt, dass wir beide was anderes versuchen. Mit der Zeit nutzen sich solche Automatismen ja auch ab. Eigentlich wollte ich woanders als Co-Trainer im Geschäft bleiben, weil mir immer bewusst war, dass ich das ganz ordentlich mache, während mir die Rolle des Chefs nicht unbedingt auf den Leib geschneidert ist. Das verlangt einfach andere Attribute. Doch ich war 2015 auf der Suche – und wieder rief mich Wilfried Finke an. Er hatte es auch zu Augsburger Zeiten und nach dem Aufstieg mit Hertha BSC probiert, doch ich sah keine Notwendigkeit, meine Arbeit dort aufzugeben. Als ich dann aber in besagtem Sommer 2015 keine Anstellung hatte, hat er mich umgehend festgenagelt, die letzte Überzeugung hat mir aber ehrlicherweise damals schon gefehlt. Am Ende waren es auch nur zehn Spiele, ehe ich beurlaubt wurde.

War es trotzdem eine wertvolle Erfahrung? Definitiv, durch sie konnte ich ein Bewusstsein dafür schaffen, mit welchen Themen und Schwierigkeiten ein Chef-Trainer sich auseinandersetzen muss. Das hilft im Denken als „Co“ enorm weiter, weil man ein Verständnis dafür entwickelt, wie der Gegenüber handelt. Ich verstehe mich als Zuarbeiter und Unterstützer und das kann ich noch besser machen, wenn ich beide Seiten kenne und um die Tücken der Aufgabe für den Hauptverantwortlichen weiß.

Also zurück in die zweite Reihe. Ein einfacher Schritt? Absolut. Die Position des Co-Trainers passt ideal zu mir, da fühle ich mich wohl und es ist genau das, was ich machen möchte. Glücklicherweise hat sich bei Hannover 96 die Möglichkeit ergeben, weil der Verein mit Daniel Stendel aus der eigenen Jugend einen recht unerfahrenen Mann als Coach installiert hatte, dem der Club jemanden mit Erfahrung zur Seite stellen wollte. Die Chance habe ich gerne ergriffen.

Und wenig später gab es dann in Hamburg das Wiedersehen mit einem alten Bekannten … Im letzten meiner drei Jahre beim FC St. Pauli wurde Markus Kauczinski beurlaubt und Jos Luhukay verpflichtet. Reiner Zufall also, weil ich zuvor bereits Co-Trainer am Millerntor war, aber das Wiedersehen war trotzdem schön.

Wie kam es anschließend zum Wechsel ins Ruhrgebiet? Das war ein nahtloser Übergang. Im Sommer 2020 war ich auf der Suche nach einer neuen Aufgabe und der VfL Bochum meldete sich bei mir. Ich habe mich also mit Thomas getroffen, der damals einen neuen Co-Trainer brauchte – und es lief von der ersten Sekunde an sensationell mit ihm. Schon auf der Rückfahrt hatte ich ein gutes Gefühl, die Gespräche mit dem VfL gingen dann schnell über die Bühne. Thomas hat mir vom ersten Tag an viel Vertrauen entgegengebracht (obwohl wir uns ja kaum kannten), mir wichtige Aufgaben überlassen und mir so auch gegenüber der Mannschaft eine hohe Wertschätzung signalisiert. Thomas ist ein überragender Trainer und Typ, die Zusammenarbeit mit Ihm macht jeden Tag extrem viel Freude.

Zu wieviel Prozent seid ihr euch in der täglichen Arbeit einig? Wir verfolgen denselben Ansatz im Spiel, setzen auf dieselben Grundtugenden und wissen, wie man darauf aufbauen kann, um ein Team zum Erfolg zu bringen. In einer expliziten Zahl kann ich das nicht ausdrücken, aber wir sind uns so gut wie immer einig. Natürlich gibt es auch mal die eine oder andere Diskussion, aber wir erwarten auch voneinander, dass wir uns ehrlich die Meinung sagen. Große Differenzen gab es darin aber bislang nicht.

Also müsst ihr nicht um die beste Lösung ringen? Ringen ist vielleicht der falsche Begriff, natürlich tauschen wir uns immer wieder aus. Über Themen wie Trainingssteuerung und -umsetzung, Aufstellungen diskutiert man. Am Ende hat Thomas den Hut auf, aber ich finde es toll, dass er meine Meinung wertschätzt. Und ich unterstütze ihn, so gut ich kann.

Was hat dich davon überzeugt, ihm nach dem Ende in Bochum zum S04 zu folgen? Zunächst einmal musste Thomas als Chef überzeugt von der Sache sein. Er hätte mich ja auch gar nicht fragen müssen und sein Ding allein durchziehen können. Dass ich da von Anfang an mit im Thema war, sehe ich als ein Zeichen der Wertschätzung. Darüber hinaus bedarf es keiner großen Überzeugung, wenn ein Club wie Schalke 04 anfragt. Das ist eine unfassbare Herausforderung, da muss man nicht lange überlegen – erst recht nicht, wenn einen der Club auch persönlich so interessiert wie bei mir. Die Aufgabe erschien damals noch schwieriger als aktuell, aber die Überzeugung war absolut da, dass wir mit dem Team was bewegen können. Das hat die Mannschaft in den vergangenen Wochen gezeigt.

