90min
·25. August 2023
In partnership with
Yahoo sports90min
·25. August 2023
Der Präsident des spanischen Fußballverbandes, Luis Rubiales, ist trotz massiver Kritik nicht zurückgetreten. Sein Übergriff bei der Siegerehrung der Frauen-WM hatte große Proteste ausgelöst. Daraufhin traten die Weltmeisterinnen aus dem Nationalteam zurück. Die wichtigsten Hintergründe zu dem Vorfall.
Am 20. August gewann Spanien die Frauen-WM. Der Sieg wurde aber von dem Übergriff bei der Siegerehrung überschattet: Der Präsident des spanischen Verbandes, Luis Rubiales, küsste die Spielerin Jenni Hermoso ungefragt auf den Mund.
Zuvor hatte er bereits andere Spielerinnen auf die Wange geküsst und sich während des Spiels an die Genitalien gefasst. Jenni Hermoso sagte später in einem Live-Video, ihr hätte diese Geste nicht gefallen. Später witzelte Rubiales noch, er würde das gesamte Team nach Ibiza einladen und Jenni Hermoso dort heiraten.
Rubiales reagierte zunächst ungehalten auf die Kritik und sah nicht den geringsten Grund, sich zu entschuldigen. "Es ist nur ein Küsschen von zwei Freunden, die etwas feiern (...) Stellt mir keine dummen Fragen", sagte er direkt danach.
Schnell schlug der Übergriff Wellen, die weit über das Fußball-Universum herausgingen. Dem Verband wurde das bewusst, und so wurde schnell ein Statement veröffentlicht. Darin beschrieb Jenni Hermoso den Kuss als "Geste gegenseitiger Wertschätzung." Das Problem: In Wirklichkeit hatte sie das nie gesagt oder der Veröffentlichung zugestimmt, die Worte wurden ihr schlicht in den Mund gelegt.
Rubiales sah schließlich ein, dass eine Reaktion nötig war, und veröffentlichte ein Video. Dort entschuldigte er sich halbherzig für den Übergriff. Er bedaure, dass er damit Leute verletzt habe, so Rubiales. Und: Als Präsident müsse er vorsichtiger sein. Wirklich aufrichtig klang das aber nicht. Um glaubwürdiger zu klingen, wollte Rubiales Jenni Hermoso dazu bringen, ebenfalls im Video aufzutreten. Sie weigerte sich aber, ebenso wie Kapitänin Ivana Andrés.
In Spanien schlug der Fall schon bald hohe Wellen. Ministerpräsident Pedro Sánchez schaltete sich in die Debatte ein und sagte, dass die "Entschuldigungen weder ausreichend noch angemessen sind. Es war eine inakzeptable Geste; Herr Rubiales muss weiterhin Schritte unternehmen."
Auch mehrere Vereine, unter anderem der FC Sevilla und Real Sociedad, forderten seinen Rücktritt. Die Frauen-Liga verurteilte den Übergriff ebenfalls und reichte eine Beschwerde bei dem Sportgericht ein. Der Fußballer Isco zeigte seine Unterstützung für Hermoso: "Wenn es nicht abgesprochen war, ist es ein Machtmissbrauch. Ich schicke Jenni Hermoso meine ganze Unterstützung". Real Betis' Stürmer Borja Iglesias kündigte an, nicht mehr zum Nationalteam zurückzukehren, falls sich die Situation nicht ändere.
In Deutschland äußerte sich Bayern-Funktionär Karl-Heinz Rummenigge zu dem Übergriff. Er stärkte Rubiales den Rücken: "Ich glaube, man soll da nicht übertreiben und die Kirche im Dorf lassen", sagte Bayerns Aufsichtsratsmitglied am Montag bei den SportBild-Awards. Bei dem Gewinn eines WM-Titel sei jeder emotional.
"Was er da gemacht hat, ist – sorry, mit Verlaub – absolut okay." Für diese Reaktion bekam Rummenigge danach sehr viel Gegenwind. DFB-Präsident Bernd Neuendorf sagte der dpa gegenüber dagegen: "Ich glaube, ich hätte nicht so gehandelt." Auch die deutsche Nationalspielerin Laura Freigang zeigte in einem Artikel in der Vogue Solidarität mit Jenni Hermoso.
Jenni Hermoso äußerte sich am Mittwoch in einem Statement mit der Spieler-Gewerkschaft FUTPRO. Sie erklärte, dass sie für ihre Rechte einstehen würde: "Wir setzen uns dafür ein, dass Handlungen wie die, die wir gesehen haben, niemals ungestraft bleiben, dass sie geahndet werden und dass die geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, um Fußballerinnen vor Handlungen zu schützen, die wir für inakzeptabel halten".
Luis Rubiales ist nicht nur der Präsident des spanischen Verbandes, sondern auch UEFA-Vizepräsident. Er hat gute Kontakte im Weltfußball - von daher war die Reaktion der FIFA ein noch klareres Zeichen. Der Fußball-Verband eröffnete ein Disziplinarverfahren gegen Rubiales, der nun kaum noch Unterstützer hat.
