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Rund um den Brustring

·2. Oktober 2022

Lösung dringend gesucht

Artikelbild:Lösung dringend gesucht

Wieder steht der VfB nach einem Spiel, das er nicht verlieren darf, ohne Punkte da. Und weiß nicht, wie er die sich ständig wiederholenden Fehler verhindern kann.

Denn es scheint, als stünde vor jedem Spiel ein Lostopf in der VfB-Kabine, aus der die Mannschaft zwei bis drei Dummheiten zieht, die ihr in der anschließenden Partie unterlaufen. Und das schon seit über einem Jahr. Auf dem einen Zettel steht “frühes Gegentor”, auf dem anderen “Torwartfehler”, wieder auf einem anderen “Gegentor direkt nach eigenem Tor”. Letzte Woche in Frankfurt gab es das Sonderlos “unnötige Freistöße kurz vorm Strafraum”. In Wolfsburg griffen die Brustringträger mal ganz tief in die Lostrommel und brachten sich durch drei Gegentore erneut um den Erfolg, wie sie unnötiger, unbegreiflicher und, pardon, dümmer nicht sein könnten. Erst übersahen sie ihren ehemaligen Teamkollegen Omar Marmoush, der von der Seitenlinienbesprechung mit Trainer Kovac direkt auf der Außenbahn durchstartete und sich mit seinem Mannschaftskollegen ungestört durch die teilnahmslose VfB-Abwer doppelpassen konnte. Dann entschloss sich Florian Müller kurzschlussartig, dass er einen flatternden Weitschuss am Besten mit zwei kleinen Kugeln, gemeinhin als Fäuste bekannt, abwehren sollte und das dritte Wolfsburger Tor, was natürlich in der Nachspielzeit fiel, spottet jeder Beschreibung. Wieder kam, wie in Bremen in einer harmlosen Situation ein langer Ball in die Stuttgarter Hälfte gesegelt. Mavropanos ließ Marmoush auf die Außenbahn ziehen und bildete stattdessen mit Hiroko Ito, Debütant Dan-Axel Zagadou, Waldemar Anton, Atakan Karazor und Li Egloff einen Kreis um Wolfsburgs Mattias Svanberg, der diesen aber nicht daran hinderte, den Ball auf den völlig alleingelassenen Marmoush zu spielen und dessen Flanke ohne Gegenwehr auf den im Fünf-Meter-Raum völlig freistehenden Yannick Gerhardt zu verlängern. Oder als Gesamtkunstwerk:


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Nun sind das natürlich Einzeleindrücke von den drei Gegentoren. Nicht unter den Tisch fallen soll, dass der VfB die erste Druckphase der in der bisherigen Saison desolaten Wolfsburger überstand und erst Hiroki Ito bei der verunglückten Flanke von Ahamada Handlungsschnelligkeit bewies und Serhou Guirassy mit seinem zweiten Treffer im vierten Einsatz erfreuliche Kaltschnäuzigkeit bewies. Dass Pascal Stenzel, wenn man ihm den Platz lässt, weil ganz Wolfsburg noch nie was von Ecken in den Rückraum gehört hat, ein feines Füßchen und ein gute Auge hat. Und dass dem VfB auch der Lucky Punch hätte gelingen können, wenn die Torlatte so hoch hinge wie jene, die der VfB aktuell überwinden muss um einen Sieg zu landen. Oder wenn wir endlich mal Konter ausspielen könnten. Am Ende ist es alles egal und wir sind vor dem Heimspiel gegen den Tabellenführer mit fünf Punkten siegloser Drittletzter.

Denn selbst zwei Tore reichen gegen einen direkten Konkurrenten nicht mal für einen Punkt derzeit. Wie die insgesamt fünf Treffer in den letzten drei Spielen gerade mal einen Punkt hervorbrachten. Weil, um zum kleineren Problem zu kommen, dem VfB vorne relativ wenig einfällt. Schon wieder. Weil nur jeder dritte Schuss des VfB überhaupt aufs Tor kommt und nicht daran vorbeifliegt. Weil im Spiel in Wolfsburg Ito und Stenzel die Spieler waren, die am meisten an Schüssen und Toren beteiligt waren. Vielleicht auch, weil mit Führich, Silas und Guirassy nur drei primär offensiv orientierte Spieler – na gut, rechnen wir noch einen halben Ahamada dazu – vielleicht ein bisschen wenig sind gegen einen solch angeschlagenen Gegner. Selbst wenn die beiden Außenverteidiger ihre Sache offensichtlich gut machten: Gefahr entstand potenziell nur durch Diagonalbälle von Hiroki Ito, die aber meist in Räumen landeten, die schon voll besetzt waren, während nur krasse Fehlpässe der Wolfsburger für Gefahr durch die Mitte sorgten.