Gab es in deinen ersten Monaten auf Schalke besonders prägende Momente? Ich habe vom ersten Tag gespürt, welche Strahlkraft dieser Verein hat. Das ist noch einmal etwas ganz anderes als in Mönchengladbach oder bei der Hertha, die für sich auch große Clubs sind. Aber Schalke ist besonders. Die Fans, die Mitglieder, das Stadion – und dann das erste Heimspiel, bei dem man unten auf der Bank statt auf der Tribüne sitzt. Das war sensationell, ich freue mich auf jedes weitere Heimspiel hier.

Wir hatten zu Beginn die Nordkurve. Wie wichtig ist der Fan-Support für dich? Man merkt, was bei Spielen in der VELTINS-Arena für eine Wucht entstehen kann. Das kann eine Mannschaft ungemein pushen, das darf man nicht unterschätzen. Es bringt dich dazu, noch einen Tick intensiver ins Duell zu gehen, mit der letzten Grätsche alles wegzuverteidigen und schwierige Phasen zu überstehen. Auch zuletzt gegen Leverkusen konnte man trotz des Ausgangs sehen, dass die Spieler vom Stadion förmlich getragen werden und sie es sich gar nicht erlauben können, ihr Herz nicht auf dem Platz zu lassen. Das Team hat verstanden, dass es auch Spaß machen kann, den Gegner zu bearbeiten und bis zum Schluss zu kämpfen.

Ist das auswärts anders als vor der Nordkurve? Daheim ist die Wucht besonders. Aber auch in fremden Stadien ist die Unterstützung unserer Fans unglaublich – irre, wie viele Schalker die gegnerischen Stadien füllen. Das freut die Jungs, verpflichtet sie aber gleichzeitig, entsprechend abzuliefern.

Wie ist es nach der niederlagenfreien Serie zum Rückrundenauftakt um das Selbstvertrauen bestellt? Dafür muss man sich nur anschauen, wie unglaublich enttäuscht und frustriert die Spieler nach der Niederlage gegen Leverkusen waren. Wir hatten eine super Serie gegen richtig gute Gegner, was als Schlusslicht schon außergewöhnlich ist. Dann verlierst du gegen Bayer, was bei deren Qualität offen gesprochen durchaus passieren kann – und für die Jungs ist es ein gefühlter Beinbruch. Da sieht man, wie stark das Selbstvertrauen und auch das Selbstverständnis nach den vorangegangenen Spielen war. Das finde ich überragend.

Wie schätzt du den Kampf um den Klassenerhalt momentan ein? Dank unserer Serie können wir vieles wieder aus eigener Kraft schaffen. Das ist mehr, als wir zu Beginn unserer Tätigkeit erwarten durften und eröffnet uns eine gute Ausgangsposition, um mit breiter Brust zu sagen: „Das können wir schaffen.“ Nun gilt es, die Situation mit weiteren Punkten zu verbessern, aber das Team ist absolut intakt und glaubt an sich. Da ist mir nicht bange.

Worin siehst du die Schalker Stärke im Schlussspurt? Der Wille ist extrem wichtig, aber auch der Glaube an die eigene Stärke ist zuletzt enorm gewachsen. Nicht bloß aufgrund der eingefahrenen Punkte, auch mit der Spielweise, und der Art wie wir sie geholt haben. Den Gegner so richtig zu nerven und dann im Umschaltspiel erfolgreich zu sein. Da hat sich viel Gutes aufgebaut, die Stärke basiert auf mehreren Säulen.

Und in der Kurve unterstützen ein paar Freunde von früher den Co-Trainer Markus Gellhaus? In der Nordkurve nicht, meine Bekannten sind mittlerweile auch in einem Alter, in dem sie den Sitzplatz bevorzugen. (lacht) Aber es sind immer mal wieder welche da, ob nun ehemalige Mitspieler, die auf der Gegengerade sitzen oder alte Schulfreunde im Oberrang. Aus meiner Heimat haben einige Leute auch heute noch eine Dauerkarte auf Schalke.

Stichwort Heimat: Bist du ein typischer Ostwestfale? Auf jeden Fall! Uns wird nachgesagt, dass wir stur, aber herzlich sind. Ich bin niemand, der einem im ersten Gespräch um den Hals fällt. Zu Beginn sind Ostwestfalen eher zurückhaltend und stur, aber nach und nach kommt die liebevolle und herzliche Seite zum Vorschein, das passt schon ganz gut.

Und womit verbringst du abseits des Fußballs deine Zeit? Davon gibt es nicht viel, das muss man fairerweise auch erwähnen. Aber am besten abschalten kann ich bei der Familie mit meiner Frau und meinem Sohn Niklas. Er ist mittlerweile 21 und neben seinem Beruf als Industriekaufmann im NLZ beim SC Paderborn tätig, ihn hat der Fußball also auch gepackt. Daneben versucht man Freundschaften zu pflegen – und dann stößt man zeitlich auch schon an die Grenzen.

Enrico Niemeyer

… hatte als gebürtiger Ostwestfale auch bereits mit fünf Jahren die Flutlichtmasten im Parkstadion als Sehnsuchtsort ausgemacht.

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