Nach dem Vorfall äußerte sich Tamara Ramos, die vor sieben Jahren gemeinsam mit Rubiales bei der Spieler-Gewerkschaft AFE arbeitete. Rubiales war damals ihr Chef und äußerte sich ihr gegenüber mehrfach sexistisch.
"Halt die Fresse", "Hör nicht auf diese schwangere Frau. Die Neuronen sind weg" oder "Hier machst du, was aus meiner Schwanzspitze kommt" waren Sätze, die fielen. Das geht aus der Beschwerde heraus, die Ramos später einreichte. Das spanische Medium Relevo konnte diese einsehen.
Luis Rubiales stand als Präsident des spanischen Verbandes schon vorher in der Kritik. Er unterstützte den umstrittenen Trainer Jorge Vilda trotz gravierender Vorwürfe bedingungslos.
Als Präsident sorgte er dafür, dass die protestierenden Spielerinnen diskreditiert wurden und ihre Stimmen nicht gehört wurden. Die Erfolge bei der WM nutzte Rubiales, um seineEntscheidungen zu rechtfertigen und die Kritiker bloßzustellen.
Vor der Pressekonferenz am Freitag hatte es Spekulationen um einen möglichen Rücktritt gegeben. Rubiales bekräftigte jedoch erneut, er werde Präsident bleiben.
Weiterhin beharrte er darauf, dass der Kuss "einvernehmlich" gewesen sei, trotz der Reaktion von Jenni Hermoso. Seine Töchter würde er genauso küssen. Die Medien beschuldigte der Präsident des "sozialen Mordes." Rubiales redete auch von "falschem Feminismus". Bei seiner Rede applaudierten viele Funktionäre des Verbandes und auch der Trainer des spanischen Männerteams, Luis de la Fuente.
Rubiales gilt als der größte Fürsprecher von Jorge Vilda. Wenn er im Amt bleibt, gilt das wohl auch für den Trainer. Rubiales nahm Vilda erneut in Schutz und bot ihm sogar vor laufender Kamera einen Vierjahresvertrag mit einem jährlichen Gehalt von 500.000 Euro an.
Nach der Pressekonferenz zeigten sich die Spielerinnen des Nationalteams auf Social Media solidarisch mit Jenni Hermoso. "Se acabó", auf Deutsch "Es ist vorbei", war die Botschaft. Kurz darauf gaben sie ein Statement heraus, in dem sie ankündigten, das Nationalteam zu boykottieren.
Die Spielerinnen stehen dem Trainer Jorge Vilda damit nicht mehr zur Verfügung. Zudem forderten sie strukturelle Veränderungen, um weitere Fälle wie diesen zu verhindern. Jenni Hermoso bekräftigte erneut, dass der Kuss nicht einvernehmlich war, anders als Rubiales es darstellt. Sie schrieb auch nochmal in einem separaten Statement, dass sie sich verletzt und als Opfer einer Aggression fühle. Hermoso wies auch darauf hin, dass der Übergriff kein Einzelfall war: "Einstellungen wie diese gehören seit Jahren zum Alltag unserer Nationalmannschaft", schreibt sie.
Das Statement wurde von den Weltmeisterinnen von 2023 unterzeichnet, dazu von weiteren spanischen Spielerinnen. Unter den Unterzeichnerinnen sind auch ehemalige Spielerinnen, die noch unter dem früheren Trainer Ignacio Quereda Missbrauch und Beleidigungen erfahren mussten. Insgesamt stehen 81 Namen unter dem Statement.
Auf den Nicht-Rücktritt von Rubiales folgte eine Welle der internationalen Solidarität. Das englische und schottische Nationalteam unterstützten das Statement: "Abuse is abuse", schreiben die Lionesses. Zahlreiche Spielerinnen wie Alex Morgan oder Christen Press unterstützen Jenni Hermoso ebenfalls.
Auf das Statement der Spielerinnen reagierte der Verband mit Einschüchterung: In einem Statement bezichtigte die RFEF Hermoso der Lüge und verbreitete Fotos, in denen sie angeblich Luis Rubiales hochhebt - und somit laut dem Verband ihr Einverständnis zeigt. Diese Fotos decken sich aber nicht mit den Videos, die im Fernsehen gezeigt wurden.
Der Verband will nun gegen Hermoso klagen. Weiterhin drohte die RFEF den Spielerinnen, die ihren Rücktritt aus dem Nationalteam angekündigt haben: In Spanien gibt es ein Gesetz, laut dem die Athletinnen verpflichtet sind, zum Nationalteam zu gehen, wenn sie nominiert werden. Falls sie das nicht tun, kann ihnen die Lizenz entzogen werden und sie können nicht mehr für ihren Klub spielen. Ob dieses Gesetz auch wirklich angewendet werden wird, ist aber fraglich.