Stagnation

Aber es reicht nicht, sich nur auf dieses Spiel zu konzentrieren. Der VfB hat ein grundlegendes Problem und ich habe aktuell keinen wirklichen Lösungsansatz. Gut, wenn ich den hätte, würde ich mich von Sven Mislintat fürstlich dafür entlohnen lassen, aber man macht sich ja als Laie trotzdem so seine Gedanken. Dass die Mannschaft, sicherlich auch noch mit einem Nico Gonzalez, einem zuletzt erstarkten Gonzalo Castro und einem Gregor Kobel vor zwei Jahren stark performte, vielleicht sogar etwas über dem eigentlichen Leistungslimit, sollte mittlerweile Konsens sein. Dass die Mannschaft in der letzten Saison ohne die Vielzahl an Verletzungen, die zerrupfte Vorbereitung und den offensichtlich falschen Fokus auf Entwicklung statt Ergebnisse nicht auf einen Kopfball in der 92. Minute des letzten Saisonspiels angewiesen gewesen wäre, um den Klassenerhalt sicherzustellen, wurde lange angenommen. Jetzt aber ist die Rehawelt so gut wie leergefegt, niemand “musste” zu Olympia, und für die Abgänge hatte man entweder schon lange Ersatz aufgebaut (Ahamada) oder fand ihn letztendlich ziemlich schnell (Kalajdzic). Es war alles angerichtet, um etwas weniger, mit Verlaub, beschissen in die Saison zu starten, als wir das jetzt getan haben. Mal zum Vergleich: Dass wir noch nie die ersten acht Saisonspiele ohne Sieg blieben, ist ja hinlänglich bekannt. Aber fünf oder weniger Punkte zu diesem Zeitpunkt gab es neben der Saison 2010/2011 nur in den Abstiegsjahren.

Aber die Mannschaft macht aus den vergleichsweise komfortablen Rahmenbedingungen: nichts. Vielmehr noch, sie stagniert. Alle Fehler, die in Wolfsburg zu Gegentoren führten, von der Unachtsamkeit nach eigener Führung, über Florian Müllers Entscheidungsfindung bis hin zum verfrühten Abpfiff in den Köpfen ziehen sich durch diese und die komplette letzte Saison. Wir schaffen es seit über 20 Spielen nicht, zu Hause zu Null zu spielen. Die Ausgewogenheit der ersten Saison nach dem Wiederaufstieg, in der man zwar auch zu viele Gegentore kassierte, aber auch mal enge Spiele über die Zeit brachte, ist komplett weg. Entweder wir verdaddeln den Ball im Spielaufbau und sind mit dem Kopf schon im gegnerischen Strafraum, oder wir stehen hinten so stabil, dass uns als einziges Mittel lange Bälle bleiben. Dreierkette, Viererkette, Doppelsechs, Trichter, ein Stürmer, zwei Stürmer: Nichts behebt die Probleme des VfB nachhaltig, weil entweder einer oder das Kollektiv in zu vielen entscheidenden Momenten patzt. Und weil die Mannschaft nicht mehr in der Lage ist, die Schwächen des Gegners eiskalt auszunutzen. Immerhin hat sich spielerisch etwas verbessert im Vergleich zur letzten Saison, ich weiß allerdings nicht, wie lange das noch anhält, wenn die Tabellensituation wie in der letzten Saison zunehmend auf die Psyche durchschlägt. Und es ist auch wertlos, wenn wir defensiv nicht in der Lage sind, über 90 Minuten auf Bundesliga-Niveau zu verteidigen.

Warum müssen wir überhaupt aufstehen?

Aber warum? Es war nach dem Spiel viel davon die Rede, dass es in der DNA des VfB angelegt sei, nach Niederlagen wieder aufzustehen (Matarazzo) und dass solche Phasen angesichts der zweitjüngsten Mannschaft Europas zu erwarten seien (Mislintat). Mir ist aber unbegreiflich, wie sich die Mannschaft überhaupt erneut wieder in die Lage manövrieren konnte, einen solchen Kraftakt wie 2020 und im Mai dieses Jahres hinlegen zu müssen. Mal ganz abgesehen davon, dass die Startelf der Wolfsburger im Schnitt 0,4 Jahre jünger war als die des VfB und die meisten Stammspieler 24 Jahre alt oder älter sind: Was muss passieren, dass wir nicht weiter so durch den Tabellenkeller rauschen wie bisher? Und ich rede nicht davon, dass der VfB im Abstiegskampf nichts zu suchen hat. Sondern davon, dass der VfB, um zur Saisonhalbzeit die Hälfte der 33 Punkte zu holen, mit denen man letztes Jahr gerade so Platz 15 eroberte, ab jetzt pro Spiel 1,2 Punkte holen müsste. Und es ist ja nicht gesagt, dass das für irgendwas reichen würde. Letzte Saison wurden immer wieder Zeitmarker gesetzt, die den Ausgang für die Trendwende bilden sollten: Die Rückrunde, das Kurztrainingslager im Februar, das Hertha-Spiel. Schließlich gelang die Wende am vorletzten Spieltag. Aber worauf sollen wir jetzt warten? Dass Thomas Letsch in zwei Wochen beim VfL Bochum noch nicht die richtigen Hebel gefunden hat? Und selbst wenn: Welchen positiven Effekt hatten die Erfolgserlebnisse gegen Leipzig und in München? Die Lage ist bereits jetzt hochgefährlich, weil die Mannschaft keinen Anlass dazu gibt, auf Besserung zu hoffen, egal wie gut die Trainingsleistungen waren.

Wenn äußere Einflüsse wegfallen und Abschlusspech irgendwann überhand nimmt, lässt das nur zwei Schlüsse zu: Entweder es fehlt der Mannschaft schlichtweg an der Qualität, um in der Bundesliga ein Spiel zu gewinnen (oder mehr als drei im bisherigen Kalenderjahr) oder es fehlt ihr an der Einstellung und Motivation, diese abzurufen. Potenzialspieler hin oder her. Ein Wataru Endo, der nur eine Passquote von 44 Prozent gegen Wolfsburg aufweist, ein Waldemar Anton, der erneut einen selbstverschuldeten Konter nur mit einem gelbwürdigen Foul unterbinden kann, ein Dinos Mavropanos, der zwar die beste Zweikampf- und Passquote aufweist, im entscheidenen Moment aber einen Spieler ziehen lässt, der ausgerechnet dann wieder einen Rückfall erleidet, wenn seine Vorderleute eh schon indisponiert sind, sind alle über den Status eines Potenzialspielers hinaus. Also: Entweder sie können es nicht besser, oder sie sind auf dem Platz mental nicht in der Lage es zu können. Die eine Antwort wirft – und diese Diskussion ist natürlich nicht neu, das ist mir bewusst – ein schlechtes Licht auf die Kaderplanung, die andere auf den Trainer. Ist, exemplarisch gesprochen, ein Waldemar Anton vielleicht doch in der Liga besser aufgehoben, für die wir ihn zuerst verpflichtet haben? Oder, um den anderen Aspekt aufzugreifen: Wie lange dauert es, bis die Mannschaft auf den angekündigten verschärften Ton des Trainers reagiert?

Liegt es am Lehrer oder an den Schülern?

Vor vier Jahren waren Anfang Oktober fünf Punkte aus sieben Spielen, die Tayfun Korkut den Job kosteten und für mich war der Trainerwechsel damals überfällig. Natürlich sind die Rahmenbedingungen jetzt andere und ich halte mehr von unserer jetzigen Mannschaft als von der damaligen Trümmertruppe und mehr von Matarazzo als von Korkut. Aber nachdem der VfB einfach die letzte Saison weiterspielt, nur eben ohne Verletzte und das Aufstehen vor allem darin bestand, dass wir wie schon beim Aufstieg in zwei Spielen über uns hinauswuchsen, muss auch der Trainer und vor allem dessen Ansprache an die Mannschaft Teil der Analyse sein, auch wenn Sven Mislintat das anders sieht. Ich bin, wie ihr die letzten Jahre mitlesen konntet, normalerweise der Letzte, der den Kopf des Trainers fordert. Aber wenn die zweitjüngste Mannschaft Europas über Monate in entscheidenden Momenten nichts aus ihren Fehlern lernt, dann ist sie vielleicht entweder zu jung für die Bundesliga – wobei ja immer betont wurde, das Alter sei zweitrangig – oder es hapert am (Fußball-)Lehrer.

Wie auch immer die Lösung aussieht, ob wir durch eine erneut Umstellung auf dem Platz oder auf der Bank wieder in die Spur kommen: Es muss etwas passieren. Geduldig darauf zu warten, dass es irgendwann, warum auch immer, besser wird, hat uns schon letzte Saison um Endos Haaresbreite den Klassenerhalt gekostet. Was auch immer der Grund für die nicht ausreichenden Leistungen der Mannschaft sein mag: So geht es nicht weiter. Ich gehe weiter davon aus, dass die aktuell handelnden und spielenden Personen kompetenter und vielversprechnder sind als ihre Vorgänger. Also findet bitte eine Lösung.

Zum Weiterlesen: Den Vertikalpass treibt der VfB aktuell in den Wahnsinn und die Schlagerhölle, -hölle, -hölle. Stuttgart.international stellt fest, dass Sieger immer recht haben.

Titelbild: © Stuart Franklin/Getty Images

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